Paul Grote: Am falschen Ufer der Rhône: Kriminalroman

Paul Grote: Am falschen Ufer der Rhône: Kriminalroman, München 2017, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-21691-3, Klappenbroschur mit Landkarte, 431 Seiten, Format: 11,9 x 4 x 19,3 cm, Buch: EUR 12,95 (D), EUR 13,40 (A), Kindle Edition: EUR 10,99.

Abbildung: (c) dtv

„Es ist ein Mord geschehen, zweifellos. (…) Aber (…) auf der anderen Seite, auf der rechten Seite der Rhone, genau genommen auf der falschen Seite. Nicht umsonst liegt Chateauneuf-du-Pape auf dieser. Wo haben die Einbrüche stattgefunden, sogar bei meinem Bruder? Auch auf der anderen Seite. Man weiß inzwischen, welches Gesindel sich am rechten Ufer der Rhone tummelt, nicht wahr, Mademoiselle Simone? Ihr deutscher Bekannter hat es hautnah erlebt.“ (Seite 296)

Kennern von Paul Grotes Weinkrimi-Reihe ist der Ex-Ingenieur und Ex-Weinhändler Martin Bongers (50+) ein Begriff. Nach dem Tod seines guten Freundes Gaston Latroye hat er zusammen mit seiner französischen Frau Charlotte, einer ehemaligen Staatssekretärin, dessen Weingut in Saint Emilion/Bordeaux übernommen. Erben soll es einmal Martins Patenkind, Simone Latroye (23), Gastons Tochter.

Simone ist eine talentierte Weintechnikerin und denkbar unprätentiös, aber sehr verschlossen und misstrauisch. Die Ermordung ihres Vaters vor zehn Jahren, die Wiederverheiratung ihrer Mutter mit dem großspurigen Jean-Antoine und die damit verbundenen Probleme haben der jungen Frau sehr zugesetzt. Gleich nach ihrer Volljährigkeit hat sie ihre Familie verlassen und lebt seitdem wieder in ihrem Elternhaus bei ihrem Patenonkel. Zur übrigen Latroye-Sippe besteht praktisch kein Kontakt.

Ein Winzer ist spurlos verschwunden


Veränderungen mag Simone nicht. Mit Engelszungen muss Martin Bongers sie zu einem Praktikum in Chateauneuf-du-Pape überreden. Am liebsten würde er sie auf dem Weingut von Didier Lamarc unterbringen, einen Winzer, der er noch aus seinen Zeiten als Weinhändler kennt. Was Bongers jedoch erfährt, als er dort anruft, haut ihn um: Didier ist vor zwei Jahren spurlos verschwunden, unmittelbar, nachdem er mit seinen Weinen den „Concours de la St. Marc“ gewonnen hat.

Auf dem Wettbewerb scheint ein Fluch zu liegen, meint Didiers Frau, denn Joseph de Bergerac, der den Preis im Folgejahr gewonnen hat, wurde Opfer eine tödlichen Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht. Bongers‘ kriminalistisches Interesse ist – wieder einmal – geweckt.

Simone kommt schließlich in der Domain Vincent Clement unter. Mit der Chefin versteht sie sich bestens, der Chef ist ein bisschen aufdringlich, der Ton unter den Arbeitern rau. Darauf, dass der neue Praktikant eine Frau ist, wird nicht viel Rücksicht genommen. Aber Simone weiß sich zu wehren und lebt sich schnell ein.

Simone und der neugierige Önologe


Noch sehr viel besser gefällt es ihr, als sie den attraktiven deutschen Önologen Thomas Achenbach (28) kennenlernt. Der hilft in Lirac, am rechten Ufer der Rhone, auf dem Weingut seines Kumpels Alain Dupret aus. Auch Achenbach ist für Kenner der Reihe ein alter Bekannter: Er ist der Sohn von Philipp Achenbach, einem ehemaligen Einkäufer für französische Weine, der auch gern mal seine Nase in Kriminalfälle steckt und sich dabei übernimmt. Und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Seit fünf Jahren sind die Achenbachs und Manuel Stern, der mit Thomas studiert hat, gleichberechtigte Teilhaber eines Weinguts in der Pfalz.

Warum Thomas, der daheim sicher genug zu tun hätte, jetzt bei Alain arbeitet, ist Simone ein Rätsel. Und er geniert sich, zuzugeben, dass er Hals über Kopf abgehauen ist, nachdem er herausgefunden hat, dass eine Lebensgefährtin Kamila ein Verhältnis mit seinem Geschäftspartner hat.

