Waltraut Lewin: Valadas versinkende Gärten – Roman, München 2012, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21344-8, 493 Seiten, Softcover, Format: 12 x 19 x 2,8 cm, EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A).
Manchmal hat man seltsame Gründe, ein Buch zu lesen. Bei diesem hier gab das Cover den Ausschlag, für dessen Gestaltung ein Gemälde von John William Godward (1861 – 1922) verwendet wurde: „A Souvenir“ von 1920. Ich weiß, er malte extrem kitschige klassizistische Szenen, aber ich liebe seine Arbeit seit vielen Jahren. Mit Godward hat der Roman freilich nichts zu tun.
Die Geschichte führt uns ins Andalusien des 11. Jahrhunderts. Nach 200 Jahren ist das schwach gewordene Herrschergeschlecht der Omayaden, – die Nachkommen des Propheten Mohammed – abgelöst worden. „Al Andalus zersplittert wie ein Spiegel, zerbricht in viele kleine Königreiche, die Taifas, die sich in erbitterten Machtkämpfen gegenseitig das Leben schwer machen.“ (Seite 7)
In Cordoba, der ehemaligen Hauptstadt ist nur noch eine Omayadin übrig: Prinzessin Valada bint al Mustakfi, eine schöne, begabte und vermögende junge Frau. Vom Volk wird sie verehrt und geachtet, doch den konservativen Kreisen ist ihr Lebenswandel ein Dorn im Auge. Sie geht unverschleiert, ist (bi-)sexuell sehr freizügig und unterhält in ihrem Haus eine Schule für Dicht- und Liebeskunst. Letzteres darf man sich als so eine Art orientalischen Swingerclub vorstellen.
Valada hat zwei ständige Geliebte: Muhdja, die dichtende Tochter eines Feigenhändlers, bekannt für ihr loses Mundwerk und ihre respektlosen Spottverse, und Kasmuna, eine hochgebildete Poetin aus einer einflussreichen jüdischen Familie. Gleichzeitig unterhält sie eine Beziehung zum Dichter Ibn Zaydun. Doch als dieser sie mit der schwarzafrikanischen Sklavin Nazik betrügt, lässt sie ihn in den Kerker werfen. So viel Einfluss hat sie. Doch das reicht ihr nicht, „Nur wir stammen direkt vom Propheten ab. Uns gebührt die Herrschaft, nicht irgendwelchen alteingesessenen arabischen Stammesfürsten.“ (Seite 12)
Als Valada in der Bibliothek ein seltsames astrologisches Buch findet, hält sie sich für auserwählt, die Macht der Omayaden wiederherzustellen. Als Frau darf sie nicht selbst regieren. Doch sollte sie irgendwo noch einen männlichen Verwandter auftreiben, wäre dieser der legitime Herrscher über ganz Al Andalus. Mit etwas Glück erweist er sich als unfähig. Dann hätte sie einen Strohmann und könnte als „Schattenkalifin“ die Geschicke des Landes lenken. Das ist ihr Traum. Der Wesir, der für den amtierenden Kalifen Abd Al Malik die Geschäfte führt, soll ihr bei dessen Verwirklichung helfen.
Diesem Wesir – dem Hadjib Ibn Abdus Al Gahsiyari – ist es im Prinzip egal, wer an der Macht ist, solange er dabei seine einflussreiche Position behält. Und dafür wird er schon sorgen. Zunächst einmal sorgt er jedoch dafür, dass der Dichter Ibn Zaydun aus dem Kerker entkommen und nach Sevilla fliehen kann. Im Gegenzug soll er für Valada einen männlichen Omayaden-Erben suchen. Angeblich gibt’s da noch einen alten Onkel.
Der Plan klingt gut, doch im höfischen Dreikampf „Dichten, Vögeln, Intrigieren“ haben Ibn Zaydun und Valada in der entscheidenden dritten Disziplin ein paar Schwächen. Sie sind eben doch nur verwöhnte Herrenkinder und keine taktisch geschickten Politiker.
Mutadid, der Emir von Sevilla, bekommt Wind von Valadas Plänen. Er rechnet sich persönliche Vorteile in dem Spiel aus und drängt den Dichter, den Omayaden-Verwandten endlich herbeizuschaffen. Wenn das nur so einfach wäre!
