Dora Heldt: Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt – Roman

Dora Heldt: Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt, München 2011, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-24857-0, 318 Seiten, Softcover/Klappenbroschur, 21 x 13,4 x 3,4 cm, EUR 14,90 (D), EUR 15,40 (A).

„Das hoffnungsvolle Talent Doris Goldstein-Wagner, knapp 50, verbringt die beste Zeit ihres Lebens damit, gelangweilt in ihrem großen Haus in Lüneburg zu sitzen. Dieser Zustand wird lediglich durch alberne Veranstaltungen, Friseur- und Kosmetiktermine, überflüssige Shoppingtouren und Mordlust erweckende Besuche der Frau Mutter unterbrochen. Der Gatte arbeitet sich einen Wolf, ist abends zwar müde, aber ihr immer noch zugewandt, was auch ein Problem darstellt, wie D. G.-W. nicht nur Hitzewellen, sondern auch Unlust verspürt. Dazu kommt, dass die Söhne auch nicht so sind, wie sie sein sollten, und der tägliche Alkoholkonsum auch nicht mehr hilft. Habe ich etwas vergessen?“ (Seite 187/188)

Doris Goldstein-Wagner leidet nicht nur unter Wechseljahrbeschwerden, einer extrem nervigen Mutter und Langeweile, sondern auch unter der Vorstellung, in Kürze ihren 50. Geburtstag feiern zu sollen. So eine Fressveranstaltung in einem spießigen Lokal, möglichst noch mit peinlichen Reden und affigen Show-Einlagen sind ihr ein Graus. Sie will nicht feiern, doch ihre Familie ignoriert das beharrlich.

Gegen ihren Willen organisiert Ehemann Torsten eine Überraschungsparty für sie. Als sie davon Wind bekommt, ist das Maß voll. Da wird sie nicht hingehen! Sie trommelt ihre zwei besten Freundinnen aus Schulzeiten zusammen, hinterlässt der Familie einen Zettel auf dem Küchentisch und setzt sich mit ihren Mädels übers Wochenende in ein Wellnesshotel an der Ostsee ab. Dort will sie in ihren Geburtstag hineinfeiern.

Was sie sich von dem Wochenende verspricht, außer einer Auszeit von der Familie? Dass sich beim Erinnern an alte Zeiten das leichte Lebensgefühl von damals wieder einstellen möge, als das Leben noch bunt und spannend war und ihnen alle Möglichkeiten offen standen. Womit sie nicht rechnet: Dass es unwillkürlich zu einem Soll-Ist-Vergleich kommt und alle drei darüber ins Grübeln geraten, ob sie eigentlich das, was sie sich als Teenager erträumt und vorgenommen hatten, wirklich erreicht haben. Und wenn nicht, wo in ihrem Leben etwas schiefgelaufen ist.

Doris denkt, dass ihre beiden Freundinnen ein wesentlich interessanteres Leben führen als sie selbst. Sie hat seinerzeit ihr Graphikstudium aufgegeben, als die Kinder kamen und hat dann den Einstieg nicht mehr geschafft. Stattdessen hat sie eine Zeit lang halbherzig in der Firma ihres Mannes mitgearbeitet. Jetzt ist sie „nur noch“ Hausfrau, ein Anhängsel ihres Mannes, auf dessen Meinung niemand Wert legt. So sieht sie das.

Da sind ihre Mädels doch deutlich besser dran: Anke Kerner ist eine vielbeschäftigte Verlagsleiterin und Katja Severin arbeitet beim Fernsehen, sieht dank eiserner Disziplin, einem jungen Lover und eines geschickten plastischen Chirurgen keinen Tag älter als 35 aus. Dass ihre unverheirateten und kinderlosen Freundinnen sie um ihre Familie und ihr sorgenfreies Leben beneiden könnten, kommt Doris nicht in den Sinn. Der Leser merkt jedoch sehr schnell, dass es bei keiner der drei Damen so toll läuft, wie sie es gerne glauben machen würden.

Auch wenn die drei Freundinnen sich nach der Schulzeit nicht mehr allzu oft gesehen haben, stellt sich schnell wieder die alte Vertrautheit ein. Sie schwelgen in Erinnerungen, lästern, lachen und freuen sich, dass sie sich, von ein paar Pfunden, falten und grauen Haaren mal abgesehen, gar nicht groß verändert haben. Doris ist nach wie vor eine Kichererbse und angestrengt bemüht, es allen recht zu machen. Anke denkt immer noch schneller als andere und ist noch die selbe Grobmotorikerin wie früher. Man sollte glatt mal mitzählen, wie viele Teller und Gläser sie in der Geschichte fallen lässt und wie viele Kellner sie umrennt. Die schnippische Katja Severin nimmt das Leben auch heute noch leicht und tanzt alle Sorgen einfach weg.

