Marlies Ferber: Null-Null-Siebzig: Operation Eaglehurst – Kriminalroman

Marlies Ferber: Null-Null-Siebzig: Operation Eaglehurst – Kriminalroman, München 2012, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21345-5, Softcover, 270 Seiten, Format: 12 x 19 x 2,2 cm, EUR 9,95 (D), EUR 13,30.

„Warum trompetest du hier herum, was ich früher gemacht habe?“, fragte James, nachdem sie die Tür seines Apartments hinter sich geschlossen hatten. (…) „Dank deiner überflüssigen Plauderei mit Mrs Simmons ist meine Tarnung jetzt dahin.“
Rupert lachte amüsiert auf. „Tarnung? Als was denn? James, du bist nicht mehr beim SIS. Du bist jetzt ein harmloser Rentner, genau wie alle anderen hier.“
(Seite 46)

Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt ist der ehemalige britische Geheimagent James Gerald, 70, ins Seniorenheim Eaglehurst im südenglischen Hastings gezogen. Weniger, weil er alleinstehend und pflegebedürftig ist, mehr, weil sein alter Freund und Kollege Willam Morat vor kurzem hier verstorben ist. James hatte eine merkwürdige Nachricht von ihm erhalten, doch bevor er darauf reagieren konnte, war William tot.

Hier stimmt etwas nicht! Davon ist der Ex-Agent des Secret Intelligence Service überzeugt. Ausgestattet mit allerhand technischem Schnickschnack – so sprüht z.B. sein Rollator auf Knopfdruck Reizgas – und mit Unterstützung seiner ehemaligen Sekretärin Sheila Humphrey, die ihn regelmäßig besucht, ermittelt er zwischen Bingo-Nachmittagen und Gehhilfen, Limerick-Abenden und Tanztees.

Es dauert nicht lange, bis sich ein zweiter mysteriöser Todesfall ereignet: Der von Demenz gezeichnete ehemalige Chemieprofessor Thomas Maddison bricht bei Tisch tot zusammen. Hat er tatsächlich im Zustand geistiger Verwirrung eine Überdosis seines Herzmedikaments genommen –oder wurde diese ihm vorsätzlich verabreicht?

Auch eine Warnung in Reimform, die James in seinem Zimmer vorfindet, kann ihn nicht von seinen Nachforschungen abhalten. Warum ist Professor Maddison immer wieder nach Dover gefahren? Was hat er da gemacht? Kann es sein, dass er gar nicht so tüdelig war und den Dementen nur spielte? Als sich die Hinweise darauf verdichten, dass der Chemieprofessor und James’ alter Freund William Morat sich schon lange vor ihrer Zeit in Eaglehurst kannten, ist für „Agent Null-Null-Siebzig“ klar, dass die beiden nicht zufällig in diesem Seniorenheim weilten.

Welcher Schweinerei waren sie auf der Spur? Und wem waren sie so dicht auf den Fersen, dass sie sterben mussten? Hat das etwas mit dem Limerick-Club der Schwestern Edith und Eleonora Hideous zu tun, dem auch der schrullige Julius Peabody angehört? Die gereimte Warnung an James legt den Verdacht nahe. Hängt auch Dr. Goat, der Hausarzt mit dem Homöopathie-Fimmel, mit drin? Oder die charmante Altenpflegerin Miss Hunt? Am Ende gar die Heimleiterin, Mrs White? Engagiert ist sie ja, aber mit den Finanzen von Eaglehurst scheint etwas nicht zu stimmen, wie ein heimlicher Blick in ihren Computer zeigt.

Schade nur, dass Polizist Rupert Ruthersford so gar keine Hilfe ist! James kennt ihn noch aus seiner aktiven Zeit und hat keine hohe Meinung von ihm: „Dieser Kerl war in der Zwischenzeit noch dümmer geworden.“ (Seite 45) Also bleibt die ganze Ermittlungsarbeit an ihm und Sheila hängen. Oder gibt es überhaupt keinen Fall und sie bilden sich die Zusammenhänge nur ein? Hat William sich vielleicht das Leben genommen und Maddisons Tod war ein Unfall? Aber warum hätte dann jemand die Warnung gedichtet? Und weshalb wurde die blutjunge Praktikantin Katie niedergeschlagen, als sie für James etwas aus seinem Zimmer holen sollte? Nein, das kann alles kein Zufall sein, hier ist etwas faul!

