Witwe sein dagegen sehr

Ich kann es nur immer fassungslos wiederholen: 36 Jahre lang waren wir ein Paar, Gerhard und ich. Seit unserer Teenager-Zeit. Nicht immer ein Traumpaar, zugegeben. Wir hatten, wie alle anderen Paare auch, unsere Höhen und Tiefen.

Paarfotos 3-klein wedding

Links: Aus einem Gruppenfoto in sehr jungen Jahren.
Rechts: Auf den Bahamas. Da sind wir aus Jux in einen Wedding-Pavillon gestiegen.

Dass er gesundheitlich stark angeschlagen war, wussten wir alle. Dass er nicht in erforderlichem Maße mit den Doktores zusammenarbeitete, war mir auch klar. Regelmäßig zu den Untersuchungen zu gehen, Laborwerte abzuholen und die Anweisungen der Ärzte zu befolgen, das war seine Sache nicht. Da konnte ich reden, was ich wollte. Dabei war er medizinisch gebildeter als ich und kannte die Folgen seines Tuns. Nun gut, er war erwachsen.

Dass es ihm schlechter ging, als er zugeben wollte, wurde mir erst klar, als ich um Weihnachten herum zwei Wochen frei hatte und mitbekam, wie schwer ihm die kleinsten Bewegungen fielen. Aber von Arzt oder Krankenhaus wollte er partout nicht wissen.

So wirklich erkannt habe ich den Ernst der Lage trotzdem nicht. Ich dachte, das wird wieder, wenn erst die Schulterverletzung wieder ausgeheilt ist. Sonst hätte ich mehr darauf gedrungen, dass er sich in Behandlung begibt.

„Gehst du heute ins Krankenhaus?“, fragte ich in der Früh, ehe ich am 3. Januar zur Arbeit fuhr und meinte damit eine anstehende Untersuchung, die er schon tagelang vor sich herschob.
„Ach, ich weiß auch nicht“, nuschelte er verschlafen. „Mal sehen!“
Das kannte ich nur zu gut, das „mal sehen“!
„Mach doch, was du willst!“, antwortete ich und verließ das Haus.

Als ich gegen 15 Uhr zurück kam, hörte ich den Fernseher plappern, aber vom Mann keine Spur. Aus dem Haus gegangen, ohne die Kiste auszuschalten? Im Bad? Auf der Toilette? Im Bett? Im Schlafzimmer fand ich ihn, neben dem Bett kauernd. Ich habe ihn geschüttelt und den Puls gefühlt, wusste aber nicht, ob es meiner ist oder seiner, den ich da spüre. Ich war so aufgeregt.

Ich rief die 112.
„Ich hab meinen Mann neben dem Bett vorgefunden. Er reagiert nicht. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt!“

Es kamen zwei Rettungswagen mit einem Geschwader an Personal, die Polizei, der Hausarzt als Leichenbeschauer, zwei Leute vom Bestattungsinstitut und die von mir alarmierte Verwandtschaft.

Es war, als sähe ich einen Film. Ich stand total neben mir und dachte die ganze Zeit: Das gibt’s doch gar nicht! Man kommt nicht heim und findet seinen Partner tot auf dem Boden. Nicht, wenn man erst Anfang 50 ist.

Eine Woche lang konnte ich so gut wie nichts essen und nur mit Hilfe von Medikamenten schlafen. Mein Hausarzt, der sonst so unnachgiebig ist, hatte mich ohne Theater für zwei Wochen krankgeschrieben.

Jetzt erledige ich und sortiere, informiere Freunde, Bekannte, alte Weggefährten und bereite die Urnenbeisetzung vor. Eine ganz große Unterstützung sind mir zum Glück Gerhards Schwestern.

Wie ein Zombie schleiche ich durch mein Leben. Es kann doch nicht sein, dass alles so ist wie immer, nur der Mann ist nicht mehr da! Immer noch zucke ich zusammen, wenn ein Nachbar die Haustür öffnet und durchs Treppenhaus geht, weil ich wider besseren Wissens denke, gleich geht die Wohnungstür auf und er kommt rein.

