Der letzte Weg

Zugegeben, ich hatte Angst vor der Urnenbeisetzung. Zwar wusste ich, dass ich es bei dem Bestattungsinstitut mit Profis zu tun habe, aber ob ich den Spagat zwischen Mit-Organisatorin/Zeremonienmeisterin einerseits und emotional betroffener Hinterbliebener andererseits schaffen würde? Gerhards Schwester, mit der zusammen ich die Feier hauptsächlich organisiert habe, ging es ähnlich.

Es war ja eine nichtreligiöse Zeremonie. Entsprechend war auch die Musik weltlich und von der CD:

  • Our Last Summer (Abba)
  • Who Wants to Live Forever (Queen)
  • Tears in Heaven (Eric Clapton)

Wir hatten unsere Gründe für diese spezielle Musikauswahl und ahnten, dass sie nicht den Beifall der älteren Generation finden würde. Sei’s drum.

Dem Freiredner hatte ich eine Datei mit Gerhards Lebensgeschichte zur Verfügung gestellt. Den Text haben wir vor drei Jahren mal für einen anderen Zweck aufgesetzt. Das erwies sich als sehr hilfreich. Die Rede war sehr schön, sehr emotional und sehr persönlich. Was halt blöd ist: Die Akustik in der Aussegnungshalle ist nicht so toll. Wer schlecht hört, verstand nicht viel. Mein Vater war prompt am Nörgeln und schob es auf den Redner, aber selbst wenn ein Tagesschausprecher oder ein Burgschauspieler gesprochen hätte, hätte er’s akustisch nicht mitgekriegt.

Über die Qualität der Musikwiedergabe hätte Gerhard sicher gemeckert. Da war er ja Perfektionist. Und darüber, wer zur Feier zu spät kam, hätte er vermutlich gelacht.

Ein alter Freund von ihm, der katholischer Priester ist, kam eigens aus Bayern angereist und entschied sich nach anfänglichem Zögern, an der Urnenwand doch noch ein paar Abschiedsworte zu sprechen. So war die Zeremonie nicht ganz so weltlich … für die Trauergäste, die es doch gerne ein bisschen religiöser gehabt hätten.

Es werden wohl um die hundert Leute dagewesen sein. Viele kannte ich gar nicht. Gerhard hatte doch einen wesentlich größeren Bekanntenkreis als ich. Auch viele alte Weggefährten sind erschienen, die wir seit unserer Kindheit oder Teenagerzeit kannten, zum Teil seit 10 Jahren und länger nicht gesehen hatten und die oft weite Wege auf sich genommen haben.

Es hat alles reibungslos geklappt. Ich bin auch nicht vor allen Leuten heulend zusammengeklappt. Aber Sozialkontakte empfinde ich immer noch als ungeheuer anstrengend. Anstrengender noch als sonst. Ich war heute bei meinem Vater, der Geburtstag hat (88!), und es fiel mir ungeheuer schwer, nett und freundlich die Gäste zu umsorgen und so zu tun, als sei nichts. Ich war froh, als ich wieder nach Hause durfte. Am wohlsten fühle ich mich derzeit in meiner heimischen „Nebelhöhle“.

Ich hoffe, dass man nicht von mir verlangt, allzu schnell zur Tagesordnung überzugehen und zwei Drittel meines bisherigen Lebens ratzfatz zu den Akten zu legen. Dazu bin ich nicht in der Lage.

Mein Cousin meinte, in den 60-er Jahren habe man einem Menschen ein Jahr Trauerzeit zugebilligt, in den 80-ern gerade noch ein halbes Jahr, und wenn heute einer nach sechs Wochen immer noch nicht wieder auf dem Posten ist, gelte er als Fall für den Psychiater. Das habe er gelesen und auch so beobachtet. Ich glaube ihm aufs Wort.

Ich hoffe, ich bekomme die Zeit, die ich brauche, um mit dem Verlust fertigzuwerden und mein Leben neu zu sortieren. Irgendwie steht ja gerade alles wieder auf Anfang. Und wer mich kennt, der weiß, wie schwer ich mich mit Veränderungen im Allgemeinen tu. Und damit, nicht alles durchplanen zu können und unter Kontrolle zu haben.

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9 Kommentare

  1. Liebe Edith
    Das hast du sehr schön beschrieben. Und nimm dir soviel Zeit wie du brauchst. Ich habe vor über drei Jahren einen lieben Menschen verloren und habe heute noch schwere Momente. Ich hoffe, dass deine Mitmenschen das nötige Verständnis aufbringen und dich nicht abspeisen mit Worten wie „Ach, hab dich nicht so“ und so ein Zeugs. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft, meine Gedanken sind bei dir.
    Liebe Grüsse
    Trudi

  2. Sehr schöne Musikstücke, Edith, die allein mich schon zum Heulen gebracht hätten. Merkwürdig, je älter ich werde, umso emotionaler und dünnhäutiger werde ich. Der Tod schlägt Wunden, und nur die Zeit ist in der Lage, sie zu heilen – wenn überhaupt. Darum hatte man diese Zeit früher auch. Heute muss man sie sich nehmen. Die Welt ist so schnell geworden in allem, man meint, man höre sie manchmal keuchen wegen des Tempos. Uns allen fällt es schwer mitzuhalten, doch es ist nichts Schlimmes, anzuhalten und stehenzubleiben. Man muss sich umschauen, um die Veränderungen wahrzunehmen und alles neu zu bewerten.
    Und auch wenn alle einem einreden wollen, man sei doch stark, so sieht es tief drinnen oft ganz anders aus. man fühlt die eigene Schwäche, die Hilflosigkeit, und es ist gut so. Wir sind alle keine Helden, die alles einstecken und abhaken können – und wir wollen das auch nicht. Denn es ist die Menschlichkeit in uns, die uns eben auch ausmacht. Und die wollen wir niemals aufgeben.
    Fühl dich gedrückt.

