Lyndsay Faye: Der Teufel von New York – Roman

Lydsay Faye: Der Teufel von New York, OT: The Gods of Gotham, aus dem Englischen übersetzt von Michaela Meßner, München 2014, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-24993-5, Softcover/Klappenbroschur, 476 Seiten, Format: 20,8 x 13,4 x 4 cm, Buch: EUR 15,90 (D), EUR 16,40 (A), Kindle Edition: EUR 13,99, Audiobook: EUR 15,99.

Abbildung: dtv
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„Bringen Sie Ihre Arbeit zu Ende und lassen Sie das hier aufhören“, murmelte ich heiser. „Machen Sie ganz, was zerbrochen ist. Mein Gott, wer auch immer aus deinen unsichtbaren Heerscharen mir jetzt zuhören mag, was zur Hölle soll ich jetzt tun?“ (Seite 293)

New York 1845. Der Barkeeper Timothy „Tim“ Wilde hat als Zehnjähriger bei einem Brand sein Zuhause und seine Eltern verloren. Sein sechs Jahre älterer Bruder Valentine, ein draufgängerischer und impulsiver Kerl, hat in aufgezogen. Jetzt verliert Tim durch eine Brandkatatrophe erneut alles: seinen Arbeitsplatz, seine Wohnung und seine Ersparnisse. Schwere Brandnarben entstellen fortan sein Gesicht.

Valentine sorgt dafür, dass sie beide einen Job bei der neu gegründeten New Yorker Polizei bekommen. Val wird Captain, Tim wird als einfacher Streifenpolizist in Five Points, dem Armenviertel des 6. Bezirks eingesetzt. Polizist ist nicht gerade Tims Traumjob, aber besser als nichts. Dass ihm die Ermittlungsarbeit tatsächlich liegt, merkt er erst, als ihm in einer Augustnacht ein zehnjähriges Mädchen in einem blutbesudelten Nachthemd in die Arme läuft. Aibhilin ó Dálaigh heißt die kleine Irin. Bird Daly für alle, die sich das nicht merken können.

Bird tischt Tim eine Lügengeschichte nach der anderen auf. Er kriegt trotzdem heraus, dass sie als Kinderprostituierte im Etablissement der Madame Silkie Marsh gearbeitet hat. Wie das Blut auf ihr Hemd kam, ist ihm aber nicht so ganz klar. Hat das was mit dem grausamen Tod des jungen Liam zu tun?

Er quartiert die Kleine bei seiner Vermieterin ein. Verschwände sie in den Mühlen der Fürsorge, würde er die Wahrheit nie erfahren.

Als Bird von rund einem Dutzend ermordeter Kolleginnen und Kollegen berichtet, die ein Kapuzenmann nördlich der Stadt in einem Wäldchen verscharrt haben soll, hält Tim das zunächst für eine von ihren Geschichten. Doch tatsächlich findet die Polizei an dieser Stelle 19 Kinderleichen, die innerhalb der letzten fünf Jahre dort vergraben wurden.

Eine Mordserie! Das kommt jetzt aber sehr ungelegen! Wenn die Polizei diesen Fall nicht aufklären kann, ist sie schneller wieder aufgelöst, als die Cops gucken können. Den anonymen Bekennerbrief, der die Schuld an den Morden den Iren zuschiebt, lässt Valentine verschwinden. In Kürze sind Wahlen, da kann man Unruhen in der Stadt nicht gebrauchen. Die Amerikaner haben ohnehin schon einen Hass auf die Iren, die wegen der Hungersnot in ihrer Heimat zuhauf nach New York strömen. Die Iren sind zahlreich, arm – und katholisch. Damit sind sie in den Augen der protestantischen Amerikaner so eine Art menschenfressende Heiden und nahe Verwandte der Ratten.

Wenn man leugnet, dass es eine Mordserie gibt, muss man sich auch nicht damit auseinandersetzen, denken die hohen Herren. Doch das Morden geht weiter und Tim Wilde hört einfach nicht auf zu ermitteln. Auch dann nicht, als er bedroht wird und nur knapp einem Mordanschlag entgeht. Es kann nicht sein, dass hier Dutzende von Kindern abgeschlachtet und verscharrt werden und niemanden interessiert’s, nur weil es sich bei den Opfern um arme irische Immigranten handelt.

Tim ist als Polizist talentierter als ihm selber lieb ist. Er enthüllt nicht nur schreckliche Komplotte und übelste Machenschaften – er fördert im Rahmen seiner Ermittlungen auch ein paar unschöne Geheimnisse der Menschen zutage, die ihm am nächsten stehen. Nicht unbedingt zu deren Freude …

DER TEUFEL VON NEW YORK ist ein sorgfältig recherchierter, atmosphärisch dichter historischer Roman mit Thriller-Elementen. Die Sprache ist ungemein bildhaft und poetisch, obwohl man sich kaum vorstellen kann, dass ein ungebildeter Prolet wie der Ich-Erzähler Tim Wilde solche Sätze formulieren kann: „Und in jeder Nacht fühlte sich jeder Luftzug an, als hauche einem jemand seinen Atem auf die Haut, es verlangsamte alle Bewegungen zu träge stockenden Anläufen.“ (Seite 13)

So schön das ist – für ungeduldige Leser, die die Mordfälle gelöst haben wollen und keinen Nerv dafür haben, sich auf Bilder und Stimmungen einzulassen, verlangsamt dies doch sehr den Lesefluss. Ein weiteres bremsendes Element ist die Tatsache, dass viele aus dem Milieu, auch Tims Bruder Valentine, die Gaunersprache „Flash“ sprechen. Die Übersetzerin Michaela Meßner hat diesen Code mit Elementen aus dem Rotwelschen des 19. Jahrhunderts nachempfunden. Einige der exotischen Vokabeln und Redewendungen erklären sich selbst, andere lernt man mit der Zeit, manche werden auch im Glossar auf Seite 475 ff. erklärt. Manchmal übersetzt auch eine Romanfigur wenig später das Gesagte in korrektes Deutsch. In dem Fall hat man sich dann vergeblich bemüht, den rotwelschen Text selbst zu entschlüsseln. (Wer Jiddisch versteht, hat übrigens einen kleinen Vorteil – es gibt da einige Überschneidungen.)

Manchmal denkt man beim Lesen schon: „Jetzt quasselt nicht so viel und findet endlich den Kapuzenmann!“ Und Tim Wildes Angebetete, die wohltätige Pfarrerstochter Mercy Underhill dürfte für viele Leser auch eine recht überflüssige Figur sein. Sie nervt. Eine strubbelige fromme Zicke in schlampigen Klamotten, die jede Frage mit einer Gegenfrage beantwortet. Wenn sie nicht wäre, ginge die Story sicher ein bisschen schneller voran.

Am Schluss gibt’s ein bisschen sehr viele Sünder, Täter und Tatbeteiligte. Aus der Geschichte kommt so gut wie keiner sauber raus.

Wem klar ist, worauf er sich einlässt, bekommt ein außergewöhnliches Leseerlebnis geboten. Wer aufgrund des Klappentextes einen rasanten Thriller erhofft, wird enttäuscht sein. Auf dem Backcover steht, dass dies der erste Band einer Serie sei. Was all jene freuen wird, die von Lyndsay Fayes Art zu erzählen begeistert sind.

Die Autorin
Lyndsay Faye gehört zu den authentischsten New Yorkern, nämlich denen, die woanders geboren wurden. Sie hat Englisch und Schauspiel studiert und war jahrelang als Schauspielerin tätig. Mit ihrem Mann und ihren Katzen lebt sie in Manhattan.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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