Marlies Ferber: Truthahn, Mord und Christmas Pudding. Ein neuer Fall für Agent 0070

Marlies Ferber: Truthahn, Mord und Christmas Pudding. Ein neuer Fall für Agent 0070, München 2015, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21607-4, Softcover, 319 Seiten, Format: 11,8 x 2,5 x 19 cm, Buch: EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A), Kindle Edition: EUR 7,99.

Abbildung: (c) dtv, Deutscher Taschenbuch Verlag
Abbildung: (c) dtv, Deutscher Taschenbuch Verlag

Sehr verehrter James Gerald (Agent 0070),

TRUTHAHN, MORD UND CHRISTMAS PUDDING ist nun schon das vierte Ihrer Abenteuer als britischer Geheimagent im Ruhestand, das ich mit Interesse, Spannung und Vergnügen gelesen habe. Es freut mich, dass die temperamentvolle Sheila Humphrey für Sie nun mehr ist als nur eine Nachbarin und ehemalige Kollegin. Schön, Sie beide so glücklich zu sehen!

Ich muss gestehen, dass ich zu Beginn der Buchreihe noch ein kleines Problem mit Ihnen hatte. Zu introvertiert, zu grantig, zu undiplomatisch für einen Romanhelden, habe ich gedacht. Ich wage kaum zu sagen, dass ich Sie tatsächlich mal als „Sozialtrampel“ bezeichnet habe. Aber entweder macht Ihre Liebe zur Sheila – Mrs. Humphrey – Sie ein wenig duldsamer mit den Menschen, oder ich werde eigenbrötlerischer. Jedenfalls begreife ich Ihre Gedanken und Reaktionen heute besser und kann Sie inzwischen richtig gut leiden. Ich weiß, dass Ihnen das egal ist, aber es ist mir trotzdem ein Bedürfnis, das mal zu sagen.

Dass Sie Jamie, den umtriebigen Beute-Enkel Ihrer Lebensgefährtin, akzeptieren, rechne ich Ihnen hoch an. Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Er ist ja doch ein bisschen anstrengend. Aber Sheilas merkwürdiger Schulfreund aus Wales, dieser Bruce Rigsby, der ging gar nicht! Als er sich bei ihr eingenistet hat und gleich den Hausherrn spielte, haben Sie völlig richtig gehandelt, indem Sie den alten Knaben gründlich geheimdienstlich durchleuchtet und dann immer schön im Auge behalten haben. War ja irgendwie klar, dass der nicht ganz koscher ist. Nur Sheila konnte das nicht sehen, für sie war er immer noch ihr Kumpel aus Kindertagen. Aber wie Sie den Kerl eingeseift haben, Mr. Gerald, das war ganz großes Kino! Klasse Idee, ihm den alten Trottel vorzuspielen und ihn so in Sicherheit zu wiegen. Es ist immer von Vorteil, wenn einen der Gegner unterschätzt. Und Sie gehören noch lange nicht zum alten Eisen!

Also, schauspielern können Sie! Dass Sie trotzdem keine Lust hatten, mit Sheila zusammen an dem Laientheaterprojekt mitzuwirken, verstehe ich. Sie sind eben keine Rampensau und halten sich lieber beobachtend im Hintergrund. Aber gut, dass Sie sich doch noch zum Mitmachen entschlossen haben! Sie hätten Sheila auch schlecht alleine da hingehen lassen können. Es war immerhin ein Resozialisierungsprojekt für entlassene Strafgefangene und keiner der Teilnehmer durfte wissen, wer von den anderen Mitwirkenden schon mal im Knast und wer ein unbescholtener Bürger war. Was, wenn die Resozialisierung schiefgeht? Sheila ist eine recht vermögende Witwe Mitte 60. Wer weiß, auf welche Ideen so ein Galgenvogel da kommt!

Aber Sie hätten Mrs Humphrey sowieso nicht aus den Augen gelassen. Nicht, nachdem ihre Freundin Rosalind Burton Lloyd erschlagen auf dem Friedhof aufgefunden worden ist! Man hat ja nicht gewusst, was dahintersteckte. Rosalind konnte zufällig Opfer eines Raubmords geworden sein. Es konnte sich um einen Racheakt für etwas handeln, das sie in ihrer aktiven Zeit als Jugendrichterin getan oder nicht getan hat. Und es bestand die Möglichkeit, dass der Mörder sie mit Sheila verwechselt hat, denn sie kam mit deren Schirm aus deren Haus. Und Sheila sind in letzter Zeit doch ein paar sehr merkwürdige und gefährliche Missgeschicke zugestoßen! Wie Sie sagen: „Lieber ein bisschen misstrauisch als ein bisschen tot, nicht wahr.“ (Seite 184)

