Jürgen Seibold: Endlich frei. Baden-Württemberg-Krimi

Jürgen Seibold: Endlich frei. Baden-Württemberg-Krimi, Tübingen 2014, Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-1346-4, Softcover, 245 Seiten, Format: 11,8 x 2,2 x 18,8 cm, Buch: EUR 9,90, Kindle Edition: EUR 7,99.

Abbildung: (c) Silberburg-Verlag
Abbildung: (c) Silberburg-Verlag

Samantha Wolff ist stinksauer. Ihr Freund Fritz kann doch nicht einfach das Haustürschloss auswechseln und sie eiskalt abservieren! Erbost schlägt sie ein Kellerfenster ein und stürmt in die Gaildorfer Villa um dem Ex ordentlich die Meinung zu geigen. Doch Fritz Harlander, ein wohlhabender Ex-Unternehmer 60+ sitzt tot auf seinem Sofa. Erdrosselt!

Diese Entdeckung hat Harlanders bulgarische Putzfrau Ariana Inkiova auch schon gemacht. Allerdings hat sie nicht die Polizei gerufen sondern im gestreckten Galopp das Haus verlassen. Sie ahnt, dass man sie verdächtigen wird. Dass umgehend ihre komplette Roma-Schwiegerfamilie zu ihrer Unterstützung anreist, macht die Sache für sie eher schwieriger als leichter.

Für Kriminaloberkommissar Alexander Maigerle und seine Kollegin Susanne Forberger vom Kriminaldauerdienst Schwäbisch Gmünd ist Harlanders neugierige Nachbarin Rosalinde Schumm ein wahrer Glücksfall. Sie wohnt ihm gegenüber und weiß haargenau, wer das nachbarliche Grundstück betritt. Sogar mit exakter Uhrzeit. Im Gegensatz zu ihrem Mann muss sie sich auch keine Notizen machen, sie kann sich das alles noch merken. 😉 Samantha Wolff hat sie ebenso vorfahren gesehen wie die Putzfrau Ariana, den ghanaisch-dänisch-schwäbischen Paketboten Kofi und einen ihr unbekannten Handwerker.

Einen Tatverdächtigen hat Frau Schumm auch gleich parat: Harlanders direkten Nachbar, den pensionierten Lehrer Hebert Lurcher, 68. Zwischen den beiden herrscht schon seit fast 40 Jahren Krieg. Doch Lurcher kann es nicht gewesen sein. Er war seit dem frühen Morgen im Spiegelberger Wetzsteinstollen, um sich dort eine Bergbauführung vorzubereiten und ist dort nach einer Explosion verschüttet worden. Der Handelsvertreter Chris Follath, der gerade in der Nähe des Stollens eine Pinkelpause eingelegt hat, war Zeuge des Unglücks. Die örtliche Feuerwehr hat alle Mühe, den pensionierten Lehrer aus der eingestürzten Höhle zu befreien. Ein besseres Alibi gibt es nicht.

Der Mordfall Fritz Harlander liegt nun in den Händen zweier Kriminaloberkommissare von der Kripo Waiblingen: Klaus Schneider, 50, Familienvater und Porschefahrer und Rainer Ernst, 47, der neuerdings wieder Single ist.

Wenn Erzfeind Lurcher nicht der Mörder gewesen sein kann, dann vielleicht einer der zahlreichen anderen Gegner des Opfers? Harlander war kein sehr angenehmer Mensch und bei seiner Firmenpleite vor vielen Jahren ist es angeblich nicht mit rechten Dingen zugegangen. Mit seinen häufig wechselnden Freundinnen ist er auch nicht gerade zimperlich umgesprungen.

Warum eigentlich interessiert sich die Roma-Verwandtschaft von Harlanders Putzfrau so für den Fall? Wollen sie den Mörder selbst zur Strecke bringen, um Arianas Unschuld zu beweisen oder steckt noch mehr dahinter? Was wissen Harlanders Ex-Freundinnen? Wer war der ominöse Handwerker, der am Todestag in der Villa war? Sein Transporter trug keine Aufschrift und es gibt nirgendwo einen Hinweis darauf, dass Harlander jemanden beauftragt hat.

