Tereza Vanek: Das Geheimnis der Jaderinge – Roman

Tereza Vanek: Das Geheimnis der Jaderinge – Roman, München 2012, Bookspot-Verlag, ISBN 978-3-937357-53-9, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 648 Seiten, Format: 22 x 14,8 x 4,6 cm, EUR 16,95.

Hamburg 1880: Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die sachlich-nüchterne Amalia Virchow die Reederei geleitet hätte. Sie hätte den nötigen Kaufmannsgeist gehabt – im Gegensatz zu ihrem Gatten, der Firma und Familie mit seiner Leidenschaft für Kunst und schöne Frauen ruinierte. Doch damals führten Frauen keine solchen Unternehmen, und so stehen die Virchows nun vor den Trümmern ihrer Existenz. Der Vater nimmt sich das Leben, Mutter Amalia und Tochter Viktoria, 21, stehen mittelos da. Geld weg, Haus weg, guter Ruf weg – und Viktorias Verlobter Anton von Scharpenberg macht sich auch noch vom Acker. Er hätte Viktorias Geld gebraucht. Jetzt, da sie keines mehr hat, will er sie auch nicht mehr heiraten.

Und nun? Bei der Verwandtschaft unterzukriechen und an irgendeinen reichen alten Knacker verschachert zu werden, kommt für Viktoria nicht in Frage. Lieber geht sie arbeiten. Doch außer Fremdsprachen hat sie nie etwas gelernt. Wählerisch kann sie nicht sein, und so folgt sie dem Rat eines ehemaligen Angestellten ihres Vaters und bewirbt sich als Gesellschafterin einer gelähmten alten Dame – in Shanghai.

Viktoria mag eine verwöhnte und exzentrische junge Frau sein, doch hat sie vom Vater die Weltoffenheit und von der Mutter einen gesunden Pragmatismus geerbt. Das hilft ihr, in der fremden und exotischen Kultur Chinas zurechtzukommen. Margaret Huntingdon, der sie Gesellschaft leisten soll, erweist sich als eine sympathische alte Dame, die an der Seite ihres Mannes ein abenteuerliches Leben geführt hat. Der Rest der Familie ist ziemlich steif und abweisend. Und das Verhalten der einheimischen Bediensteten kann Viktoria noch gar nicht einschätzen.

Schneller als vermutet hat sie jemanden, der ihr die chinesische Sprache und Kultur näherbringen kann: der Waisenjunge Dewei, dem sie das Leben rettet, begleitet sie fortan als eine Art Adoptivsohn.

Aus Unkenntnis der Sachlage rührt Viktoria bei den Huntingdons an ein Familiengeheimnis: Andrew, Margaret ältester Sohn, ist vor zwei Jahrzehnten hier in China spurlos verschwunden. Alles, was seiner Mutter von ihm geblieben ist, ist ein Jadering und ein paar chinesische Schriftstücke.

Den Huntingdons ist es gar nicht recht, dass Viktoria sich für Andrews Schicksal interessiert. Das regt Mutter Margaret nur unnötig auf. Und so nutzen sie den erstbesten Vorwand, Viktoria zu entlassen. Doch statt nach Deutschland zurückzukehren, lässt sich die junge Frau auf ein weiteres China-Abenteuer ein: Sie verdingt sich als Gouvernante für die Kinder eines chinesischen Richters – in Peking. Ihren Adoptivsohn Dewei nimmt sie natürlich mit. Margaret Huntingdon hat ihr diese Position vermittelt, nicht ohne Hintergedanken.

Die Reise nach Peking ist lang und strapaziös. Und das Leben dort ist noch fremdartiger als in Shanghai. Lange hält es Viktoria auch im Haushalt des Richters nicht aus. Als sie sich spontan für dessen dritte Ehefrau, die gebildete und belesene Chuntian einsetzt, verliert sie auch diese Stelle. Wieder steht sie auf der Straße. Hilfe findet sie bei Chuntians Mutter, der Akrobatin Yazi. Chuntians Bruder Jinzi, ebenfalls Akrobat, ist von dem europäischen Gast und derem chinesischen Adoptivsohn wenig begeistert. Das riecht für ihn alles nach Ärger und Problemen.

