Justin Halpern: Kein Scheiß – die Ansichten meines Vaters, OT: Sh*t My Dad Says, aus dem Englischen von Lorenz Stern, Wilhelm Goldmann-Verlag, ISBN 978-3-442-15744-0, 188 Seiten, Softcover, Format: 18,6 x 12,4 x 1,8 cm, EUR 8,99 (D), EUR 9,30 (A).
Justin Halpern ist 28, als er nach San Diego ziehen will, um nach drei Jahren Fernbeziehung endlich mit seiner Freundin zusammenzuleben. Das geht schief, und er ist auf einmal Single und obdachlos. Das einzige, was ihm auf die Schnelle einfällt, ist, zu seinen Eltern zu ziehen.
Seine Mutter, eine Rechtsanwältin, ist noch berufstätig, sein Vater Sam, 73, vormals als Nuklearmediziner in der Krebsforschung tätig, ist mittlerweile in Ruhestand und den ganzen Tag daheim. So viel Kontakt mit seinem Vater hatte Justin, der von zu Hause aus arbeitet, noch nie. Und jetzt, nach Jahren der Distanz, fällt ihm auch einiges auf, was bei Halperns zu Hause anders ist als bei anderen Leuten. Als Kind hält ja jeder Mensch seine Familie für normal, weil er es nicht anders kennt.
„Seit ich ihn kenne, hat mein Vater nie ein Blatt vor den Mund genommen. Als ich klein war, hatte ich zumeist eine Heidenangst vor ihm und wusste die Tatsache, dass ich es mit dem wahrscheinlich aufrichtigsten Menschen auf diesem Planeten zu tun hatte, folglich nicht zu schätzen. Heute, als Erwachsener, war ich quasi rund um die Uhr von Leuten (…) umgeben, die nie sagten, was sie wirklich dachten. Weshalb mir die kuriose Mischung aus Ehrlichkeit und Wahnsinn, die für den Charakter und die Äußerungen meines Vaters so typisch war, plötzlich umso kostbarer erschien.“ (Seite 11)
Und es ist in der Tat nicht von schlechten Eltern, was der alte Herr da so ablässt. Er mag ein hoch dotierter Forscher sein, doch irgendwie hört man ihm immer noch an, dass er aus einfachen Verhältnissen stammt. Er sagt in recht deftigen Worten, was er denkt und lässt dabei keinerlei Spielraum für Interpretationen. In den USA, dem Mutterland der political correctness, dürfte das noch schockierender sein als hierzulande. Huch, ein flegelhafter Doktor!
Kostproben gefällig?
„Wie bitte? Ich habe Hunde-Leckerli gefressen? Und was zum Henker haben die bei dem anderen Knabberzeug zu suchen? Scheiß drauf, die Dinger sind köstlich.“ (Seite 73)
„Erkältet? Ich bitte dich. Erstens riecht man deine Fahne meilenweit gegen den Wind, und zweitens komme ich aus Kentucky. Was Schnaps und Pferde angeht, kannst du mir nichts vormachen.“ (Seite 120)
„Können diese dämlichen Fernsehheinis nicht einfach mal ihre blöde Fresse halten? Wer ständig die Klappe aufreißt, obwohl er nichts zu sagen hat, ist per definitionem ein Arschloch.“ (Seite 179)
Er pflegt, wie man sieht, einen ausgesprochen deutlichen Ton und wirkt damit sehr einschüchternd. Aber zu seinen Kindern hält er. Weder Justins Mathelehrer noch der Rabbi sind von Sams unverblümten Ansagen sonderlich begeistert. Und auch den Herrschaften vom Sportverein fällt die Kinnlade runter, als er seine ehrenamtliche Tätigkeit als Baseballtrainer mit den Worten hinschmeißt: „Dann macht euren Scheißdreck doch allein, und leckt mich am Arsch.“ (Seite 69)
Aus Jux fängt Justin nach seinem Wiedereinzug ins Elternhaus an, die heftigsten Aussprüche seines Vaters zu twittern – und hat bald eine riesige Fangemeinde. Verlage, Literaturagenten, Journalisten und Fernsehsender bekunden ihr Interesse. Jetzt ist es an der Zeit, Sam davon zu erzählen. Doch der hält gar nichts von den Medien. Justins älterer Bruder Dan sieht entsprechend schwarz: „Heilige Scheiße! Alter, das gibt Ärger!“ (Seite 13)
Wider Erwarten sieht Sam Halpern Justins Pläne gelassen. Er ist sogar stolz darauf, dass man seinem Sohn für ein Buch über seinen Vater Geld bezahlt. So ganz glauben kann er es freilich noch nicht …
Jetzt macht Justin sich daran, mit der Familie alte Geschichten und haarsträubende Anekdoten auszugraben, in denen Sam die Hauptrolle spielt. Nach und nach wird dem Sohn bewusst, dass er eigentlich gar nichts über seinen Vater weiß. So laut und polterig der Doktor ist, so verschlossen ist er auch. Und so erfährt Justin im Zug seiner Recherchen so manches über ihn, was über Grobheiten und Skurrilitäten hinausgeht.
Schräge Verwandte können sehr amüsant sein – solange sie nicht zur eigenen Sippe gehören. Über den erschreckend direkten Papa Sam kann man daher aus sicherer Distanz heraus wunderbar kichern, grinsen und den Kopf schütteln. Schließlich läuft man als Leser nicht Gefahr, Opfer seiner Schimpftiraden zu werden. Aber eigentlich ist er ja ein Guter. Auch das zeigt das Buch.
Der Autor:
Justin Halpern ist der Gründer der Comedy-Website HolyTaco.com und war leitendes Redaktionsmitglied bei Maxim.com. Zum Star wurde er dank seiner Twitter-Seite „Sh*t My Dad Says“, auf der mittlerweile nahezu 2 Millionen Fans gespannt die neuesten Sprüche seines Vaters Sam verfolgen. Justin Halpern lebt teils in Los Angeles und teils bei seinen Eltern in San Diego.
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
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