Ulrike Renk: Die Frau des Seidenwebers -“ Historischer Roman

Ulrike Renk: Die Frau des Seidenwebers, Berlin 2010, Aufbau Verlag, ISBN 978-3-7466-2618-5, Taschenbuch, 443 Seiten, Format: 12,5 x 19 x 2,6 cm, EUR 9,95 (D), EUR 9,20 (A)

Krefeld 1753: Nachdem die zweite Ehefrau des Mennoniten Arnold te Kloot, Inhaber einer Weberei, im Kindbett gestorben ist, sucht er dringend jemanden, der ihm den Haushalt führt und seine minderjährigen Kinder betreut. Katrina, seine Tochter aus erster Ehe, kann das nicht länger tun, weil sie bald heiraten wird.

Arnold bittet seine 25-jährige unverheiratete Nichte Anna um Hilfe, die in Radevormwald ihrem Bruder den Haushalt führt. Seit dem Tod ihrer Eltern und dem Einzug der gehässigen Schwägerin hält Anna te Kloot nicht mehr viel in ihrer Heimatgemeinde. Mitten im Winter tritt sie per Postkutsche die beschwerliche Reise nach Krefeld an. Claes ter Meer, der nette Herr, der unterwegs zusteigt, hat nicht nur das selbe Reiseziel wie Anna, er entpuppt sich auch als künftiger Nachbar und Verwandter in spe: Annas Cousine Katrina wird seinen Bruder Adam heiraten.

Kurz vor Eller überfallen zwei französische Offiziere die Postkutsche und rauben die Passagiere aus. Anna verliert dadurch das Geld, das ihr Bruder ihr zum Abschied zugesteckt hat, und das letzte Andenken, das sie an ihre Mutter hatte: eine goldene Kette. Nur durch das beherzte Eingreifen von Claes ter Meer entgeht sie einer Vergewaltigung.

Der Überfall bleibt nicht die letzte Katastrophe auf dieser Reise. Es dauert noch mehrere Tage, bis Anna endlich bei ihren Verwandten eintrifft, die schon nicht mehr mit ihr gerechnet haben. Zwar ist der Onkel herzlich und sympathisch und seine Kinder entwickeln nach und nach Zutrauen zu Anna, aber Cousine Katrina erweist sich als eine Zicke reinsten Wassers. Anna kann ihr überhaupt nichts recht machen. Da hätte sie gleich daheim bei ihrer garstigen Schwägerin bleiben können!

Ein Lichtblick sind ihre Treffen mit dem Nachbarn Claes ter Meer, der mit der gebildeten Anna die Liebe zu Naturwissenschaften und Literatur teilt und ihr regelmäßig Bücher leiht. Ob Lesen nun eine gottgefällige oder eine eitle Beschäftigung ist, dessen sind sich weder Claes noch Anna sicher. So oder so: verzichten wollen sie darauf nicht.

Generell zeigt sich die Mennonitengemeinde in Krefeld weltoffener als Anna es von zu Hause gewöhnt ist. Das Repräsentieren in eleganten Kleidern ist ihr allerdings zuwider, denn das Credo der Mennoniten heißt Schlichtheit und Verzicht auf eitle Zier. Onkel Arnold sieht das pragmatisch: ’žGott hätte uns nicht die Möglichkeit gegeben, Seide zu weben und zu wirken, wenn er es als böses Teufelswerk betrachtet hätte. Wir verdienen Geld mit schönen Stoffen. Warum sollten wir sie nicht auch tragen?’œ (Seite 104/105)

Einige Monate nach ihrer Ankunft übernimmt Anna eine weitere große Verantwortung: Sie nimmt den den zehnjährigen Fritz, eine Waise, als Ziehsohn an und zieht ihn mit Arnolds Kindern auf. Und die dünkelhafte Cousine Katrina spuckt Gift und Galle, weil Anna ein ’žFindelkind’œ ins Haus geholt hat.

Anna lebt sich in Krefeld ein und wird in der Mennonitengemeinde für ihre Bescheidenheit und ihre erfrischend herzliche Art geschätzt. Sie selbst schätzt am meisten die Gesellschaft Claes ter Meers. Sie hat sich in den kultivierten Nachbarn verliebt. Als Claes zu Anna sagt: ’žEr wird kommen, der Mann, der für Euch bestimmt ist. Vermutlich ist er schon da. (…) Aber er traut sich noch nicht, sich zu offenbaren’œ (Seite 208), kommt es zu einem folgenschweren Missverständnis. Anna glaubt, er spreche von sich selbst, Claes sieht sich jedoch als Fürsprecher für einen Verwandten.

Zwar erfährt Anna nun, dass Claes seit Jahren unglücklich in eine verheiratete Frau verliebt ist und keinesfalls vor hatte, ihr einen Antrag zu machen. Doch wer ihr heimlicher Verehrer sein soll, das sagt er nicht. Anna denkt, er meine den Weinhändler Heinrich Stennes, der seit einiger Zeit um sie wirbt und willigt, nachdem sie über den schlimmsten Liebeskummer hinweg ist, in eine Ehe mit ihm ein.

