Isabella Renitente: Der Chaoskater (2 )

Isabella Renitente: Der Chaoskater – Besser eine Katze im Auto als ein Jaguar in der Garage, Norderstedt 2011, Books on Demand GmbH, ISBN 978-3-8448-5506-7, 328 Seiten, Softcover, Format: 14,7 x 20,8 x 2,3 cm, EUR 19,90.

„Sir Henry ist erleichtert, als die lästige Möwe weg ist. Er hätte sie gerne etwas gejagt. Aber sie stand mitten in dieser kalten, nassen Pfütze. Und sie war auch recht groß. Möwen fressen große Vögel, z.B. Enten? Ja? Etwa auch Katzen? Echt? Also da schaut er sich lieber noch ein bisschen am Strand um. So interessant sind Möwen ja eigentlich auch nicht. Mit langen Beinen und zunehmendem Vergnügen stakst der Kater durch den lockeren Sand. Bei Gelegenheit bauen Sie bitte in seinem Katzenklo auch so eine Sanddüne, ja?“ (Seite 253/254)

Meist folgen Romane ja dem Prinzip des Dramas: Einleitung – Konflikt –Spannungshöhepunkt – Verzögerung – Konfliktlösung bzw. Katastrophe. So gesehen ist DER CHAOSKATER kein klassisch aufgebauter Roman, sondern eher eine chronologische Abfolge humorvoller, lebensnaher und unterhaltsamer Anekdoten.

Krisen, Katastrophen und Konflikte erlebt die Heldin, Rechtsanwältin Isabella Renitente, mit ihrem Kater Sir Henry Veneziano von Gukamien in jeder einzelnen Episode. Verzögerungen auch. Vor allem, wenn sie morgens in die Kanzlei oder zum Gericht muss und der Kater nicht so will wie sie. Aber sie sind ja noch in der Zusammenrauf-Phase, Isabella und der junge Britisch-Kurzhaar-Kater, den sie zu Beginn des Buchs seit gerade mal sieben Monaten hat.

Ihre bisherige Katzenerfahrung beschränkt sich mehr oder weniger auf die Besuche von Teilzeitkater Jimmy, der ihren Nachbarn gehört. Aber Sir Henry weiß genau, was er will, und wie er das seinem „Hausmenschen“ beibringt. Von daher ist das Buch vielleicht doch ein Roman … ein Entwicklungsroman: Sir Henry entwickelt allerlei Strategien, um seine menschliche Mitbewohnerin zur perfekten Katzenversteherin zu erziehen.

Dass er in ihrem Bett zu nächtigen wünscht, gerne mit Fischpralinen, Käserollis und anderen Leckereien verwöhnt wird, eine gepflegte Massage schätzt und ihr Hobby, den Flamencotanz, als unzumutbare Lärmbelästigung verabscheut, das weiß sie schon. Den Rest wird er ihr auch noch beibringen. Dass sie sich beispielsweise weniger mit Mandanten und Computern sondern mehr mit ihm beschäftigen sollte. Oder dass sie ihn morgens nicht zu hetzen hat, wenn er schon so gnädig ist, sie tagsüber in ihre Kanzlei zu begleiten.

Den blöden Nachbarshund Jaroslaw und den Bürobesuchskater Swinging Jake möge sie ihm bitte vom Leibe halten. Jimmy, der Teilzeitkater, dagegen ist als Spielkamerad willkommen. Nur allzu breit sollte er sich in Sir Henrys Revier nicht machen. Mit dem Fuchskragen, der als Erbstück in Isabellas Schlafzimmer hängt, hat er schon selbst einen Nichtangriffspakt geschlossen. Und darum, dass Isabella in der Kanzlei nur Katzenfreunde und keine Unsympathen anstellt, kümmert er sich ebenfalls. Weder Ursula noch Katharina, Helena, Heike oder Martina will er werktäglich als Sekretärin um sich haben. Erst Jacqueline findet seine Zustimmung. Auch als Kater mit einem 400-Mäuse-Job hat man schließlich seine Ansprüche!

Sir Henry ist jung und muss selbst noch vieles lernen. Den richtigen Umgang mit Insekten, Flusen, Vögeln, Nachbarn, Handwerkern, Geländern, fliegenden Herbstblättern – und mit dem Schnee. Den erlebt er jetzt auch zum ersten Mal bewusst. Von den vielen „weißen Fliegen“ ist er zunächst begeistert, von dem kalten, nassen Zeug zwischen seinen Zehen weniger. Und erst recht nicht vom Glatteis. Was sind das auch für Sachen, wenn jedes seiner Beinchen auf einmal in eine andere Himmelsrichtung strebt?

