Anna Palm: Schmetterling aus Staub (Jugendbuch, ab 14)

Anna Palm: Schmetterling aus Staub, Berlin 2013, Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag, ISBN 978-3862652518, Hardcover, 340 Seiten, Format: 20,2 x 13,4 x 3,6 cm EUR 14,95.

„Mit meinem Buch möchte ich zeigen, dass wir mehr sind als nur eine Kategorie – selbst wenn andere glauben, uns definieren zu können. Jeder Mensch hat eine facettenreiche Persönlichkeit und kann viel schaffen, viel erreichen.“ (Anna Palm)

Deutschland, irgendwann in der Zukunft: Nachdem eine mysteriöse Infektionskrankheit einen Großteil der Bevölkerung dahingerafft hat, organisiert Diktator Caesar das Land neu. Es heißt auch nicht mehr „Deutschland“ sondern „Alemania“. Niemand darf das Land verlassen.

Mit acht Jahren werden alle Kinder nach ihren Persönlichkeitsmerkmalen selektiert und, wenn diese nicht mit denen ihrer Eltern übereinstimmen, Pflegeeltern in einer anderen Sektion zugeteilt. Ihre leibliche Familie sehen sie nie wieder, weil niemand mit den Menschen anderer Sektionen Kontakt hat. Das muss man sich so vorstellen:

  • Die Harmonier sind musische Menschen und leben in Seelenheide. Sie werden leicht unter Drogen gehalten und bewirtschaften die Obstplantagen des Landes.
  • Die Ehrgeizmenschen in Geistfurt sind Naurwissenschafts-Nerds und haben nur Interesse an ihren Büchern und Maschinen.
  • Die skrupellosen Machtmenschen in Machthall sind für die Wirtschaft zuständig und sind Caesars Handlanger.
  • Die Risikos in Sturmbruch schließlich sind Freidenker und werden in den Medien als Monster diffamiert. Caesars größte Angst, ist, dass diese Gruppe sich unkontrolliert vermehren könnte, weshalb schwangere Riskiofrauen verfolgt und getötet werden.

Mikaela „Mika“ Anders aus Seelenheide schafft es schon als Achtjährige, das System auszutricksen und bei der Selektion ihre Risikotendenzen zu verschleiern. Sie spielt das arglose Harmoniemädchen, um bei ihrer Geburtsfamilie bleiben zu können.

Als Mika 16 ist, bricht sich ihr Hang zum Risiko Bahn. Aaron Lindstrom, ein Teenager aus Sturmbruch, sitzt eines Abends auf der Gartenmauer der Familie Anders. Mika ist spontan fasziniert von dem frechen und attraktiven jungen Mann. Barfuß und im Nachthemd folgt sie ihm über die Mauer in die Wälder, ohne sich auch nur einmal nach ihrer Familie umzudrehen.

Aaron hat viel Schreckliches erlebt, seit er als Achtjähriger nach Sturmbruch gebracht wurde. Dass Caesars Schergen zwei seiner besten Freunde umgebracht haben, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Aaron hat jetzt die fixe Idee, dass er nur vier Leute aus den verschiedenen Persönlichkeitsgruppen zusammenbringen muss, um Caesar stürzen zu können. Die unterschiedlichen Temperamente müssten einander zu etwas ganz Neuem ergänzen, das die Kraft hat, das ganze Selektionssystem zu zerstören. Mit dem Harmoniemädchen Mika hat er schon die halbe Rebellentruppe beisammen.

Unterwegs treffen sie auf das Machtmädchen Janna Harting. Eigentlich wollte sie nur wild campen, aber sie schließt sich Aaron und Mika an. Janna – extrovertiert, aggressiv, attraktiv und etwas ordinär – hat größte Freude daran, Mika fortwährend anzupöbeln und zu demütigen. Und Aaron macht mit. Mika hat aufgrund ihrer Erziehung diesen Angriffen nichts entgegenzusetzen. Nur langsam lernt sie, wie man sich zur Wehr setzt. Weil sie es in Jannas Nähe nicht mehr aushält, aber Aaron und seine Mission nicht aufgeben will, schlägt sie sich heimlich nach Geistfurt durch und rekrutiert dort den Chemie-Nerd Finn Lukra.

Damit ist das Viererteam komplett. Doch statt ihr dankbar zu sein, beleidigen Aaron und Janna sie und den Teamneuling Finn auf übelste, menschenverachtende Weise. Ein Wunder, dass die beiden sich nicht umdrehen und gehen! Oder, besser gesagt: wegfahren. Immerhin hat Finn einen Truck mit in die Gruppe eingebracht.