Dass Klatschreporter Ferry Hasselmann überall herumschnüffelt und in den Medien Halbwahrheiten verbreitet, trägt zusätzlich zur Verwirrung bei. Die Polizisten haben zudem noch private Probleme und sind nicht immer so ganz bei der Sache. Maigerle hadert mit dem Schichtdienst, Ernst leidet unter den Nachwirkungen eines Falls, bei dem mit knapper Not einem Bombenattentat entgangen ist und bekommt seine komplizierten Frauengeschichten nicht in den Griff. Schneider sorgt sich um ihn und auch um Kollegin Forberger, die derzeit etwas durch den Wind ist.

Sorgen bereitet ihm auch der Fall Harlander. Da scheint jede Spur in einer Sackgasse zu enden. Erst als ein Hausmeister im Industriegebiet Stadtheide eine ungewöhnliche Beobachtung macht, kommt Bewegung in die Sache …

ENDLICH FREI ist der siebte Band der Reihe um die Kommissare Klaus Schneider und Rainer Ernst. Das merkt man. Für Quereinsteiger ist dieser Band nur bedingt geeignet, denn im Lauf der Jahre haben sich natürlich eine Menge Figuren angesammelt, vor allem auf Ermittlerseite. Alle haben ihre Geschichte und Familie haben sie auch. Da kommt man als Neuling nicht immer mit. Das Lektorat ist bei dieser Personalfülle wohl auch an seine Grenzen gestoßen. Wie heißt der Elektriker? Bernd Stein (Seite 189) oder Werner Stein (Seite 225 ff.?)

Herrlich sind Nebenfiguren wie Rosalinde Schumm. Sie ist der Inbegriff einer naseweisen Nachbarin, die es in dieser unverblümten Neugier nur im Schwabenland zu geben scheint. Klasse ist auch die Motocross-begeisterte Männerwirtschaft der Familie Schwab, vor allem der knitze Urgroßvater. Die tagikomischen Harlander-Ex-Freundinnen haben etwas Berührendes. Irgendwie sind’s arme Socken. Arianas angeheiratete Roma-Sippe gewährt uns Einblicke in ihren Alltag, führt uns aber auch ordentlich in die Irre. (Okay … der Autor macht das.) Der Leser denkt in eine bestimmte Richtung, der Autor in eine andere. Die Auflösung des Falles ist dann raffiniert – und tragisch. Auf Motiv und Vorgehensweise wäre man nicht ohne weiteres gekommen.

Klaus Schneider und Rainer Ernst, die beiden Kommissare, erinnern in manchen Szenen ein bisschen an Loriots „Herren im Bad“: Herr Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner. Da ermitteln sie seit 7 Jahren zusammen, haben in der Zeit Gott-weiß-wie-viele Gefahren gemeinsam durchgestanden und sind immer noch per Sie? Ihre (Ex-)Frauen besprechen die vertraulichsten Dinge miteinander, in der Kollegenschaft duzen sich Hinz und Kunz – doch die beiden Herren bleiben auf Distanz. Sie werden wohl ihre Gründe haben.

Schwäbisch sollte man als Leser schon verstehen, sonst entgehen einem die Feinheiten. Ein paar Nebenfiguren sprechen doch einen deftigen Dialekt. Und sich in der Umgebung von Gaildorf wenigstens der Spur nach auszukennen, ist auch kein Fehler, weil einen sonst die Fülle der Ortsangaben erschlägt. Zum Teil ist es schon von Bedeutung, wo die Leute sich aufhalten und wo sie hinfahren. Für Leserinnen und Leser aus der Region ist dieser Krimi natürlich ein besonders Vergnügen, weil sie sie die Orte der Handlung vor Augen haben. Und wenn sie schon Bände der Reihe gelesen haben, dann wissen sie auch die Anspielungen auf vergangene Fälle und private Ereignisse aus dem Leben der Ermittler richtig einzuordnen. Neue Leser können beim Fall miträtseln, doch auf persönlicher Ebene geht vieles an ihnen vorbei.

Der Autor
Jürgen Seibold, 1960 in Stuttgart geboren, war Redakteur der Esslinger Zeitung, arbeitete als freier Journalist für Tageszeitungen, Zeitschriften und Radiostationen und veröffentlichte 1989 seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher für verschiedene Verlage (Heyne, Moewig, Knaur) mit einer verkauften Gesamtauflage von rund 1,2 Millionen Exemplaren. 2007 erschien bei Silberburg sein erster Regionalkrimi, 2010 die erste Komödie. Außerdem schreibt er Thriller und Jugendbücher. Jürgen Seibold lebt mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis und macht Musik – wenn er mal Zeit dafür findet.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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