  3. Habe nicht geahnt, liebe Edith, dass wir s dich beisammen sind, als ich Musikauswahl und die Wahl der Bestattungszeremonie las. Es ist gut, dass dieser Schlusspiunkt gesetzt ist und nun ein anderer Alltag beginnt. Es wird ein Alltag sein, an dessen rytmus du dich allmählich gewühnen wirst und dein Gerhard wird dennpoch immer wieder irgendwo präsent sein. Es ist ein guter neuer Anfang für dich und ich drücke dir alles dafür, dass du ihn meisterst.
    Lieben Gruß, Rainer

  4. Es war eine schöne Beerdigung, wenn das Wort „schön“ in dem Fall passt.
    Bei der Musikauswahl hatte ich auch Zweifel ob die alten Herrschaften ohne Englischkenntnisse mitkommen, aber das ist sowas von egal.
    Die Zeremonie (und auch der Gang zur Urnenwand) hatte etwas Unwirkliches und war trotzdem sehr ….
    wenn ein Wort annähernd passt… Friedliches.
    Das Wetter war keines, die Menschen waren traurig aber sie funktionierten.
    So eine Stimmung lässt sich ganz schwer beschreiben. Ich denke, es war alles richtig und gut.
    Während der Rede des Sprechers kam mir ein uralter BAP- Text in Bruchstücken in den Sinn:
    (Ich habe es gleich übersetzt aus dem Rheinländischen -nun reimt es nicht nicht mehr).

    Manchmal sitze ich hier herum, und ich frage mich, warum
    es so kommen musste, wie es kam, wie es jetzt ist.
    Und ich sage mir, dass es irgendwo weitergehen muss – geradeaus.

    Noch hängt dein Bild an der Wand und macht mich regelrecht krank.
    Ich habe deine Stimme noch im Ohr, und ich frage mich nur,
    ob das alles nichts war in den letzten paar Jahren mit dir.

    Ab und zu merke ich dann, wie gut es tun kann,
    wenn man Luftschlösser baut und auf Zufälle vertraut,
    gar nichts mehr plant, auf gar nichts mehr wartet, nur so.

    Dann wird alles verdrängt, weil sonst nichts mehr etwas bringt,
    weil sonst himmelblau grau wird und mir alles zuviel wird,
    weil in jedem Gedanken ein Bild von dir steckt –

    Es war schön, es war gut, am Ende zu kurz.
    Tausend und eine Nacht, wo Donner und Blitz kracht,
    ein Film ohne Schluss, wo nichts ist, wie es muss – geradeaus.

    Ich denk ab und zu daran, an das, was ich noch hab
    was mir keiner mehr nimmt, weil es wahr ist und stimmt,
    an das Stück „Ich“ von dir und das Stück „Du“ von mir – geradeaus.
    (Zitat Ende)

    Das war vielleicht der tröstlichste Gedanke in der Rede.
    Dass nichts verloren geht.

    Liebe Grüße: Ute

    1. Ja, das fand ich auch. Das war so die Essenz dessen, was der Redner meinte.
      Das Lied, das er öfter zitierte, muss ich mal recherchieren. Ich krieg das Redemanuskript, aber erst in drei bis vier Wochen, vorher kommt er nicht dazu.

  5. Liebe Edith,
    ich wünsch Dir alle Zeit der Welt, die Du brauchst um den Verlust verkraften zu können und Dein Leben allein zu meistern.

    (Dein Cousin hat im Übrigen Recht … in den Achtzigern ist mein Vater gestorben, und als wir nach den 6 Monaten immer noch „teilweise“ schwarz trugen, weil noch in Trauer waren, wurden wir blöd angemacht … ) …

    Ich wünsch Dir einfach Kraft.

    lg
    Klarissa

  6. Liebe Edith,
    nimm dir alle Zeit, die du brauchst und hör nicht auf die, die dir anderes erzählen. Gut, dass es in deiner Nähe Menschen gibt, die es besser wissen und dich offenbar stützen. Mich hat eben sehr bestürzt zu lesen, dass du schon wieder Gäste betreuen musstest – auch, wenn es dein Vater war. Ich hätte das nicht gekonnt. Viel Kraft wünsche ich dir, und dass der Schmerz mit der Zeit nicht mehr so schlimm ist. Und dass du ihn ertragen kannst und – wenn auch nicht in unmittelbarer Nähe – Menschen da sind, die ihn dir ertragen helfen! Ganz viele liebe Grüße!

  7. LiebeEdith, ich schließe mich meinen Vorrednern an: Nimm Dir alle Zeit, die Du brauchst. Das mit dem Trauerjahr hat meiner Meinung nach schon seine Richtigkeit, denn das ist das Jahr, in dem man vieles zum ersten Mal ohne den geliebten Menschen machen muss: Geburtstag und sonstige Familienfeiern, alle Jahreszeiten, Weihnachten, Silvester… Aber Du wirst es schaffen, egal, in welchem Tempo. Alles Gute.

  8. Auch mein Charly wollte eine Urnenbeisetzung und die bekam er. Er hatte sich ein Lied von Peter Mafay gewünscht und es bekommen. Die Grabrede habe ich selber geschrieben und jeder von uns las einen Satz davon vor. Danach saßen wir zusammen und haben über ihn gesprochen. Meine Tochter meinte dazu:“ er freut sich , dass wir ihn alle so lieb haben, wahrscheinlich sitzt er auf einer Wolke und schaut uns zu.“ Alles Liebe

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