Wache ich morgens auf, ist mein erster Gedanke: Er ist tot. Ich werde ich nie mehr wiedersehen. Doch es gibt Momente, in denen ich das vergesse. Wenn ich etwas höre oder lese, das ihn auch interessiert hätte, denke ich automatisch: „Das muss ich nachher Gerhard erzählen!“ – bis mir schmerzhaft bewusst wird, dass das nicht mehr geht.

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Ja, in der letzten Zeit war es schwierig mit uns, und es gab Momente, da wäre ich am liebsten aus unserem gemeinsamen Leben schreiend weggerannt. Trotzdem … er fehlt mir. Wir haben zwei Drittel unseres Lebens miteinander verbracht. Jetzt ist er fort und ich bin übrig. Alle unsere Pläne stehen in Frage. Ziehe ich das alleine durch, was wir gemeinsam vorhatten? Werde ich jemals aufhören, ihn zu vermissen? Ist mein Leben jetzt vorbei? Tapere ich für den Rest meiner Tage alleine durch die Welt, und niemanden schert es mehr, ob ich da bin oder nicht?

Nein, das letzte Jahr will ich nicht zurückhaben. Es war schon sehr überschattet von Krankheit und Problemen. So wäre es auf Dauer auch nicht weitergegangen. 2011 hätte er die Weichen anders stellen müssen und eine Therapie fortführen sollen anstatt sie abzubrechen. Dann hätten wir eine Chance gehabt, zusammen alt zu werden. Er hat sich anders entschieden.

Als er sich an Silvester zu krank fühlte, um fürs Feuerwerk aufzustehen, bin ich ohne ihn rausgegangen. Und da schoss mir durch den Kopf: ‚Wer weiß, vielleicht stehe ich nächstes Jahr an Silvester allein auf der Welt, nicht nur allein auf dem Balkon.‘ Ich habe den Gedanken schnell beiseitegeschoben. Aber irgendwie habe ich wohl schon geahnt, was ich jetzt immer noch nicht fassen kann: Ich muss ohne meinen Gefährten weiterleben.

SterbebildLoew

14 Kommentare

  1. Liebe Edith,

    wir haben uns ja schon gegenseitig auf Facebook geschrieben. Darum mache ich hier keine großen Worte. Ich möchte Dir nur zeigen, dass ich Deine sehr einfühlsame und nachvollziehbare Sichtweise gelesen habe und mitfühle. Ja, die Vorstellung plötzlich ohne Partner da zu sein oder ihn tot aufzufinden, ist eine Horrorvision, unabhängig davon, wie lange wir mit einem Menschen verbunden waren, sind oder wie diese Beziehung war oder ist …

    Ich wünsche Dir ganz viel Kraft zum Verarbeiten, Loslassen und neu Anfangen!!! Mehr kann ich dazu nicht sagen, denn die richtigen Worte für solch ein Ereignis zu finden, fällt mir schwer.

    Sei ganz herzlich gegrüßt und fühl Dich virtuell umarmt, wenn Du magst,

    Sabina

  2. Liebe Edith,

    es ist ja schon viel geschrioeb en worden und gute Ratschläge gibt es eine Menge. Du hast etwas aufgeschrieben, das ist eine gute Idee und der würde ich weiter folgen.
    Wenn etwas mehr Zeit vergangen ist, dann würde ich dir empfehlen, doch mit ihm zu sprechen, so mache ich das schon seit Jahren und spreche mit meiner Mutter, die vor drei Jahren verstarb und mit meinem Vater, der uns 1976 verließ, infolge eines Verkehrsunfalls.
    Den Schicksalsschlag zu „verdauen“ ist die eine sache und weiter zu leben, die andere. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn meine Christel vor mir gehen würde?
    Wir haben unsere Schicksalsschläge immer mit dem aufschreiben kompensiert…
    Du weißt, was ich dir alles wünsche in meinen Gedanken jedenfalls bin ich oft bei dir.
    Lieben Gruß

  3. Liebe Edith,

    ich wünsche dir viel Kraft um das alles zu überstehen.
    Schön, dass du alles aufgeschrieben hast, man soll nicht alles in sich hineinfressen.

