Lydia Schweigert: Geronimo -“ Mit den Augen eines Pferdes

Mehr Pferdeverstand für die Zweibeiner!

Lydia Schweigert: ’žGeronimo ’“ Mit den Augen eines Pferdes’œ, mit 18 schwarz-weiß-Illustrationen, Gelnhausen 2004, Wagner-Verlag, ISBN: 3-935232-38-1, 133 Seiten, Taschenbuch, Format 13 x 30 x 0,8 cm, EUR 13,90

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’žViele der so genannten ’šMistviecher’™ wären gar keine, wenn sich die Menschen mehr Gedanken über sie machen würden’œ, sagt sich Schimmelhengst Geronimo und beschließt, uns Menschen ein bisschen Pferdeverstand zu vermitteln, indem er uns das Leben aus seiner Sicht schildert. Das macht er so charmant, humorvoll und unterhaltsam, dass selbst solche Leser mit Interesse am Ball bleiben, die Pferde bisher bestenfalls aus Westernfilmen kannten.

Wie es sich gehört, fängt Geronimo mit seiner Erzählung ganz am Anfang an: Bei seiner Geburt. Geburtshelferin ist die sympathische und engagierte Pferdepflegerin Sonja, die seine erste menschliche Bezugsperson wird. An ihrer Kompetenz und ihrem Einfühlungsvermögen wird er künftig alle anderen Menschen messen.

10 Tage nach seiner Geburt ’“ Geronimo hat gerade herausgefunden, wie man seine vier Beine so sortiert, dass sie das machen, was er will ’“ kommt ein weiteres Fohlen auf die Welt. ’žFidel Castro’œ heißt der kleine Fuchs. Geronimo nennt ihn liebevoll ’žZwerg’œ und genießt es, von dem Jüngeren bewundert zu werden und ihm einiges beibringen zu können.

20 Tage ist Geronimo alt, als sich etwas ereignet, das sein ganzes Leben prägen wird und ihn in den Augen seiner Mit-Pferde zum Helden macht: Als ein gefährliches ’žKnistermonster’œ auf die Wiese geflattert kommt und die Herde in Panik versetzt, springt er mit allen vier Hufen gleichzeitig auf das riesige Ungeheuer und scharrt es so lange mit Dreck zu, bis es sich nicht mehr rührt. Dass das Knistermonster zur Spezies der Abdeckplanen gehört, tut seiner Heldentat keinen Abbruch.

Er fühlt sich wie der König der Welt. ’žWas sollte mir noch im Leben passieren können? Gab es überhaupt noch etwas, was ich je fürchten müsste?’œ, fragt er sich. Und das wird sein Leitmotiv. Wann immer er in eine unangenehme Situation gerät, erinnert er sich und den Leser daran, dass er es war, der im zarten Alter von 20 Tagen das gefährliche Knistermonster besiegt hat. Und unangenehme Situationen wird es in seinem Leben einige geben. Die unbeschwerte Jugendzeit im Pferdeparadies währt nicht ewig.

Sein Freund Fidel und er verlassen den Offenstall und ihre Mütter und ziehen um zu den erwachsenen Pferden. Sie werden zu Reit- und Springpferden ausgebildet. Geronimo macht die Arbeit Spaß und er erweist sich als talentiert. Seinem Kumpel Fidel dagegen liegt das Springen gar nicht, und so heißt es Abschied nehmen: Fidel wird als Freizeitpferd an eine junge Reiterin verkauft.

Viel Zeit zum Trauern bleibt Geronimo nicht: Alsbald geht es für ihn zu seinem ersten Turnier. Den ganzen Sommer über sammelt Geronimo bei den Springpferdeprüfungen eine Auszeichnung nach der anderen ein. Er ist gut, aber für den ganz großen Sport reicht es doch nicht. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf: Er wird an die Dressurreiterin Heike verkauft, die fürs Springreiten nur Verachtung übrig hat und Pferde als eine Art lebloses Sportgerät zu betrachten scheint.