Yazi ist eine überaus interessante Frau und erzählt Viktoria aus ihrem bewegten Leben. Als Bauernmädchen aus dem Volk der Hakka wurde sie an einen reichen jungen Mann verheiratet, der jedoch an Frauen kein Interesse hatte. Nach einem traumatischen Erlebnis verließ sie ihn und wurde Soldatin auf Seiten der Taiping-Rebellen. Der Aufstand scheiterte, und seitdem schlägt Yazi sich als Akrobatin durch.

Doch was für Viktoria das eigentlich Interessante ist: Yazi kannte Andrew Huntingdon und fragt sich aus gutem Grund seit zwanzig Jahren, was aus ihm geworden ist. Er wollte damals nur kurz seine Familie besuchen und ist nicht mehr zurückgekehrt. Dass er dort angekommen ist, steht außer Frage: Er hat ja seiner Mutter den Ring und die Papiere gegeben. Was ist danach passiert? Weiß die Familie doch mehr, als es bisher den Anschein hatte? Wenn man Antworten haben will, muss man fragen. Also machen sich Viktoria und ihr Adoptivsohn Dewei, Yazi und ihr Sohn Jinzi auf den Weg zu den Huntingdons nach Shanghai.

Auf dieser langen Reise kommen Viktoria und Jinzi einander zaghaft näher. Sie schmieden Zukunftspläne und ahnen nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden …

Was für ein Buch! Man denkt, man bekommt eine gängige „Love and Landscape“-Geschichte mit ein paar Krimi-Elementen darin und wird von einem handfesten historischen Roman überrascht.

„China geht nicht“, haben einige Verlage zu Tereza Vanek gesagt. Wie: China geht nicht? Warum das denn? Der Bookspot-Verlag hat das zum Glück anders gesehen. Und DAS GEHEIMNIS DER JADERINGE zeigt ja, dass man über dieses Land, seine Geschichte und seine Kultur überaus packende, hochinteressante Geschichten erzählen kann!

Das aufregende Leben der Taiping-Kriegerin Yazi, das auf 270 Seiten im Mittelteil des Buchs geschildert wird, ist fast noch mitreißender als das Viktorias Wandlung vom weltfremden Wohlstandzicklein zur höchst eigenständigen erwachsenen Frau. Ohne Info-Dumping zu betreiben, gibt uns Tereza Vanek einen Einblick in ein Kapitel der Geschichte, von dem die wenigsten von uns je etwas gehört haben dürften. Oder war jemandem der Taiping-Aufstand ein Begriff? Besonders zimperlich darf man beim Lesen allerdings nicht sein. Krieg ist widerwärtig und brutal, und die Autorin beschönigt nichts. Oder nicht viel.

Ein Personenverzeichnis wäre nicht schlecht gewesen. Wer mit der chinesischen Sprache normalerweise nichts zu tun hat, kann sich nämlich nicht vorstellen, wie man die Namen ausspricht. Und dann sitzt man irgendwann vor diversen Buchstabenkolonnen, die alle mit Xi oder Ji anfangen und für den Laien ziemlich gleich aussehen. Immer zurückblättern und nach den Kerlen suchen will man ja auch nicht, wenn’s in der Geschichte gerade so richtig rund geht. Aber das sind Kleinigkeiten. Alles in allem bietet DAS GEHEIMNIS DER JADERINGE ungemein spannende Unterhaltung, die einem so ganz nebenbei eine Fülle faszinierender Informationen unterjubelt. So lernt man gerne dazu!

Gerüchte besagen, dass es einen Folgeband geben soll mit alten Bekannten aus diesem Band und mit neuen Figuren. Klingt gut. Ich wäre auf jeden Fall als Leserin dabei.

Die Autorin
Tereza Vanek wurde 1966 in Prag geboren und wuchs in München auf. Dort studierte sie Anglistik, Romanistik und Slawistik. Im Anschluss an ihr Studium erwarb sie den Doktortitel Dr. phil. Die Autorin lebt und arbeitet in München. Auf ihrer Homepage http://www.tereza-vanek.de kann man unter anderem Details zur Entstehungsgeschichte des Romans nachlesen und Fotos von ihrer Recherchereise sehen.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
     
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