  4. Liebe Edith,

    es wirft einen immer aus der Bahn, wenn man einen geliebten Menschen verliert, vor allem, wenn man sich so aneinander gewöhnt hat. Vielleicht muss es das aber auch, damit man nicht wieder in diese altgewohnten Bahnen zurückkehrt, sondern den Abschiede auch als einen notwendigen Neubeginn begreift. Das Leben wird anders sein als bisher, man wird sich umstellen müssen, doch wird es weitergehen. Wir haben keinen Einfluss darauf, wie lange es währt, aber wir können es nach Kräften selber weitgehend gestalten. Mach eine Pause, spüre die Kraft, die sicher zurückkehren wird. Und dann tue das, was du selber angedeutet hast. Bestimme deine Position und mach dich auf den Weg, der dir als der Richtige erscheint.
    Ich wünsche dir ganz viel Kraft dabei und viele gute Jahre.

  5. Liebe Edith,

    auch wenn ich ziemlich ratlos bin, welche Worte ich dir denn schreiben soll – so möchte ich mich doch auch melden. Wir sind in etwa gleich alt, und wenn ich mir vorstelle, ich käme eines Tages heim … Schrecklich!

    Ich wünsche dir ganz viel Kraft, damit du diesen Einschnitt in deinem Leben gut verarbeiten kannst und neue Perspektiven findest und Freude im Leben gewinnst. Natürlich geht das Leben weiter, wie du schreibst, im Moment erscheint dir das so absurd, doch ich wünsche dir, dass du eines Tages nur noch liebevoll und dankbar zurückblicken wirst können, ohne Schmerz und Trauer.

    Ganz liebe Grüße aus Wien
    Daniela

  6. Liebe Edith,
    im Gegensatz zu den meisten deiner Freunde, die dir hier Trost spenden, hat mich diese Art der Katastrophe schon zweimal in meinem Leben ereilt. Ich weiss also, wovon ich spreche. Vielleicht mag es dir zu früh erscheinen für Worte und Gedanken dieser Art, aber Ich kann dir vor allem eines versichern:

    Dieser Zustand der Trauer, des Schmerzes und das Gefühl des Verloren- und Verlassenseins geht tatsächlich vorüber und meistens sogar schneller, als du vielleicht jetzt glauben möchtest, auch wenn du deinen Partner noch so geliebt hast! Natürlich vergisst man seine langjährigen Weggefährten nicht von heute auf morgen, das ist auch gut so. Aber ebenso mächtig und gelegentlich sogar erregend werden sich zunehmend Gedanken in dein Bewusstsein schleichen, an denen du Gefallen finden wirst. Du gewinnst nämlich eine neue, lang nicht mehr gekannte Freiheit, die dir auch ganz schnell neue Hoffnung und neue Energie, also neuen Lebensmut geben wird. So wie ich dich kenne, gehörst du nicht zu diesen bigotten Weiblein, die nun den Rest ihres Lebens in Sack und Asche herumlaufen und den Tag mit Seufzen und Gängen zum Friedhof verbringen.

    Deshalb – trauere und heul dir die Augen aus dem Kopf, denn das muss sein, auch schon um deiner selbst Willen. Aber wie gesagt, die Kirche im Dorf lassen und vor allem – keine Angst vor der Zukunft! Sie hält nämlich sicherlich noch viele schöne Überraschungen für dich bereit ! Welch besseres Beispiel dafür gibt es denn als mich und mein Leben? ich bin eine alte Socke, klar, aber grade deswegen ist es doch nahezu unglaublich, welche Wendung mein Leben vor drei Jahren genommen hat und wie aufregend seitdem jeder Tag für mich geworden ist …. Ich hätte das nie gedacht!

