Sibylle Luise Binder: Rosstäuscher. Ein Baden-Württemberg-Krimi

Sibylle Luise Binder: Rosstäuscher. Ein Baden-Württemberg-Krimi, Tübingen 2015, Silberburg Verlag, ISBN 978-3-8425-1396-9, Softcover, Format: 11,8 x 2,7 x 19 cm, Buch: EUR 9,90, Kindle Edition: EUR 7,99.

Abbildung: (c) Silberburg Verlag
Abbildung: (c) Silberburg Verlag

Fritz schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Drei Tote, Drogenhandel, ein Mordsbetrug – und [er] kommt gänzlich ungeschoren davon! Und da soll man den Glauben an die Gerechtigkeit nicht verlieren!“ (Seite 188)

Wenn der berühmte walisische Musiker Sir Corin Llewellyn die Frau an seiner Seite als Lady Llewellyn vorstellt, fällt manchen Leuten erst einmal die Kinnlade runter: Da hätten sie doch etwas Vornehmeres erwartet als die burschikose schwäbische Dorfpfarrerstochter Dr. Friederike Abele, die in Göppingen als Amtsveterinärin tätig ist!

Friederike „Fritz“ Abele kann manchmal selbst noch nicht begreifen, wie sich ihr Leben verändert hat, seit sie mit dem Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper liiert ist. Sie wohnt mit ihm zusammen in einer aufgelassenen Kirche in Eislingen. Allein das ist schon verrückt! Bei ihrer Arbeit hat sie es mit Nutztieren, Landwirten und Tierschützern zu tun, und in Corins Welt begegnet sie Opernsängern, Musikern, Tänzern und der musikbegeisterten High Society.

Bei der Pferdezucht geht’s um viel Geld
Das Gestüt Birkenhof, wo Fritz ihren Lippizanerhengst Siglavy Adorata stehen hat, ist eher ihre Welt. Aber auch da ist nicht alles eitel Sonnenschein: In der Pferdezucht geht es um sehr viel Geld, und das ruft auch den einen oder anderen skrupellosen Geschäftemacher auf den Plan. Einen erwischt sie, als sie einmal spät am Abend in den Stall kommt: Thorsten Bohnen, Bereiter des Springstalls, macht sich gerade mit dem Samen des zweijährigen Rapphengsts Abendstern vom Acker. Was will er damit? Das Tier ist noch nicht gekört, also noch nicht zur Zucht zugelassen. Doch ehe sie dem Mann auf den Zahn fühlen kann, liegt er tot auf der Toilette des Gutshauses. Goldener Schuss!

Die Sanitäterin Steffi, eine Reitkameradin, kennt sich aus mit Junkies. Und der hier hat sich den Schuss nie und nimmer selbst gesetzt! Also ist das ein Fall für Fritz‘ Kumpel bei der Göppinger Kripo, Kommissar Wolfgang Gebhard und seinen Kollegen Charly Winter.

Ein nervöser Fremder mit norddeutschem Akzent soll um die Tatzeit herum mit einem Mietwagen zum Gestüt rausgefahren sein und es dann wie die wilde Jagd wieder verlassen haben. Der Mörder? Auch Thorsten Bohnen kam aus Holstein und hatte dort bis vor wenigen Wochen noch für den Pferdeauktionator und Züchter Hugo Sierksdorf gearbeitet. Den kennt Fritz aus der Zeit, als sie Malente/Holstein ihre Ausbildung zur Fachtierärztin gemacht hat. Sie traut Sierksdorf alles zu, nur nichts Gutes.

Noch ein Toter aus Sierksdorfs Umfeld
Von ihrem ehemaligen Chef aus Malente, Dr. med. vet. Volker Kaminski erfährt sie, dass ein alter Bekannter von ihr, Hugo Sierksdorfs Besamungstechniker Pit Joswig, vor kurzem bei einem mysteriösen Unfall ums Leben gekommen ist. Und dass Sierksdorf jetzt einen eigenen Tierarzt beschäftigt, den sie noch vom Studium her kennt und immer für eine Pfeife gehalten hat: Claas Pfefferkorn. Auf den passt perfekt die Beschreibung des nervösen Norddeutschen, der an Bohnens Todestag auf dem Gestüt Birkenhof gesehen wurde. Das kann alles kein Zufall mehr sein!

Die Kripo in Göppingen ist geneigt, da einen Zusammenhang zu sehen, aber die Kollegen in Eutin haben keine Lust, sich mit dem einflussreichen Hugo Sierksdorf anzulegen und mauern. Fritz kann gerade auch nichts unternehmen, weil sie ihren Musiker auf seine Südamerika-Tournee begleitet. Doch schon in Buenos Aires kriegen sie Krach und sie flüchtet sich zu einem argentinischen Kollegen, den sie schon aus Studienzeiten kennt: Dr. Miguel Sieto-Schmiedbauer. Der will ihr etwas Gutes tun, ehe sie wieder nach Hause fliegen muss, und unternimmt einen Ausflug mit ihr. Durch einen dummen Zufall kommen sie dabei Drogenschmugglern in die Quere – und nur mit knapper Not mit dem Leben davon.