Kamila? Moment! Das ist doch die aufgetakelte osteuropäische Kunstblondine aus EIN RIESLING ZUM ABSCHIED! Da hat man sich doch damals schon gefragt, wie die zu dem bodenständigen, linksalternativen Ökofreak Thomas passt. Fünf Jahre hat das gehalten? Immerhin!

Der Branchenklatsch verheißt nichts Gutes


Thomas verguckt sich in Simone Latroye, die auch sehr gut zu ihm zu passen scheint. Auch sie zeigt zaghaftes Interesse. Zusammen erkunden sie die Gegend und besuchen interessante Weingüter. So kommen sie auch mit den Brüdern Vitrier in Kontakt. Gustave, der Ältere, ist mit seinem überschaubaren Weingut auf der rechten Seite der Rhone und seinen unspektakulären Weinen zufrieden. Sein jüngerer Bruder, der das größere Weingut auf der anderen Seite des Flusses geerbt hat, ist von Ehrgeiz zerfressen. Dass er beim „Concours de la St Marc“ der ewige Zweite ist, wurmt den Spitzenwinzer zum Beispiel gewaltig.

Das und noch so einiges mehr erfahren Thomas und Simone bei den Gesprächen mit den Nachbarn und Kollegen. Und manches, was ihr erzählt wird, kommt ihnen ein bisschen merkwürdig vor.

Ganoven mit besten Verbindungen


Als Thomas zufällig dazukommt, wie eine Einbrecherbande auf Gustave Vitriers Weingut Maschinen stehlen will, stellt er sich den Leuten in einem Anfall von Größenwahn entgegen. Zwar hat er Kampfsporterfahrung, aber gegen die Bande hat er keine Chance. Nur ein Handlanger wird festgenommen, die anderen entkommen. Allerdings hatte Thomas einen guten Blick auf den Anführer der Bande und würde ihn überall wiedererkenne. Das weiß der Mann aber auch. Und es handelt sich hier nicht um irgendwelche harmlosen Kleinganoven. Die Bande hat erstaunliche Querverbindungen zum Militär und zu der in Laudun stationierten Fremdenlegion – wenn nicht gar zur Polizei.

Thomas und Simone unterschätzen dieses kriminelle Netzwerk kolossal und spielen weiter Amateurdetektiv. Das ist keine gute Idee, wie sich bald herausstellt …

Action erst auf den letzten Seiten


Ich lese und schätze Paul Grotes Weinkrimis seit rund zehn Jahren. Aber für diesen hier braucht man einen verdammt langen Atem. Erst nach rund 200 Seiten ist klar, dass es überhaupt einen Mordfall gibt. So richtig rund geht es dann auf den letzten 100 Seiten. Da aber umso heftiger. Vorher wird alles Mögliche erzählt: die Vorgeschichte der Hauptfiguren – wobei es hilfreich ist wenigstens die Bände TOD IN BORDEAUX und EIN RIESLING ZUM ABSCHIED gelesen zu haben. Auf DER WEIN DES KGB wir auch Bezug genommen, aber da sind die Vorkenntnisse verzichtbar. Über weite Strecken geht es selbstverständlich um Wein und Weinbau, und die knurrigen Helden haben jede Menge Gelegenheit, ihrer Abscheu gegenüber Politikern, Bürokratie, der EU, Atomkraftwerken, Umweltverschmutzung, Raffgier, Eitelkeit und Egoismus Ausdruck zu verleihen.

Sehr viel Wert hier darauf gelegt, den familiären Hintergrund der Brüder Vitrier zu beleuchten. Was den bescheidenen Gustave antreibt – oder eben nicht – wird relativ schnell klar. Die Aktionen seines Bruders dagegen bleiben oft rätselhaft. Ganz normal kann der nicht sein! Vielleicht ein Narzisst?

Natürlich ist in Weinkrimis der Kriminalfall nur ein Vehikel, um Informationen über Weine, Land und Leute zu transportieren. Aber in diesem Band ist die Krimihandlung schon sehr spärlich vertreten. Und besonders überzeugend ist sie vom Motiv her auch nicht. Fast hätte ich unterwegs aufgegeben.

Sollte der Autor eine Fortsetzung schreiben, wäre ich trotzdem wieder dabei. Mich interessiert nämlich, wie’s mit Thomas und Simone weitergeht. Sie wären ein tolles Paar, aber keiner der beiden Sturköpfe will sein Weingut verlassen. Ich hoffe, Herr Grote hat eine clevere Lösung für die zwei. 😉

Der Autor
Paul Grote berichtete fünfzehn Jahre lang als Reporter für Presse und Rundfunk aus Südamerika. Seit 2003 lebt er als freier Autor in Berlin. Sein Gespür für Wein, sein Wissen und seine Erfahrungen spiegeln sich in allen seinen Krimis wider.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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