    Ich drück dich ganz fest!
    Du packst das schon
    Canta

  7. Liebe Edith,
    das ist eine traurige, anrührende und trotzdem (im hintersten Eckchen) hoffende Geschichte, die das Leben schrieb. Wenn ich Euch nicht gekannt hätte, wäre mir dabei schon die Gänsehaut rauf und runter gerannt und so ist es einfach unvorstellbar.
    Die Traueranfangszeit, in der man sicher nur einen Schritt nach dem anderen macht, wird sicherlich einem Alltag weichen, in dem die Abstände des „Drandenkens“ immer größer werden, was nichts mit Vergessen zu tun hat, sondern mit Akzeptieren.
    Ich wünsche Dir viel Kraft und das bedeutet auch, mal alles fahren zu lassen und loszuheulen, denn der „Geschäftsfrauenmodus“ muss nicht konsequent den ganzen Tag angeschalten sein.
    Ich kenn‘ Dich und ich denk‘ Du wirst diese nach außen hin getragene „Rotzigkeit“ als Schutzschild vor Dir her tragen. Wenn es Dir gut tut, dann ist dies ein Überlebensmechanismus. Es muss aber auch Platz sein für sich „Fallenlassenkönnen“. Wenn Dir danach ist, ruf an, komm vorbei und quatsch mir die Ohren voll.
    Das „Heilen“ wird in Wellen passieren und Du wirst spüren, dass man darauf nicht immer (oder sogar selten) Einfluss hat und sich davon auch manchmal tragen lassen muss.
    Ich drücke Dich und reserviere schon mal an Silvester einen Platz bei uns am Fonduetisch.
    Alles Liebe: Ute

  8. Liebe Edith,

    du schreibst so wunderbar herzergreifend. Diese Fähigkeit bewunderte ich schon früher an dir.
    Leider ist es dieses Mal keine Geschichte, an der sich deine Leser erfreuen können, sondern du beschreibst das Ende eines gemeinsamen Lebensabschnittes. Eures. Eines Supergaus. Für ihn und für dich.
    Ich wünsche dir die Kraft und die Stärke, irgendwann voller Dankbarkeit zurück zu blicken auf die vielen Jahre Gemeinsamkeit.

    Liebe Grüße aus Frankfurt von mir, der Elke…

  9. Liebe Edith, vielleicht findest Du ja diesen Text passend den ich mal geschrieben aber noch nicht benutzt habe:

    Vor einigen Jahren war ich mal dabei als man einem kleinen Jungen, so zwei Jahre alt, wortreich und schonend versuchte zu erklären daß sein Opa verstorben ist.

    Er hörte sich das Ganze an um dann nur zu sagen: „Weg isser.“

    Bei Beerdigungen wird üblicherweise eine Trauerrede gehalten, beispielsweise von einem Pfarrer. Da wird dann über das Leben des Verblichenen berichtet. Und es wird versucht die Angehörigen zu trösten, man bringt ihnen die neue Situation bei.

    Was diese Trauerredner mit vielen Sätzen versuchen hat dieser kleine Junge mit drei Worten fertiggebracht und es besser zusammengefaßt als sie es je können. Weg isser. Er ist weg. Punkt. Aus.

    Genau das ist es. Dieser Mensch war immer da, und jetzt ist er es nicht mehr und wird es nie mehr sein. Das ist jetzt das Entscheidende, nicht das was er getan und erreicht hat. Natürlich, man erinnert sich an ihn, und viele Dinge tragen noch seine „Duftmarke“. Aber er ist weg. Man hat ihn verloren, für immer, nichts und niemand kann ihn je zurückbringen.

    Vielleicht ist es ein Trost daß die Lücke die nun entstanden ist im Lauf der Jahre mit einem unmerklichen Schleier bedeckt wird. Sanft, geräuschlos, aber irgendwann ist der Schmerz nicht mehr so stark.

    Er ist weg, aber das Leben ist freundlich und geht gnadenlos weiter.

  10. Mir fehlen die Worte. Ich kann sowas nicht gut. Ich möchte dir nur sagen, dass ich dir ganz viel Kraft wünsche und dass du nach und nach lernst ohne ihn zu leben. Er wird immer in deinem Herzen bleiben und du wirst ihn so in Erinnerung behalten, wie du ihn am meisten geliebt hast.

    Ganz liebe Grüße und eine virtuelle Umarmung
    Nadine (Booklooker)

  11. Liebe Edith,

    auch an dieser Stelle nochmal meine aufrichtige Anteilnahme. Ich finde diesen Rückblick schön und sehr berührend. In einer Todesanzeige habe ich einmal den Spruch gelesen: „Mit dem Tod eines Menschen verliert man vieles, aber niemals die mit ihm verbrachte Zeit.“ Und wenn ich Deinen Text lese, habe ich das Gefühl, das das stimmt. Ich wünsche Dir viel Kraft für alles, was noch kommt.

    Viel liebe Grüße
    Petra

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