Die Mode-Polizei rät

„Mensch Evi“, sage ich zu meiner Kollegin. „Jetzt haste echt grad was verpasst! Du wirst es nicht glauben: Die Susi aus der Buchhaltung ist heut in T-Shirt und RADLERHOSEN ins Büro gekommen!“
„Radlerhosen!“ Evi staunt. „Abgesehen davon, dass das an der Susi garantiert besch…eiden aussieht: Wer hat ihr bloß erzählt, dass so was Berufskleidung ist?“
„Ein Fahrradkurier?“, vermute ich.
„Ja. Oder ein Radrennsportler.“
„Dann hat eine Fredl da aus der Graphik seine Modetipps wohl auch auf dem Sportplatz aufgeschnappt“, schlussfolgere ich. „Sieht ja immer heiß aus, wenn er sommers mit seinen Adidas-Shorts hier einläuft. Hat der keine Angst, dass er mal unversehens zum Kunden muss? Oder zur Geschäftsleitung? Du warst ja damals dabei, als ich plötzlich in Motorradklamotten vor der amerikanischen Geschäftsleitung stand und diese Präsentation halten musste. Die haben vielleicht geschaut! Saupeinlich war das! Nee, das passiert mir kein zweites Mal!“
Evi lacht. „Ja, das war in der Tat ein Brüller“.
Und wir sind uns einig:

Sportbekleidung gehört auf den Sportplatz.

„Die richtig wüsten Stylingsünden kommen immer erst im Sommer zum Tragen“, stellt Evi fest. „Und zwar, wenn die Leute anfangen, sich zu entblättern. Da siehst du dann in den Büros auf einmal Shorts in allen Rassen und Farben, Dekolletees, durch die du bis zu den Schuhbändern gucken kannst, bunte Unterwäsche unter weißen Klamotten, katzengraue BH-Träger, die am Ausschnitt vorblitzen – oder, schlimmer noch – die parallel zu Spaghettiträgern verlaufen.“
„Oder gar keinen BH, obwohl ganz offensichtlich einer notwendig wäre“, ergänze ich. „Das ist dann wirklich nicht sehr professionell“.
„Jedenfalls nicht in einem Bürojob.“

Unterwäsche sollte im Verborgenen wirken.

„Sind wir vielleicht spießig?“, überlege ich.
„Nee, nicht wirklich“, meint Evi und grinst. „Ohne Witz jetzt: Ich glaub‘, mit spießig hat das nix zu tun. Es ist mehr eine Frage dessen, ob eine bestimmte Kleidung dem Umfeld angemessen ist. Ja, und manchmal ist das halt nicht der Fall, und dann wird’s leicht peinlich. Zudem stellt sich die Frage, ob man ernst genommen wird, wenn man derart angefrödelt zur Arbeit erscheint. Oder kannst du dir eine Aufsichtsratsvorsitzende im bauchfreien Top vorstellen?“
„Am Strand?“
„Im Büro, du Nuss!“
Die Vorstellung reizt mich zum Kichern. „Nee! – Bei einer Praktikantin oder Azubine ist das vielleicht noch was anderes. Aber eine Chefin …?“ „Siehste“, sagt Evi und nickt. „Erst neulich hab ich gelesen: ’šEntweder süß und sexy – oder leiten und führen‘.“

Halbnackt ist voll daneben.

„Aber wir müssen jetzt nicht alle in Sack und Asche gehen?“
„Quatsch! Zwischen Sack und Asche und halb nackig ist noch jede Menge Spielraum um was Passendes zu finden.“
„A propos ,passend'“, sag ich, „manchmal möchte ich die Leute am liebsten fragen:

Gibt’s die Klamotten auch in deiner Größe?

Es sieht einfach affenhässlich aus, wenn der die Hose oder Shirt ein bis zwei Nummern zu klein sind und überall der Speck rausquillt.“
„Oh ja, sehr ordinär! Das Ganze noch in Glitzer- oder Knallfarben, und du siehst aus wie eine gestauchte Mettwurst in Geschenkpapier.“
Wir kichern wie die Teenager und laufen so langsam zur Höchstform auf.

„Und was ist zum Beispiel mit Christels kitschiger Landhausmode? Oder mit Bärbels violett gefärbten Haaren?“, will ich wissen. „Kommt da auch die Mode-Polizei?“
Evi überlegt einen Moment. „Nun ja – eine Vorstandsvorsitzende mit lila Haaren oder mit Dirndl, das wäre nicht denkbar. Businesslike ist das gerade nicht. Andererseits: Christel geht in 5 Jahren in Rente, die muss hier nichts mehr werden. Also kann sie rumlaufen, wie sie will, das hat keinerlei Konsequenzen mehr. Und Bärbel hat eine Teilzeitstelle im Callcenter. Mit einer Dreitagewoche ist eh keine Karriere zu machen. Telefonieren kann sie wie ein Engel, da darf sie wohl auch lila Haare haben. Das fällt dann vermutlich unter die Rubrik:

’œGeschmacksache‘, sagte der Affe und biss in die Seife.“

„Gilt das auch für Arthurs gruselige Fischkrawatte? Und was ist mit karierten Socken? Mit der Pferdeschwanzfrisur vom Werbeleiter? Nicht zu vergessen: Tommys unsägliches Hunde-Sweatshirt! Und die „Uniform“ von meinem Bruder: Vollbart, ausgebeulte Cordhosen, prähistorische Karo-Hemden und Jesuslatschen.“
„Dein Bruder ist Lehrer“, sagt Evi. „Die folgen einem ganz eigenen Dresscode. Genau wie die Leute im Kreativ-Bereich. Aber was die Fischkrawatte und ähnlich lächerliche Entgleisungen angeht: Fünf Strafpunkte im Bundesdeutschen Zentralregister für Stylingsünden!“
„Und kann man das Konto dann mit einer Stilberatung wieder auf Null setzen?“
„Ja“, sagt Evi. „Aber erst ab 15 Punkten. Und wenn man 25 angesammelt hat, ist ein vorläufiger Karrierestopp fällig. – Oh, guten Morgen Fritz!“ „Guten Morgen die Damen!“

Wir können nicht anders: Wir mustern ihn von oben bis unten.
„Hippiefrisur“, konstatiert Evi, als Fritz um die Ecke gebogen ist. „Und Comic-Socken mit Peanuts-Motiven“, füge ich kopfschüttelnd hinzu. „Au weia! Wenn das die Mode-Polizei sieht!“
„Ui, gaaanz böse Sache! Das gibt mindestens zehn Punkte!“
„Armer Fritz!“

Kichernd gehen wir an die Arbeit. Genau im richtigen Moment, denn just in dieser Sekunde streckt unser Chef den Kopf zur Tür herein.
„Guten Morgen miteinander! Ich will euch nur sagen, dass Joe und Grace morgen im Hause sind. Wir besprechen die Quartalsplanung. Vermutlich wird euch das nicht weiter tangieren, aber es kann immer mal sein, dass ihr kurz reingerufen werdet, wenn sie Fragen haben. Zieht euch also ein bisschen was Formelles an.“ Mich trifft ein mahnender Blick aus stahlgrauen Augen: „Und du kommst morgen wohl besser mit der Bahn. KEINE MOTORRADKLUFT.
Verstanden?“
„Äh … ja, Chef. Geht klar“, stottere ich nach einer Schrecksekunde.
Aber das hat er schon nicht mehr gehört.

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