Der Verdacht, dass diese merkwürdigen Vorkommnisse etwas mit Sheilas altem Schulfreund Bruce zu tun haben, lag auf der Hand. Das alles ging ja erst los, nachdem er aufgetaucht war. Dass er nach London gekommen sei, um sie zu beschützen, haben Sie ihm nicht abgenommen. Ich als Leserin war da unschlüssig. Es wäre ja möglich, dass auch einen altgedienten SIS-Mann mal das Bauchgefühl trügt – aus Eifersucht oder so. Sie aber hatten keine Zweifel – und keine Skrupel, Sheilas Haus, und damit ihren Hausgast, überwachen zu lassen und auch noch ihre 90jährige Mutter Phyllis Barnes ins Vertrauen zu ziehen. Lieber Mr. Gerald, lassen Sie das jetzt bloß nicht Mrs. Humphrey lesen: Aber Phyllis, diese egozentrische alte Wachtel, war doch noch nie eine Hilfe und immer nur für Ärger und Komplikationen gut! Das konnte ja nicht gutgehen!

Spät erst hat sich gezeigt, wie das alles zusammenhängt. Eigentlich erst kurz vor der Premiere des Theaterstücks, von dem ich schon nicht mehr geglaubt habe, dass es zur Aufführung kommt. Und nachdem der mehr als verdiente Schlussapplaus verklungen ist, stehen wir Leserinnen und Leser da und wissen nicht genau, wer in dieser Geschichte nun die Kriminellen und wer die braven Bürger sind. Die Grenzen sind da durchaus fließend. Auch in Ihrem Fall, Mr. Gerald, bin ich mir nicht so sicher … Das hat die Autorin des Buchs, Mrs. Marlies Ferber, sehr geschickt gemacht, finden Sie nicht?

Sie hat einen scharfen Blick für Beziehungen und Persönlichkeiten und kann mit wenigen Sätzen skizzieren, wie jemand zu dem wurde, was er heute ist. Ihre quasi-Schwiegermutter, Phyllis Barnes, habe ich meist nur unerträglich gefunden, aber nach dieser Beschreibung von Mrs. Ferber habe ich zum ersten Mal begriffen, warum sie so ist: „Charme, Schönheit und Reichtum hatten dazu geführt, dass ihr kaum noch jemand Paroli bot, und so hatte sie im Laufe eines langen, egozentrischen Lebens ihre eigenen, von der Außenwelt weitgehend unkorrigierten Vorstellungen vom Leben, von ihren eigenen Möglichkeiten, von Recht und Unrecht entwickelt. Sie war die Königin ihres eigenen Universums wie ein Kind, das mit seinen Puppen spielt.“ (Seite 209)

Auch wie sich langjährige Beziehungen unter Umständen verändern können, bringt die Autorin anhand der Ehen von Sheilas Freundinnen wunderbar auf den Punkt. Selbst Sie, lieber James – pardon: Mr. Gerald. Sie mögen ja keine Vertraulichkeiten! – verstehe ich nach diesem Buch noch ein bisschen besser.

Es war wieder mal ein unterhaltsames, spannendes, verzwicktes und sehr britisches Krimivergnügen aus der Feder einer deutschen Autorin. Und Ihre humorvollen kleinen Kabbeleien mit Mrs. Humphrey sind das Sahnehäubchen. Wer Sie deswegen für einen harmlosen älteren Herrn hält, der hat allerdings ganz schlechte Karten, vor allem, wenn er/sie nichts Gutes im Schilde führt.

Sollte Sie Ihr SIS-Instinkt trotz Ihres Ruhestands erneut in einen Kriminalfall verwickeln, bin ich gerne wieder als Leserin dabei.

Bleiben Sie gesund, grüßen Sie bitte Mrs. Humphrey von mir und knuddeln sie Hund Higgins!

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihre treue Leserin
Edith Nebel

Die Autorin
Marlies Ferber, geboren 1966, ist Germanistin und Sinologin. Von Jugend an hatte sie ein Faible für alles Englische, vor allem für den britischen Kriminalroman. Nach Abschluss des Studiums war sie neun Jahre als Verlagslektorin beschäftigt, zuletzt bei Random House. Seit 2004 ist sie als freie Autorin und Übersetzerin selbstständig. Wenn sie nicht gerade in Großbritannien ist – in Gedanken oder tatsächlich – betreut sie Schulprojekte für Kreatives Schreiben und engagiert sich als Grüne Dame im Krankenhaus.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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