Jessica Kremser: Frau Maier fischt im Trüben – Chiemgau-Krimi, Bielefeld 2012, Pendragon Verlag, ISBN 978-3-86532-340-8, 307 Seiten, Softcover, Format: 11,5 x 19 x 2 cm, EUR 12,95.
„Wo war nur ihre Ruhe hin, die alte Gelassenheit, beinahe Gleichgültigkeit? So eine Leiche war anscheinend selbst für ihr Gemüt zu viel. Genau heute vor einer Woche habe ich sie gefunden, überlegte Frau Maier, und sah wieder Anitas weit aufgerissene Augen unter der Wasseroberfläche vor sich. Und die Hand, die leise winkte … (Seit 131)
Frau Maier, 64, deren Vorname mindestens so geheim ist wie der von Inspector Columbo und Kommissar Kluftinger, wohnt seit ihrem vierten Lebensjahr in Kauzing am Chiemsee. Und wie das auf dem Land so ist, wird sie auch nach 6 Jahrzehnten noch als „Zuagroaste“ betrachtet. Generationen dauert das, bis Zugezogene von den Dorfbewohnern akzeptiert werden.
Verheiratet war Frau Maier nie. Nachdem sich ihre große Liebe, der Fischer-Karli, vor 40 Jahren zur Vernunftehe mit der vermögenden Maria überreden ließ, um seine Familie vor dem Ruin zu bewahren, wollte sie keinen anderen mehr. Einen Beruf hat sie auch nicht gelernt, und so lebt sie allein mit ihrer Katze, den Elvis-Schallplatten und Kochbüchern in ihrem kleinen Haus am See und schlägt sich als Putzfrau durch.
Freunde hat sie nicht, allenfalls Bekannte. Ein bisschen eigenbrötlerisch ist sie ja schon. Telefon hat sie auch keines, und genau das wächst sich jetzt zu einem Problem aus. Als Frau Maier nämlich an einem Wintertag am See spazieren geht, entpuppt sich das, was sie zunächst für einen Fisch gehalten hat, als Wasserleiche. Anita Brent, geborene Graf, die seit 30 Jahren in den USA gelebt hat, liegt jetzt nackt und tot im Chiemsee. Und weil Frau Maier, wie gesagt, kein Telefon hat, muss sie erst zur Sparkasse laufen, um die Polizei rufen zu können. Als die endlich am See eintrifft, ist die Leiche verschwunden.
Der Brandner Franz, der ermittelnde Kommissar, ist stinksauer, und in der Zeitung steht anderntags „Verwirrte Oma narrt Polizei“ (Seite 37). Nur der Polizeipsychologe Frank Schön, den ihr der Brandner Franz auf den Hals gehetzt hat, glaubt ihr. Und Elfriede Gruber von der Sparkasse, die glaubt ihr auch.
Frau Maier kann die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie weiß, was sie gesehen hat. Sie weiß auch, dass Anita Brent gerade bei ihrer Schwester Inge Graf zu Besuch war, hier in Kauzing. Doch dorthin ist sie nach einer Verabredung nicht mehr zurückgekehrt. Und jetzt gilt Anita als vermisst.
Ohne ihren Pass und ihr Gepäck wäre Anita Brent garantiert nicht in die USA zurückgekehrt, auch wenn die Polizisten das behaupten. Die wollen einfach nichts unternehmen. Deswegen verschweigt ihnen Frau Maier auch, dass jemand versucht, sie einzuschüchtern. Ein maskierter Mann schleicht nachts auf ihrem Grundstück herum und sorgt dafür, dass sie seine Anwesenheit auch ganz bestimmt wahrnimmt: Mal ist das Gartentor ausgehängt, mal ihr Fahrrad umgeparkt, dann legt er ihr einen toten Fisch vor die Haustür.
Wenn der Unbekannte damit erreichen will, dass Frau Maier endlich Ruhe gibt, hat er die Sache grundfalsch angefangen. Jetzt muss sie ja erst recht aktiv werden und Anitas Mörder finden, sonst hört der Spuk nie auf!
Von Inge Graf erfährt Frau Maier, dass Anita ihr etwas Schlimmes anvertrauen wollte. Ob das das etwas mit den rätselhaften Markierungen auf einem Klassenfoto aus den 70-er Jahren zu tun hat? Oder mit Anitas damals bester Freundin Evi Amberger, die sich angeblich gleich nach ihrem Schulabschluss ins Ausland abgesetzt hat? Sonderbar, eigentlich. Auf dem Klassenfoto sieht Evi eher so aus, als stünde sie kurz vor dem Zusammenbruch, nicht vor dem Aufbruch in ein neues Leben.