Fritz ermittelt auf eigene Faust
Es mag Einbildung sein: aber in einem der Männer glaubt Fritz einen früheren Nachbarn aus Malente zu erkennen: Andreas Hanke, Sierksdorfs Marketingchef. Das beschert ihr nach ihrer Rückkehr nach Deutschland Polizeischutz, was sie aber nicht daran hindert, auf eigene Faust weitere Nachforschungen anzustellen. Es kann nicht sein, dass Sierksdorf die übelsten Schweinereien abzieht und mit allem durchkommt! Unter falschem Namen und einem glaubhaften Vorwand taucht Fritz auf Sierksdorfs Anwesen auf. Doch einen Mann von seinem Kaliber sollte man keinesfalls unterschätzen …

Friederike Abele ist eine sehr sympathische, bodenständige Heldin. Sie schafft es immer wieder, sich in haarsträubende und lebensgefährliche Situationen zu bringen. Sei es aus purem Zufall, oder weil sie einfach keine ungeklärten Fragen und offensichtlichen Ungerechtigkeiten mag. Wenn sich die Zuständigen nicht kümmern oder für ihren Geschmack nicht rechtzeitig in die Puschen kommen, nimmt sie die Sache eben selbst in die Hand. Da können ihre Freunde sagen, was sie wollen.

Pferdewissen ist hier hilfreich
Man sollte schon etwas von Pferden verstehen, um der Geschichte folgen zu können. Zwar gibt es ein umfangreiches und gut gemachtes Glossar, und auch im Verlauf des Romans werden wichtige Begriffe und Sachverhalte ausführlich erklärt, wer aber völlig ahnungslos ins Rennen geht, hat verloren. Es schwirrt selbst Leuten mit Vorwissen der Kopf vor lauter Pferdezüchter-Fakten. Es empfiehlt sich nicht, diese Fakten großzügig querzulesen, weil man sonst die Story nicht versteht.

Wo man sich auch konzentrieren sollte: Beim „Personal“ des Romans. Die kommunikative Fritz kennt Hinz und Kunz. Da kann man als Leser schon mal ins Schleudern kommen. Wer war gleich nochmal Volker? Und Nicole? Dass „Dorle“ Fritz‘ Spitzname für ihr Pferd Siglavy Adorata ist, habe ich erst relativ spät kapiert. Und woher genau kennen sich Fritz und Miguel? Vielleicht war er schon im ersten Band dabei (Sibylle Luise Binder: TIERISCH GIFTIG), aber ich erinnere mich nicht an ihn. Adrian, Kolja und Graf Hubertus von Weißenstein dagegen sind mir noch gut im Gedächtnis.

Auf andere minder wichtige Nebenfiguren würde ich nicht verzichten wollen: auf all die Society-Weibsen, die hinter Corin her sind, zum Beispiel, oder auf „Ügo“ Sierksdorfs zickige Verlobte Vanessa und auch nicht auf Corins schnöseligen Assistenten Moritz Rheinberger! Fritz und er können einander nicht ausstehen und lassen keine Gelegenheit aus, einander mit spitzen Bemerkungen und Gemeinheiten zu traktieren. Das ist zu köstlich!

Für eine Heldin, die immer beteuert, gar keine Abenteuer erleben zu wollen, sind die Actionszenen schon ziemlich krass. So brandgefährlich ist das Leben einer Amtstierärztin in der Realität zum Glück nicht. 😉

Personalproblemchen hin, Action her: Ich begleite Dr. Friederike Abele gerne bei weiteren Ermittlungen! Die Kerntruppe der Reihe ist wirklich klasse, und bei den Kriminalfällen lernt man nicht nur etwas über die Abgründe der Menschen, sondern auch viel Interessantes über die Tierwelt. Die Autorin hat ja nicht umsonst eine Tierärztin zur Hauptperson gemacht.

Die Autorin
Sibylle Luise Binder, Anfang 50 und in Stuttgart zuhause, ist seit einem Vierteljahrhundert als Journalistin und Autorin tätig. Neben einer ganzen Reihe von Sachbüchern über Pferde und Reiten hat sie Mädchenbücher und Krimis geschrieben. Tiere faszinieren sie schon seit ihrer Kindheit – und daher hat die Reiterin und Züchterin von Warmblutpferden neben Hunde- und Katzen- auch Zirkuserfahrung. Wenn sie nicht mit Tieren befasst ist, beschäftigt sie sich gerne und ausführlich mit Oper und Geschichte.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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