Mit dem Emir ist nicht zu spaßen. Ibn Zaydun bekommt Panik und greift zu einem Notfallplan, der bei entsprechender Vorlaufzeit tatsächlich funktionieren könnte. Doch unter Zeitdruck und mit heißer Nadel gestrickt ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihm die Geschichte um die Ohren fährt. Dem Dichter ist auch schon ganz mulmig. Und in Cordoba sieht Wesir Ibn Abdus seine Felle davonschwimmen. Man soll sich einfach nicht mit Amateuren einlassen! „So macht man keine Politik! Da muss man die Sache langsam einfädeln, muss in aller Ruhe und vor allem insgeheim seine Fäden spinnen, muss Verbündete unter den Edlen der Stadt suchen und finden, Beziehungen zu anderen Taifas herstellen, deren Haltung zur Sache erforschen … So geht das nicht!“ (Seite 357)
Mögen Valada und Ibn Zaydun auch impulsive Kindsköpfe sein, Wesir Ibn Abdus und Emir Mutadid sind es nicht. Und nun zeigen diese zwei abgebrühten alten Schlitzohren sämtlichen Schmalspur-Intriganten, wie man in ganz großem Stil das Volk hinters Licht führt. Das Volk, wohlgemerkt. Nicht Prinzessin Valada. Die ist nicht so leicht zu übertölpeln.
„Für mich sind Poesie und Liebe wie zwei Säulen. Dazu steht steht eine dritte: Herrschaft.“, sagt Valada ziemlich zu Anfang (Seite 74). Das sind auch die drei Säulen dieses Romans. Valadas Leben als Dichterin und Förderin der Künste nimmt einen breiten Raum ein. Bei den Gedichten, von denen die Autorin sagt, sie seien „keine Übersetzungen, sondern freie Nachgestaltungen – oder sie sind eben das, was man als ‚nachempfunden‘ bezeichnet“, (Seite 8), handelt es sich um zauberhafte Liebesgedichte, bildhaft und sehnsuchtsvoll. Manche Werke sind auch politisch und gesellschaftskritisch, oder es sind lästerliche Spottverse. Alle liest man mit Vergnügen.
Die Herrschaft taktiert und paktiert, dass es eine wahre Pracht ist, und alles um des persönlichen Vorteils willen. Und was die Liebe angeht: So genau will man oft gar nicht wissen, wer es mit wem wie oft und in welcher Stellung treibt. Hätte der „windige und wendige“ Poet Ibn Zaydun wenigstens ab und zu mal mit dem Kopf gedacht, wäre vielen Menschen Schlimmes erspart geblieben. Dass jemand wie er, der in seinen poetischen Werken so wohlgesetzte Worte findet, gleichzeitig so ein ordinärer Sauigel sein kann, ist schon etwas irritierend.
Manche Schilderungen sind nachgerade widerlich, weil es um Missbrauchsverhältnisse geht. Sklavinnen und Sklaven haben keine Wahl. Und stimmt es wirklich, dass Töchter damals ihren verwitweten Vätern zu Willen sein mussten? Muhdja spricht das einmal an. Auf jeden Fall geht’s hier sexuell ziemlich zur Sache, und die Sprache ist recht derb, was nicht jedermanns Geschmack sein dürfte.
Dadurch, dass die Hauptpersonen (Valada, ihre beiden Geliebten, der Dichter, der Wesir und ganz zum Schluss auch die schwarze Sklavin Nazik) ihre Erlebnisse in der Ichform erzählen, gewinnt man einen guten Einblick in die Lebens- und Gedankenwelten der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Und wer sich mit der ehrgeizigen und weltfremden Prinzessin im goldenen Käfig nicht identifizieren kann, der findet vielleicht in den anderen Ich-Erzählern eine Sympathiefigur, mit der er mitfühlen und mitfiebern möchte.
Am bodenständigsten ist wohl Muhdja. Was sie vom Leben will, kann der Leser ohne viel Kopfschütteln nachvollziehen. Bei den anderen denkt man gern mal: „Bei allem Respekt: Du spinnst!“ Wofür man aber nicht vollumfänglich die Autorin verantwortlich machen sollte, sondern das Leben. Die Prinzessin und die meisten anderen Figuren aus dem Roman hat es tatsächlich gegeben. Wer im Internet nach Valada recherchieren möchte, muss aber nach „Wallada“ suchen. Das ist die korrekte Transkription ihres Namens aus dem Arabischen. Und sie muss in der Tat eine außergewöhnliche und faszinierende Frau gewesen sein.
Die Autorin
Waltraut Lewin, in 1937 in Wernigerode geboren, studierte Germanistik, Latein und Theaterwissenschaften und arbeitete als Dramaturgin und Regisseurin für das Musiktheater. Seit 1978 widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben. Für ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde Waltraut Lewin u.a. mit dem Lion-Feuchtwanger-Preis und dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet. Von 1986 bis 1990 war sie Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.
Rezensent: Edith Nebel
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