Früher war mehr Freiheit

Ich will wirklich nicht behaupten, dass “früher“ alles besser war. Es stimmt einfach nicht. Aber ein bisschen mehr Freiheit als heute gab es in mancher Hinsicht schon.

In den 1960er-Jahren gingen wir Dorfkinder zum Spielen „auf die Gass“, ohne dass die Eltern genau gewusst hätten, wo wir waren und was wir taten. War’s was Unrechtes, hat man ihnen das schon hinterbracht. Diese Informationen haben uns manchmal überholt und waren schneller daheim als wir. 😀

Eine Armbanduhr hatten wir nicht. Zum Mittagessen mussten wir heimgehen, wenn die Kirchenglocken Zwölfe läuteten. Die konnte man überall im Dorf hören. Und abends war das Signal „wenn’s dunkel wird“, beziehungsweise „wenn die Straßenlaternen angehen“. Oder wenn sich die Nachbarin aus dem Küchenfenster lehnte und die Namen ihrer Kinder in Richtung Spielplatz rief, verbunden mit der Mitteilung „Eeeeesseeen!“ Da wussten dann nicht nur die beiden Angesprochenen (Angebrüllten?), dass es Zeit war, sich in Marsch zu setzen, sondern auch Bärbel, Gabi, Stefan, Thomas und Marion trollten sich nach Hause.

Trödeln nach dem Unterricht


Als wir in den 1970ern nicht mehr an den Maisfeldern vorbei in die Dorfschule gingen, sondern mit der Straßenbahn in die Nachbargemeinde zum Schulzentrum fuhren, trödelten wir nach dem Unterricht gern noch ein bisschen im Ort herum, der damals schon ein klein wenig städtischer war als unser Heimatdorf. Meine Freundinnen und ich kramten mit Begeisterung in der Drogerie herum oder in einem der beiden Schreibwarengeschäfte und kauften uns von unserem Taschengeld irgendwelche Kinkerlitzchen.

Daran musste ich denken, als ich am Freitag Nachmittag mit der Stadtbahn von der Arbeit nach Hause fuhr und ein etwa zehnjähriges Mädchen vor mir saß, das geschlagene 25 Minuten abwechselnd mit Mami und Papi telefonierte, weil es im Scharnhauser Park kurz die Fahrt unterbrechen und sich beim Drogeriemarkt Müller ein liniertes Schulheft für den Deutschunterricht kaufen wollte.

„Hallo, hallo“, kreischte die Kleine verzweifelt in ihr Handy, wenn die Bahn wieder mal eine Weile unterirdisch fuhr. „Im Tunnel ist die Verbindung weg“, hätte ich am liebsten zu ihr gesagt, nur damit das Gekreische aufhört. Aber das „Prinzip der Nichteinmischung“ handhabe ich mindestens so streng wie die Vereinigte Föderation der Planeten bei STAR TREK.

„Aber Mami hat’s erlaubt!“


Anscheinend haben die Eltern des Mädchens während der Tunnelphasen miteinander telefoniert, denn als es wieder Empfang hatte, musste es feststellen, dass ihr Versuch „aber Mami/Papi hat’s erlaubt“ nicht funktioniert hatte.

Der Drogeriemarkt ist in Sichtweite der Stadtbahnhaltestelle. Der Heftkauf hätte keine fünf Minuten gedauert. Das Mädchen hätte problemlos die nächste Bahn nach Hause nehmen können und wäre 10 Minuten später daheim gewesen als normal. Hätte sie nicht gefragt, hätten die Eltern das vielleicht nicht einmal bemerkt, Falls ja: „Sorry, Zug verpasst“. Kann ja mal vorkommen.

Ich war gespannt, ob die Kleine nun aussteigen und zum Drogeriemarkt gehen würde, obwohl Mami und Papi es verboten hatten. Sie zögerte einen Moment, überlegte es sich dann doch anders und blieb in der Bahn. „Och, Menno!“, schrie sie durchs Abteil und feuerte frustriert ihren Rucksack auf den Boden. Aber sie fuhr folgsam bis zur Endhaltestelle durch, wie die Eltern es gefordert hatten.

Wer fragt, kriegt Antworten


Tja. Sch***ß Handy!
In dem Fall schon, oder?

Als wir in diesem Alter waren, gab’s die Dinger noch nicht. Wir hatten daheim noch nicht mal Festnetz-Telefon. Das bekamen wir erst, als ich 14 war. Selbst, wenn wir hätten um Erlaubnis fragen wollen, was uns nie in den Sinn gekommen ist, hätten wir gar keine Möglichkeit dazu gehabt.

Meine Freundin Else und ich – Nachbarskinder und seit der Grundschule befreundet – haben nach dem Unterricht mal eine ganze Stunde in den Schreibwarengeschäften verbummelt und haben dann daheim von unseren Müttern, die mit dem Mittagessen gewartet und sich Sorgen gemacht hatten, erwartungsgemäß einen ordentlichen „Einlauf“ bekommen.

Ja, das kommt von das. War uns klar. Aber wir hatten unseren Spaß gehabt. Im Gegensatz zu dem Handy-Mädchen in der Bahn.

Foto: (c) Lupo / pixelio.de

Foto: (c) Lupo / www.pixelio.de

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