James entwickelt die verschiedensten Theorien und fühlt einem Verdächtigen nach dem anderen auf den Zahn. Jetzt gerät der Drahtzieher in Panik – und die zwei Rentenagenten in tödliche Gefahr!

James Bond ist im Ruhestand und gerät in einen Miss-Marple-Häkelkrimi. Dem spleenigen Haufen Verdächtiger, wie man ihn aus einschlägigen englischen Kriminalromanen kennt, rückt er mit seinen Geheimdienstmethoden und allerlei technischem Firlefanz auf den Leib. (Die Szene im Fast-Food-Restaurant ist der Brüller!) Und natürlich ist der regulär ermittelnde Polizeibeamte ein Trottel, wie er im Buche steht. (Warum soll’s James und Sheila diesbezüglich besser gehen als Miss Marple und Hercule Poirot?)

Eine witzige Idee – und amüsant umgesetzt. Die Geschichte schlägt Haken, und immer, wenn Leser und Ermittler meinen, jetzt des Rätsels Lösung gefunden zu haben, ist doch wieder alles ganz anders.

Wie die Personen und Ereignisse tatsächlich zusammenhängen, kann man als Leser nicht erraten. Aber das ist bei Agatha-Christie-Krimis ja auch so. Am Schluss enthüllt jemand ungeahnte Vorgeschichten und Verbindungen, und der Leser kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. So auch hier. Diese Art der „englischen“ Krimis ist eben so gestrickt – oder gehäkelt: Du wirst als Leser nie schlauer sein als die Ermittler. Aber egal. Das eigentlich Unterhaltsame sind sowieso die Ermittlungen selbst: wie James und Sheila sich im Mikrokosmos der schrulligen Alten bewegen und versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Charakterköpfe hat’s da schon ein paar: Da ist die überengagierte Mrs White, die die Heimbewohner als ihre Familie betrachtet und sie mit liebevoller Herablassung fast wie kleine Kinder behandelt. Vor den Problemen ihrer Tochter verschließt sie lieber die Augen. Sehr interessant sind die Schwestern Hideous. Beide haben ein Faible für Limericks und lieben das Meer. Doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Während Edith eine intelligente und misstrauische olle Giftspritze ist, wirkt Eleonora seltsam weltfremd und naiv. Julius Peabody, der ein Auge auf Eleonora geworfen hat, trinkt gern einen und redet zu viel. Und er freut sich, wenn Passanten auf der Straße zufällig im Takt der Musik gehen, die er in seinem Zimmer hört.

So ganz ohne Macken sind James und Sheila freilich auch nicht. In dieser Hinsicht fügen sie sich prima in Eaglehurst ein. James ist ein Eigenbrötler, der nie verheiratet war. Er ist nach eigenem Bekunden „nicht sehr gesellig“ und schon die Art, wie ein Mensch lacht oder isst, kann ihn rasend machen. Ein Tierfreund ist er auch nicht. „Aber mit Menschen geht’s“, bemerkte Sheila. James lächelte charmant. „Ich mag Menschen. Auch wenn ich mir nicht unbedingt einen anschaffen würde.“ (Seite 201)

Sheila, die seit den 60-er Jahren niemals der Minirock-Mode abgeschworen hat, ganz egal, was gerade im Trend war, ist meist eine Spur zu schnell beleidigt. Und sie schafft es immer, dass Leute genau das tun, was sie will. Nur James erweist sich in dieser Hinsicht als harter Brocken.

OPERATION EAGLEHURST ist der erste Fall der beiden Rentenagenten. Weitere Abenteuer sind in Arbeit bzw. in Planung. Gut! Dieses eigenwillige Senioren-Team kann mit Sicherheit noch ganz andere Sonderlings-Biotope aufmischen als nur dieses Seniorenheim.

Die Autorin
Marlies Ferber wurde im Jahr von ‚Man lebt nur zweimal‘ geboren, nicht weit entfernt vom Geburtsort von Ian Flemings James Bond, der bekanntermaßen in Wattenscheid das Licht der Welt erblickte. Marlies Ferber erhielt als Buchlektorin die Lizenz zum Töten von Schusterjungen und Hurenkindern. Die freie Autorin und Übersetzerin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Ruhrgebiet.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
     
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