Unerledigte Posten

Da standen wir nun mitten im Leben, der Mann und ich, und hatten das Gefühl, wir hätten alle Zeit der Welt. Was wollten wir nicht alles noch zusammen unternehmen! Nicht nur amtliche und schriftliche Angelegenheiten haben wir auf die lange Bank geschoben, bis es zu spät war.

Seit Jahren redeten wir von einem Hubschrauber-Rundflug. Der Anbieter, den wir erst im Auge hatten, verschwand vom Markt. Irgendwann schleppte ein Bekannter eine andere Adresse an, aber wir haben nie die Kurve gekriegt, da wirklich einen Termin zu vereinbaren.

Das Mercedes-Museum, das ja bei uns fast vor der Haustür liegt, werde ich nun zusammen mit meinen Kollegen besuchen. Wir beide haben es nie geschafft. Die Bahamas hätten wir irgendwann gerne noch einmal gesehen, auch wenn unsere Freunde nun nicht mehr dort leben. Und Gran Canaria. Das habe ich, als wir 1999 dort Urlaub machten, nur am Rande mitgekriegt, weil ich so entsetzlich erkältet war. Island wäre auch so ein Ziel gewesen, das in unser Beuteraster gepasst hätte. Geredet haben wir oft davon, hingeflogen sind wir nie.

Foto: © Edith Nebel
Foto: © Edith Nebel

Meine Fotos von New York und Montreal habe er nie gesehen, hat er an Weihnachten noch gesagt. Wahrscheinlich hat er es nur vergessen, weil sie nicht so spektakulär sind. Ich war geschäftlich dort und habe außer Besprechungsräumen nicht so wahnsinnig viel gesehen. Und es ist ja auch schon über 10 Jahre her. Damals habe ich noch analog fotografiert. „Ich such sie dir raus“, habe ich versprochen, bin aber nicht mehr dazu gekommen. Erst vergangene Woche habe ich sie herausgekramt. Am Ground Zero waren mein Kollege und ich, vier Monate nach dem Attentat. Wir genierten und ein bisschen, das vor den US-Kollegen zuzugeben, weil wir Angst hatten, sie würden es uns als Katastrophentourismus auslegen. Taten sie nicht. Sie betrachteten es als Ehrerweisung – wie den Besuch eines Grabes.

Mein Elternhaus wollten wir irgendwann mal renovieren und beziehen. Er hatte schon recht konkrete Vorstellungen davon, wie das aussehen könnte. Vielleicht mache ich das dermaleinst alleine. Und anders, weil sich die Bedürfnisse eines Einzelmenschen mit Katzen von denen eines Paares natürlich unterscheiden.

Viel Kleinkram ist unter den unerledigten Posten: Neu gekaufte DVDs und Blue Rays, bei denen er nicht mehr dazu kam, sie anzusehen. Die meisten habe ich verkauft. Alleine mag ich sie mir auch nicht anschauen. Ich ertrage nicht mal mehr seine bevorzugten Fernsehsender mit den vielen Dokus. Die Sender, die wollte er auch noch sinnvoller anordnen. Ich lasse das jetzt mal so, weil ich weder Zeit noch Nerv habe, mich mit dem System auseinanderzusetzen. Das muss ein ziemlicher Sch*** sein, denn er hat immer so geflucht, wenn er da was umsortiert hat.

Ein Modellhubschrauber, den er zusammenbauen wollte, steht auch noch originalverpackt in der Ecke. Jetzt muss ich mich doch mal intensiver um dessen Verkauf kümmern.

Blöderweise habe ich nie gefragt, wie die Bekannte, der er ein paar meiner Bücher geliehen hat, mit Nachnamen heißt. Ich habe mich darauf verlassen, dass sie sich schon über den Weg laufen werden und er mir die Bücher wieder zurückbringt, wenn sie sie ausgelesen hat. Was nicht der Fall war. Jetzt ist er als Bindeglied ausgefallen, wir zwei Hübschen kennen einander nicht persönlich, und meine Bücher sind verloren. Zwei habe ich mir schon nachgekauft, weil es Bestandteile einer Reihe sind, die immer noch läuft und über die ich weiterhin schreibe. Gelegentlich muss ich da was nachschauen können.

Und den Aue-Comic aus der Motorradzeitschrift, bei dem es heißt „Wir unterbrechen diesen Comic für eine kleine Physikstunde: Benzin + Feuer = fump“, ehe der Tank des Mopeds explodiert, habe ich leider auch nicht mehr rechtzeitig auftreiben können.

Vermutlich haben wir gar nicht übermäßig viel aufgeschoben. Normal, halt. Weil wir stillschweigend und naiv davon ausgegangen waren, eine normale Lebensspanne zur Verfügung zu haben. Und weil niemand ernsthaft damit rechnet, dass einer mit 53 plötzlich tot umfällt.

Foto: © Gerhard Loew
Foto: © Gerhard Loew

3 Kommentare

  1. Geht das überhaupt, von dieser Welt zu gehen, so ganz ohne offene Baustellen? Es ist doch normal und wünschenswert, dass man Pläne hat und damit geht man das Risiko ein, dass man früher stirbt als der letzte Meilenstein erreicht ist.

  2. Ganz ohne unerledigte Posten wird wohl niemand gehen. Aber wenn jemand schon sehr alt und/oder lange krank war, ist manches schon unter „hätte ich gerne gemacht, ist aber leider nix draus geworden“ abgehakt. Mein Vater hätte gerne die Pyramiden gesehen. Und Kanada. Und Ostafrika. Hat er in jungen Jahren nicht geschafft, und nun ist er nicht mehr fit genug. Akte geschlossen.

    Wird jemand im laufenden Galopp aus dem Leben gerissen, bleibt so eine Art empörter Aufschrei: „He, hallo, das ist jetzt aber unfair! Wir wollten doch noch ….!“

    … In der Stuttgarter Stadtbibliothek Fotos machen. Das wollten wir auch noch. Ist mir nachträglich eingeallen.

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