Urlaub ist auch nicht sein Ding. Als Isabella über Weihnachten mit ihm an die Nordsee fährt, ist das einzige, was ihm behagt, das große Doppelbett und die Fußbodenheizung. Das wildgewordene Meer, der Wind, die lästigen Möwen und die Touristen, womöglich noch mit Hund, die können ihm allesamt gestohlen bleiben.

Dass Sir Henry ein privilegiertes Leben führt, im Gegensatz zu manchen anderen Lebewesen, wird in einigen Episoden deutlich. Zum Beispiel, als Isabella sich bei diversen Katzenzüchtern nach einem Gefährten für Sir Henry umschaut. Unter den Züchtern gibt es bekanntlich solche und solche. Und selbst manches Menschenkind wird nicht so liebevoll umsorgt wie der Kater, wie ein Erlebnis an der Nordsee zeigt. Da sind einem Vater seine Designerklamotten glatt wichtiger als sein eigener Sohn. Ob Sir Henry das auch so sieht und seine Situation zu schätzen weiß?

Köstlich, welche Gedankengänge die Autorin dem Kater unterstellt! „Cool, wie das summt und brummt in den Büschen. Das muss er sich aber mal näher ansehen. Und schon sitzt Sir Henry auf der Fensterbank. Wow. So viele Insekten. Warum die so dicke gelbe Beine haben, will er wissen. Ach, das sind Bienen. Und wieso krabbeln die immer in die Blüten? Haben die ihre Spielmäuse oder Bällchen verloren? Und suchen die Bienen die jetzt? Oder haben sie da Käserollis für die Bienen versteckt? Ja? Na, da muss er doch gleich mal nach dem Rechten sehen. Und wenn er schon mal dabei ist, auch nach dem Unrechten.“ (Seite 57) Das ist natürlich sehr menschlich gedacht. Aber als Autor ist man nun mal ein Mensch und keine Katze und macht sich aus seiner Sicht einen Reim darauf, was wohl im Kopf des tierischen Hausgenossen vor sich gehen könnte.

Wenn er reden könnte, würde Sir Henry vermutlich Forderungen ans Hauspersonal stellen oder sich beschweren: „Was jetzt wieder ist, will er wissen. Wieso Sie immer so lange brauchen für diesen lächerlich kurzen Weg. Lächerlich! Und das bei dem Schietwetter. Wenn Sie sich bitte dann mal beeilen würden, ja?“ (Seite 106) Dadurch, dass die Autorin für Sir Henrys Äußerungen die indirekte Rede wählt, wirkt das, was er zu meckern hat, nicht gar so grob sondern eher hochherrschaftlich.

Von sich selbst spricht sie nicht in der Ich-Form, sondern in der der 3.Person Plural, der Höflichkeitsform. Also nicht „Seit sieben Monaten bin ich nun in festen Pfoten“ sondern „Seit sieben Monaten sind Sie nun in festen Pfoten“ (Seite 12). Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig, schmiedet aber eine Allianz mit dem Leser. Man denkt sich immer so ein unausgesprochenes „stellen Sie sich vor …“ dazu und kann gar nicht anders, als sich in die Lage des Hausmenschen zu versetzen. Was einem Katzenhalter ohnehin nicht allzu schwer fallen dürfte, denn die Zustände in Chaoskatzenhaushalten unterschieden sich nicht wesentlich voneinander. Der Katzenfreund erkennt vieles wieder, nickt voller Solidarität und Verständnis, schmunzelt und lacht auch mal von Herzen. Wie gut, dass man mit seinen Eigenheiten nicht allein auf der Welt ist!

Das Buch ist rundum amüsant und für Freunde heiterer Katzengeschichten sehr zu empfehlen. Bibliophile Perfektionisten werden allerdings mit ein paar Unvollkommenheiten leben müssen. Die Technik hat gezickt und vermutlich einzelne typographische Korrekturen nicht richtig wiedergegeben. Es fehlen häufig Wortzwischenräume, was die Lesefreundlichkeit etwas mindert. Das sieht dann so aus: „Schluss mit lustig!Er möchte (…) Die Kreuzschlitzschaubenzieherund die Inbusschlüssel (…)“ (Seite 169)

Sowas haben die Buchhersteller großer klassischer Verlage eindeutig besser im Griff. Aber seien wir nicht mäkelig: Die großen der Zunft schielen auf den Massenmarkt und hätten so ein spezielles Nischenprodukt wohl gar nicht erst verlegt. Und da wäre uns Katzenfreunden ein ausgesprochen unterhaltsames Lesevergnügen entgangen! Also leben wir mit den kleinen Macken und genießen die Abenteuer von Sir Henry und seinem Menschen.

Die Autorin
Isabella Renitente wurde 1955 in Bielefeld geboren. Sie ist Rechtsanwältin und lebt mit ihrem Kater in einem Dorf im Norden von Hannover.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
     
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