Laline Paull: Die Bienen – Roman

Laline Paull: Die Bienen – Roman, OT: The Bees, Deutsch von Hannes Riffel, Stuttgart 2014, Tropen/ J. G. Cotta’sche Buchhandlung, ISBN 978-3-608-50147-6, Hardcover mit Schutzumschlag, 346 Seiten, Format: 15,3 x 3,8 x 21,7 cm, Buch: EUR 19,95, Kindle Edition: EUR 15,99.

Abbildung: (c) Tropen
Abbildung: (c) Tropen

„Einer Flora ist es nicht erlaubt, Wachs zu produzieren, denn sie ist unrein, und auch kein Bienenharz, denn sie ist ungeschickt, und auch auf Futtersuche darf sie nicht gehen, denn sie kann nicht schmecken. Sie soll ihrem Schwarm nur dienen, indem sie für Sauberkeit sorgt, und alle dürfen über sie verfügen.“ (Seite 118)

Als Biene Flora 717 frisch entpuppt aus ihrer Zelle schlüpft, landet sie mitnichten in einer heilen Biene-Maja-Welt. Der Bienenstock im alten Obstgarten gleicht eher einem totalitären Staat oder einer gestrengen Sekte. Als Hygienearbeiterin geboren, hat Flora echt die A***karte gezogen. Sie wird nie von Blüte zu Blüte fliegen, sondern zeitlebens als Hausbiene im Stock Putzdienste leisten.

„Stelle eine Priesterin niemals in Frage“, bekommt sie von Schwester Salbei eingebläut. „Arbeiten, gehorchen, dienen“ soll sie – und sonst nichts. Doch Flora 717 ist nicht nur größer, dunkler und ein bisschen zerzauster als die anderen Putzbienen, sie kann auch nachdenken, sprechen und kritische Fragen stellen. Damit, den Dreck der anderen wegzuputzen, ist sie unterfordert und ihre Arbeitskraft unwirtschaftlich eingesetzt. Wer weiß, welche väterlichen Gene bei ihr durchschlagen? Ich vermute, sie ist zur Hälfte eine Kapbiene (Apis mellifera capensis).

Schwester Salbei teilt Flora als Pflegerin auf der Kinderstation ein. Das macht unsere Flora zwar gut und gründlich, aber sie langweilt sich bald. Sie will die Königin sehen, und sie ist es leid, die Schlüpflinge mit Seim zu füttern. Lieber möchte sie mit älteren Kindern arbeiten, was ihr auch gewährt wird. Doch den Job ist sie los, als sie sich weigert, der Fruchtbarkeitspolizei zu gehorchen und ein Larvenkind zu töten, das nicht aus einem Ei der Königin stammt. Eine Arbeiterin hat es gelegt. Und das geht gar nicht: Nur die Königin darf sich fortpflanzen.

Die eigensinnige Flora landet wieder bei der Reinigungstruppe. Unter anderem putzt sie bei den Drohnen, einer naiven, verwöhnten und großspurigen Bagage. Sie träumen davon, eine Prinzessin zu erobern und als Könige zu herrschen. Hallo? Sehen sie in ihrem Stock irgendwo einen König? Und haben sie schon mal den Begriff „Drohnenschlacht“ gehört? Anscheinend nicht …

Als Flora 717 sich bei einem Angriff auf den Stock mutig einer Wespe entgegenstellt, ist sie plötzlich eine Heldin. Sie wird sogar zur Königin vorgelassen und bekommt Zugang zur königlichen Bibliothek. Schnell fällt sie bei den Priesterinnen und Hofdamen in Ungnade, weil sie sich mehr Wissen anliest, als ihr zusteht. Wenn die vornehmen Damen erst wüssten, was der Leser weiß: Flora kann Eier legen … immer mal wieder eines. Und sie will ihre Kinder auch aufziehen. Doch das ist so gut wie unmöglich. Sie müsste sie so verstecken, dass die Fruchtbarkeitspolizei sie nicht findet. Das Schwarmbewusstsein steht dem entgegen und die unwillkürliche Absonderung von Duftstoffen – was eine Biene tut oder weiß, wissen bald alle. Gefährlich ist es obendrein: Wer der Königin ihr Fortpflanzungs-Monopol streitig macht, wird hingerichtet.