Dass der amüsante Gesellschafter Heinrich ein Blender, Fremdgänger, Säufer und sadistisches A***loch ist, das merkt sie leider viel zu spät. Er misshandelt sie grausam. Ihr Ziehsohn Fritz bekommt mehr davon mit als sie ahnt und ist verzweifelt, weil er ihr nicht helfen kann. Anna ist klar, dass es niemanden gibt, der ihr in dieser Situation helfen kann, obwohl Arnold te Kloot und Abraham ter Meer es versucht haben. Sie hat Heinrich Stennes geheiratet und muss in ihrer Ehehölle ausharren ’“ bis er sie totschlägt.

Als der Krieg ausbricht, den wir heute als den siebenjährigen kennen, wird Annas Leben ein weiteres Mal auf den Kopf gestellt. Ende Juli 1758 fallen die Franzosen in Krefeld ein und die Einwohner müssen ihre Feinde beherbergen und verpflegen. Auch bei Heinrich und Anna werden zwei Offiziere einquartiert. Anna sieht die beiden Männer, und es trifft sie fast der Schlag: Diese Gesichter hat sie nie vergessen! Und nun hofft sie inständig, dass die Franzosen sie nicht wiedererkennen …

Die Autorin Ulrike Renk, Jahrgang 1967, war bislang vor allem für ihre Kriminalromane und Thriller bekannt. DIE FRAU DES SEIDENWEBERS ist ihr erster historischer Roman. Und dieses Genre beherrscht sie mindestens genau so gut!

Schurken müssen keine Morde begangen haben, damit man ihnen beim Lesen die Pest an den Hals wünscht und den Moment herbeisehnt, an dem sie ihre gerechte Strafe erhalten ’“ oder wenigstens irgendwie aus dem Leben der Hauptperson verschwinden. Heinrich Stennes, Annas Ehemann, ist ein Paradebeispiel dafür. Er ist wie er ist, und er hat einfach nicht die intellektuellen Mittel zur Einsicht und Umkehr. Und sie kann sich nicht scheiden lassen. Zum Besseren wenden wird sich da nichts. Also leidet und bangt man mit der armen Anna und hofft, das ein gnädiges Schicksal ’“ oder eine gemeine Idee der Autorin ’“ diesen Dreckskerl final aus der Geschichte expediert. Was man während des Lesens am liebsten mit dem Miststück Katrina machen würde, das bleibt der eigenen Phantasie überlassen. Es dürfte sich in den seltensten Fällen zur Niederschrift eignen.

Man entwickelt in der Tat eine ausgeprägte Loyalität zu den Hauptpersonen ’“ deren Geschichte im übrigen auf authentischen Quellen beruht. Die Seidenweberfamilie ter Meer gab es wirklich, genau wie Anna te Kloot. Dazu schreibt die Autorin: ’žVor vier Jahren machte mich mein Bruder, Historiker des Bistums Münster, auf ein Buch aufmerksam: ’šDas Tagebuch des Abraham ter Meer. (…) Abraham ter Meer schrieb das Tagebuch von 1758 ’“ 1769’œ. (Seite 441) Er hinterließ Notizen über das Wetter, die politische Lage, über besondere Begebenheiten und auch über sehr Persönliches.

Die Autorin befasste sich im folgenden mit der Krefelder Posamentenweberfamilie ter Meer und mit der mennonitischen Gemeinde in Krefeld. Sie schreibt: ’žIm Laufe meiner Recherchen stieß ich auf Anna te Kloot. Sie hat genauso zu der Zeit gelebt wie Abraham ter Meer und die meisten anderen Figuren meines Romans. Da allerdings oft nur Eckdaten, die mir mein Bruder besorgte, aus der Zeit bekannt sind, habe ich diesen Romangestalten ein fiktives Leben eingehaucht.’œ (Seite 441/442) Und das ist ihr wunderbar gelungen. Nicht nur die Figuren leben und atmen, die ganze Epoche tut es. Man meint, das Leben von damals fühlen, riechen und schmecken können.

Niemand wird mehr romantisch von der guten alten Zeit träumen, wenn er diese plastischen Schilderungen von Armut, Plackerei, Grausamkeit, Krankheit und Not gelesen hat. 440 Seiten lang fühlt man sich mit allen Sinnen ins 18. Jahrhundert versetzt ’“ und kehrt am Ende doch erleichtert in den Komfort des 21. Jahrhunderts zurück. Einer weiteren ’žZeitreise’œ wäre man aber keinesfalls abgeneigt …

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
     
http:// edithnebel.wordpress.com

  1. Immer an Krefelder Geschichte interessiert, habe ich dieses Buch verschlungen – um es nach drei Tagen noch einmal zu lesen und dabei habe ich Notizen festgehalten. Damit muß ich in der Bücherei und im Stadtarchiv weiteres Material holen. Die Geschichte der Mennoiten, des siebenjährigen Krieges und der frühen Seidenweber muss ich dringend vertiefen. Das wunderbare Buch gab erfreulicherweise den Anstoß dazu.

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