Hatte Geronimo bislang geglaubt, dass es überall so schön ist wie zu Hause, wird er sehr schnell eines Besseren belehrt. In seinem neuen Stall macht sich Langeweile breit. Von Mai bis Oktober dürfen die Pferde nicht auf die Wiese, es gibt auch keine fürsorgliche Pferdepflegerin. Seine neue Besitzerin hat kaum Zeit für ihn ’“ und auch nicht viel Gespür für seine Bedürfnisse. Eine Verletzung, Unterforderung und Bewegungsmangel machen Geronimo zu schaffen. Als er eines Tages bockt und seine Reiterin verliert, hat sie die Nase voll und verkauft ihn.

Jenny, seine nächste Besitzerin, ist tierlieb und bemüht, aber eben noch ein unerfahrenes Schulmädchen. Und ihre Eltern haben von Pferden gar keine Ahnung. Geronimo kommt nun in einen Westernstall, wo man überhaupt nichts davon hält, dass Jenny mit Geronimo weiterhin die klassische Englisch-Reiterei betreiben möchte. Darüber kann Geronimo nur den Kopf schütteln. Springreiter und Dressurreiter sind einander nicht grün, Westernreiter und Englisch-Reiter können einander ebenfalls nicht riechen. Sind das nun Reiter oder Prinzipienreiter?

Für solche ’žGlaubensstreitigkeiten’œ hat er kein Verständnis, hat er doch in jeder Disziplin ’žsolche und solche’œ Reiter erlebt. Statt einander anzufeinden, sollten sich lieber alle fragen, was das beste für die Pferde ist. Er zumindest hätte er seinen Menschen gerne einmal ein paar deutliche Worte gesagt – zur Chefin des Westernstalls und zum Thema ’žPaddock’œ:

’žARTGERECHT? Für Sumpfvögel und Wattwürmer vielleicht. Aber doch nicht für Pferde! Die will doch wohl nicht allen Erstes die Wildnis mit diesem stinkenden Matschloch vergleichen? (…) Wie viele Verrückte gab es eigentlich auf dieser Welt?’œ

Und auch sonst lässt der Westernstall einiges zu wünschen übrig. Erst als Geronimo sich eine Krankheit zuzieht, die der Tierarzt auf mangelhafte Haltungsbedingungen zurückführt, wendet sich das Blatt für unseren Helden. Und es wartet sogar noch eine ganz besondere Überraschung auf ihn …

Man braucht gar keine Pferdeerfahrung, um mit Geronimo und seinen Artgenossen mitzufühlen und mitzuleiden. Am liebsten möchte man beim Lesen die begriffsstutzigen und gedankenlosen Zweibeiner schütteln, wenn sie wieder mal so rücksichtslos und egoistisch an den Bedürfnissen der Pferde vorbei agieren. Und die Lektüre hat eine nachhaltige Wirkung: Seit ich Geronimos Memoiren gelesen habe, ertappe selbst ich als Nicht-Pferdekenner mich dabei, auf einmal kritisch und interessiert journalistische Beiträge über Pferde und Reitsport zu verfolgen.

Zum Nutzen der Pferde wünsche ich diesem ebenso unterhaltsamen wie informativen Buch viele Leser. Und für mich als Tierfreundin klingt Geronimos Appell aus dem Nachwort außerordentlich plausibel: ’žDie Klassisch-Reiter nennen es Pferdeverstand, die Westernreiter nennen es Horsemanship ’“ und sie meinem beide das gleiche: Das Nachdenken über unsere Bedürfnisse und das Handeln in unserem Sinne. Darum ’“ bitte, liebe Freunde ’“ streitet euch nicht darüber, wie es heißen soll, wendet es an!’œ

Die Autorin Lydia Schweigert hat seit frühester Kindheit jede Minute ihrer Freizeit mit Pferden verbracht. Weil ihr das noch nicht genug war, beschloss sie ihr Hobby zum Beruf zu machen und arbeitete sieben Jahre hauptberuflich als Pferdepflegerin. Nach erfolgreichem Abschluss eines Grafikdesign-Studiums seit Februar 2004 arbeitet sie als freie Illustratorin und Schriftstellerin. Die Pferde sind weiterhin ihre große Leidenschaft.

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