Aber das ist nicht Floras einziges Problem: Die Lage für den Bienenstock ist nicht rosig. Der Sommer ist nass, die Nahrung knapp und die Feinde zahlreich. Ob Wespen, Mäuse oder Mensch, alle sind sie hinter dem Honig her und treiben die Bienen zur Verzweiflung. Wer hier ihre Panik miterlebt, wenn der Imker kommt, wird sich künftig nur noch mit schlechtem Gewissen Honig aufs Brötchen streichen (wenn er/sie nicht ohnehin schon vegan lebt).

Als die Versorgungslage kritisch wird, fackeln die Bienen nicht lange und bauen auf brutale Weise Personal ab. Ähnlich kurzen Prozess machen sie mit Sammlerinnen, die krank zurückkommen oder verseuchten Pollen mitbringen. Die Übeltäterinnen werden hinausgeworfen. Und keine Biene überlebt eine Nacht außerhalb ihres Stocks, heißt es. Als wäre der Nahrungsmangel noch nicht schlimm genug, werden jetzt auch noch massenweise Schlüpflinge krank und sterben. Damit steht die Zukunft dieses Bienenvolks auf dem Spiel. Und der Grund dafür ist dramatischer, als die Bienen-Priesterinnen zunächst annehmen.

Und was ist dran an den Prophezeiungen der angeblich allwissenden Spinnen? Der Winter komme heuer zweimal, sagen sie. Und Flora bekommt von ihnen eine ganz persönliche Voraussage. Wird das ihre Chance sein – oder ihr Untergang?

Der straff organisierte Bienenstock mit seiner aufmüpfigen Heldin ist ein ungewöhnliches Szenario für einen Roman. Und weil die beschriebene Welt gar so fremd ist, muss man sich beim Lesen auch ein bisschen konzentrieren. Das Buch konsumiert man nicht so schnell wie beispielsweise einen Krimi.

Natürlich sind die Bienen mit ihren Gedanken, Gefühlen und Motiven vermenschlicht. Richtige Bienen beten nicht und benutzen für ihre Kehrwoche auch keinen Besen.  Das sind Zugeständnisse an den Leser. Schließlich ist DIE BIENEN kein Sachbuch, sondern ein Unterhaltungsroman. Aber wie es zugeht im Bienenstock, das ist im Groben schon richtig. Manchmal sieht man ein Unheil bereits kommen, auch wenn man nur auf Biologiewissen aus dem Schulunterricht zurückgreifen kann. Anderes muss man googeln, wenn es einem partout keine Ruhe lässt: Gibt es tatsächlich Parthenogenese bei Bienen?

Der Roman ist nicht in erster Linie eine Biologie-Lektion. Es geht um Aufstieg, Liebe, Mut, Gerechtigkeit – und um die Macht und die Gefahr des eigenen Willens. Wenn das Werk den Leser außerdem noch dazu anregt, sich auf der Sachebene weiter mit Bienen zu beschäftigen, ist das bestimmt auch kein Fehler.

Die Autorin
Laline Paull studierte Englisch und Theaterwissenschaften in Oxford, Los Angeles und London, wo sie auch für das Royal National Theatre tätig war. Sie lebt mit ihrer Familie in England. »Die Bienen« ist ihr Debütroman.

Der Übersetzer
Hannes Riffel arbeitet als freier Lektor und Übersetzer in Berlin. Er ist Mitbegründer der Otherland-Buchhandlung und Leider des Golkonda Verlages. Für Übersetzungen von John Clute, Hal Duncan und Paolo Bacgalupi wurde er bereits dreimal mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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