Etwas Schreckliches muss da gegen Ende der Schulzeit vorgefallen sein, dessen ist sich Frau Maier ganz sicher. So unauffällig wie möglich fragt sie sämtliche Klassenkameraden von Evi und Anita aus, deren sie habhaft werden kann. Damit ist sie offenbar auf der richtigen Spur, denn der der Maskenmann sieht sich genötigt zu handeln. Auf Inge Graf wird ein Mordanschlag verübt, und auch Frau Maier muss um ihr Leben fürchten.
Anita, beziehungsweise ihre Leiche, bleibt verschwunden.
Antonia Richter, eine todkranke alte Dame aus dem Dorf, hat angeblich Unterlagen, die Licht ins Dunkel bringen könnten. Frau Maier beschließt, der Sache nachzugehen. Das hätte sie mal besser bleiben gelassen …
Die Geschichte ist konsequent aus Frau Maiers Perspektive erzählt. Nur was sie weiß, weiß der Leser auch. Schritt für Schritt erarbeitet man sich mit ihr die Erkenntnisse in dem Fall – und ist ebenso frustriert wie sie, wenn sich wieder einmal eine Theorie als unzutreffend herausstellt und die Verdächtigen einer nach dem anderen wegbröckeln. Der eine ist zu alt, der andere ist zu krank, dieser ist schon tot und jener lebt in Australien – wer kann’s denn nun noch gewesen sein?
Leser, die unbedingt schneller und schlauer sein wollen als die ermittelnden Personen im Buch, werden schummeln müssen und den Schluss des Buchs zuerst lesen. (Desgleichen Tierfreunde, die es zu sehr mitnimmt, wenn eine Katze verschwindet.) Anders als mittels unfairer „Zeitsprünge“ kann man die Amateurdetektivin Maier nicht überholen.
So einzelgängerisch, wie sie lebt, wäre Frau Maier von Haus aus gar nicht. Sie hat durchaus gerne Menschen um sich und freut sich immer, wenn sie den Polizeipsychologen Frank Schön bekochen kann. Das Leben hat sie eben gelehrt, dass Menschen vielfach egoistisch, unfair und dumm sind. Und unzuverlässig obendrein. So hat sie sich immer mehr zurückgezogen und ist im Lauf der Jahre ein bisschen schrullig geworden.
Als Leser findet man es durchaus sympathisch, wie sie einen an ihren Gedankengängen teilhaben lässt. Ihre harmlosen Macken und vor allem ihr ständige Kampf mit Angst, Scham und Neugier machen sie so menschlich. Aber sie hält uns genauso auf Distanz, wie sie es mit ihren Mitmenschen im Dorf macht. Sie ist eben nicht die Bärbel oder die Annemarie, sondern die Frau Maier. Auch für uns.
Ob eine berufstätige Dame nahe der Rentengrenze bereits eine alte Frau, ja sogar „eine alte Vettel“ ist, liegt vermutlich im Auge des Betrachters. Je näher man selbst diesem Alter kommt, desto mehr wird man bestreiten, dass man da schon das Altweiberklischee bedient. Vielleicht ist es einfach so, wie Regina Kramer, 64, in der Zeitschrift BRIGITTE, Ausgabe 19/2012 schreibt: „Das wahrgenommene Alter der um die 65-jährigen reicht heute von 50 bis 80“ (Seite 84).
Gehört man zur Fraktion der Erbsenzähler, kann man nicht umhin zu bemerken, dass Anitas Schulkamerad Huber innerhalb von 13 Seiten zweimal den Vornamen wechselt: Auf Seite 95 heißt er Karl, auf Seite 103 Kurt und auf den Seiten 106 und 107 Klaus. Es ist zweifelsfrei jedes Mal dieselbe Person gemeint. Da ist dem Lektorat/Korrektorat etwas durch die Lappen gegangen.
Okay, das ist kein Drama! Die schrullige Frau Maier ist klasse, und Jessica Kremser kann sie gern zu einer Serienheldin machen. Wenn Frank und Elfriede ihr ein bisschen zur Seite stehen, wird sie sicher noch einige knifflige Fälle lösen. Und vielleicht verrät sie uns ja irgendwann noch ihren Vornamen.
Die Autorin
Jessica Kremser wurde 1976 in Traunstein geboren und wuchs am Chiemsee auf. Nach dem Studium der englischen und italienischen Literatur und Theaterwissenschaften zog es sie in die bayerische Hauptstadt, wo sie als Redakteurin für verschiedene Zeitschriften schreibt. »Frau Maier fischt im Trüben« ist ihr Debüt als Kriminalschriftstellerin.
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
http://www.boxmail.de
Nachtrag:
Der Pendragon-Verlag hat mich darüber informiert, dass die Sache mit dem „Karl/Kurt/Klaus“ in der zweiten Auflage korrigiert wurde.
Ich dachte, ich sage euch das, denn wenn ihr jetzt alle korrigierte Exemplare kauft, geht’s mir am End‘ wie der Frau Maier: Ihr glaub, ich spinne, weil ich Dinge sehe, die gar nicht da sind. 🙂