Doch wie lange kann man Freunden etwas vormachen, die man seit 30 Jahren kennt? Als Anke einer alten Bekannten begegnet, die arglos etwas ausplaudert, bröckelt die Fassade der angeblich so erfolgreichen Verlagsleiterin. Sie hat ein paar dramatische Fehlentscheidungen getroffen und sitzt jetzt mächtig in der Tinte, unter anderem finanziell. Und da gibt es noch etwas, das Anke noch nie einem Menschen erzählt hat …

Die Geister der Vergangenheit scheinen, genau wie die Freundinnen, in dem Hotel eine Party zu feiern. Als nächstes laufen Doris und Katja gemeinsamen Bekannten in die Arme. Für Doris ist Hermann Wolter nur der Tennispartner ihres Ehemanns. Für Katja ist er der Ex-Chef und der Mann, mit dem sie jahrelang ein Verhältnis hatte, das dann auf sehr unschöne Weise zu Ende ging …

Bleibt noch Doris. Sie hat sich ihr Leben lange Zeit schöngeredet. Jetzt hilft nicht mal mehr schöntrinken. Sie muss erkennen, dass sie ihr Talent verschleudert hat und auf dem besten Wege ist, so zu werden wie ihre Mutter: eine unzufriedene, egozentrische Nervensäge. Im ihrem Alltagstrott ist nicht nur ihre Beziehung zu Torsten eingeschlafen, sondern ihr Gehirn gleich mit. Sie muss in ihrem Leben dringend einiges ändern!

Nirgends steht geschrieben, dass man sich mit 50 mit den Gegebenheiten abfinden muss. Mit der richtigen Idee lässt sich noch vieles verändern. Werden die drei Freundinnen einen Weg aus Schuldgefühlen, Frustration und Unterforderung finden?

Ein Baby-Boomer-Buch! Clever! Viele von uns sind jetzt in diesem Alter und können mit Doris und ihren Freundinnen mitreden. Es würde uns wohl ganz ähnlich ergehen, wenn wir unseren damaligen Weggefährtinnen ein Wochenende verbrächten: „Es war seltsam: Seit sie mit Katja und Anke in dem Hotel war, kamen diese Gedanken. Diese Frage danach, wie das eigene Leben tatsächlich lief. Ob das mit diesem Geburtstag zusammenhing oder damit, dass die beiden alten Freundinnen wussten, wie sie mal gewesen war und was sie mit ihrer Zukunft vorgehabt hatte?

Wie viele Stunden hatten sie zusammengesessen, fürchterlich aromatisierte Tees aus Tonkannen getrunken und von ihren Plänen und Wünschen erzählt.“ (Seite 145)

Ja, ja, ganz genau! So war’s! Tee aus Tonkannen und endlose Gespräche über die Zukunft! Und da kommt dieses Buch gerade recht, das uns zeigt, man nicht die einzige ist, die im Leben dämliche Entscheidungen getroffen hat, dass auch bei anderen nicht immer alles so gelaufen ist, wie sie sich das in jungen Jahren vorgestellt hatten. Und dass mit 50 noch nicht aller Tage Abend ist.

Die Mädels in dem Buch haben Humor und den flapsigen Umgangston von Leuten, die einander schon ewig kennen. Oft gelingt es ihnen, das Absurde, Komische und Heitere einer Situation zu erkennen, doch dieses Buch ist ernster als die berühmte „Papa“-Reihe der Autorin. Mutter Margret Goldstein ist zwar mindestens so nervig wie „Papa“ Heinz, aber nicht so brüllkomisch. Dies nur zur Information, damit niemand glaubt, er bekomme hier genau das gleiche, nur mit anderen Personen.

Einen kleinen Insider-Gag für die „Papa“-Freunde gibt’s. Die würden sich in einer Szene am liebsten rettend dazwischenwerfen und einer Dame zurufen: „Nimm den nicht! Wir kennen seine Familie!“

Ein bisschen viele Zufälle gibt’s in der Geschichte – all die Bekannten der drei Damen, die auf einmal im Hotel auflaufen! – und der Schluss ist sehr optimistisch. Die Möglichkeiten, die Doris und ihre Mädels haben, hat nicht jede. Hat man sich über weite Strecken mit den Gedanken und Problemen der drei identifiziert, sagt man sich jetzt womöglich: „Na ja, die können leicht!“ Aber unterhaltsam ist der Roman. Man fühlt sich verstanden, und ein bisschen Schwung und Zuversicht gibt einem die Geschichte auch. „Hört mal! Wie liegen nicht auf dem Sterbebett und ziehen ein letztes Resümee!“, sagte Katja auf Seite 273. „Wir haben noch alles in der Hand. Das hier war das große Aufräumen und nun richten wir alles neu ein. Na, vielleicht nicht alles, aber wenigstens die eine oder andere Ecke. Macht ihr mit?“

Die Autorin
Dora Heldt, 1961 auf Sylt geboren, ist gelernte Buchhändlerin, seit 1992 als Verlagsvertreterin unterwegs und lebt heute in Hamburg. Mit ihren spritzig-unterhaltenden Romanen hat sie sämtliche Bestsellerlisten erobert. „Urlaub mit Papa“ (dtv 21143) und „Tante Inge haut ab‹“ (dtv 21209) wurden fürs ZDF verfilmt.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
     
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Ein Kommentar

  1. Ich habe es auch gerade erst gelesen, und ich fand es sehr nett. Vor allem die Gespräche der drei Damen und das Aufarbeiten vergangener und gegenwärtiger Probleme ist gut dargestellt. Auch ohne Vater Heinz habe ich mich königlich amüsiert.

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