Auch wenn es nicht nachvollziehbar ist: Die vier bleiben zusammen und machen sich gemeinsam auf den Weg zu Caesars Zentralpalast. Unterwegs begegnen sie einer Familie, die in einem Versteck in der Einöde haust und die es eigentlich gar nicht geben dürfte: Risikomutter Nina, Harmonievater David und ihre beängstigend altkluge fünfjährige Tochter Aleyna. Dort finden sie Hilfe und Unterschlupf. Für Aaron, Finn und Janna ist der liebevolle Umgang der Familie miteinander eine lange vermisste oder nie gekannte Erfahrung. Bleiben können sie dort natürlich nicht, schließlich haben sie eine Mission zu erfüllen. Auch wenn ein Kopfgeldjäger hinter ihnen her ist.

Als sie am Palast ankommen und sich durch einen glücklichen Zufall unter die Geburtstagsgäste der Caesarentochter mischen können, stellt sich die Frage, wie es jetzt weitergeht. Man marschiert ja nicht einfach so rein und ermordet einen Diktator. Eigentlich hat nur Machtmädchen Janna einen brauchbaren Plan, von dem ihre Mitrebellen allerdings nichts wissen. Und das aus gutem Grund …

Anna Palms voriger Roman DIE SELBSTVERGESSENEN war großartig. Entsprechend hohe Erwartungen hat man als Leser an den SCHMETTERLING AUS STAUB. Doch die kann das Buch nicht so recht erfüllen. Vermutlich war die Geschichte vom Horrorinternat der Selbstvergessenen einfach näher an der Lebenswirklichkeit der jungen Autorin (Jahrgang 1995) als die gedankliche Entwicklung einer totalitären Gesellschaftsform und das Anzetteln einer Revolution.

Dass man ein Volk besser unter Kontrolle hat, wenn man die „Risikos“ beizeiten aus dem Verkehr zieht, leuchtet ein. Den Naturwissenschaftlern geistiges Futter und den Harmonikern Drogen zu geben, damit sie nichts um sich herum wahrnehmen, könnte zur Not auch noch funktionieren. Doch mit der Konzentration der Machtmenschen schafft man sich doch eine Schlangengrube, in der jeder alles daran setzt, selber Caesar zu werden.

Und da kommen nun vier Teenager aus der Provinz und wollen ganz allein das System stürzen. Das ist ziemlich naiv. Was andererseits wieder für Caesars Prinzip der Selektion und Separation spricht: Je dümmer du dein Volk hältst, desto länger kannst du unbehelligt regieren. Eigentlich müsste die Vier-Kids-Revolte ja krachend scheitern. So, wie die Geschichte im Buch endet, ist es sehr unglaubwürdig. Da wird der Roman von der Dystopie zum Märchen.

Fassungslos macht den erwachsenen Leser der extrem respektlose, aggressive und verletzende Umgangston, der unter den vier Teenies herrscht. Wollen wir hoffen, dass das nicht der Ton ist, in dem man heute auf Schulhöfen miteinander spricht!

A propos Sprache: Es wäre gut gewesen wenn jemand kritisch auf den Text draufgeschaut hätte. Da wimmelt es nämlich von merkwürdigen Formulierungen und schiefen Sprachbildern:

  • „Dann schlage ich die Postboxklappe wuchtartig zu.“ (Seite 28),
  • „Ich gehe aufs Sofa“, erklärt Janna felsenfest.“ (Seite 215)
  • „Ich habe einen warmen Schauer im Bauch.“ (Seite 215).
  • “Ich werde noch ein paar Oktaven leiser.“ (Seite 153). Eine Oktave hat mit Lautstärke nichts zu tun.
  • „Empörung und Unglauben kristallisieren sich aus seinen Augen heraus.“ (Seite 201)
  • „Als sie uns (…) sieht, fällt ihr das Lächeln wie eine Staubflocke von den Lippen.“ (Seite 221)
  • „(…) während seine Pupillen auf und ab hüpfen.“ (Seite 254). Können sie nicht. Pupillen können sich allenfalls weiten und zusammenziehen.

Textstellen wie diese sind unfreiwillig komisch und man ertappt sich dabei, auf den nächsten Patzer zu lauern. Das hat die Geschichte nicht verdient. Selbst Wunderkinder wie Anna Palm sollte man nicht alleine wursteln lassen, sondern ihre Texte gründlich lektorieren. Dafür gibt’s doch die Experten. Es ist wirklich so, wie sie es im vorliegenden Roman beschreibt: Wir Menschen ergänzen uns mit unseren Fähigkeiten. Gemeinsam erreichen wir bessere Ergebnisse.

Die Autorin
Anna Palm wurde 1995 in Aachen geboren und ist Schülerin an einem Gymnasium in Neuss. Nach ihrem humorvollen Debütroman »Ellen, Schutzengel« und der Dystopie »Die Selbstvergessenen« ist nun ihr drittes Buch „Schmetterling aus Staub“ im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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