Heike Abidi: Nachts sind alle Schafe schwarz. Roman. München 2013, Droemer-Knaur Taschenbuch, ISBN 978-3-426-51394-1, Softcover, 329 Seiten, Format: 18,8 x 12,4 x 2,4 cm, EUR 8,99 (D), EUR 9,30 (A), 8,99 (Kindle-Edition).
„Wir sind eben Marktführer im Bereich der animalistischen Balance“, lachte Becky zufrieden. Kunststück. Wie sollten sie Konkurrenz auf einem Gebiet haben, das gar nicht existierte? (Seite 65)
Drei befreundete Mittdreißigerinnen haben Lebensträume, zu deren Verwirklichung ihnen das nötige Kleingeld fehlt.
- Die rotgelockte Greta Hildebrandt sehnt sich nach ihrem Durchbruch als bildende Künstlerin, hält sich aber mühsam mit Aquarellkursen und Tierporträts über Wasser.
- Die allein erziehende Graphikdesignerin Rebekka Quandt – mittelgroß, mittelblond, mittelschlank und mittellos – würde am liebsten ihrem despotischen Chef die Brocken hinwerfen und ein schnuckeliges Café eröffnen.
- Carolin Arnold-Braun – groß, stattlich, schwarzhaarig – möchte gerne ihren vielbeschäftigten Göttergatten zu einem Luxusurlaub entführen. Vielleicht klappt es dann auch mit dem Nachwuchs. Dass ihre Freundinnen es lieber sähen, wenn sie diesen egozentrischen Armleuchter in die Wüste schickte statt ihn kritiklos anzuhimmeln, steht auf einem anderen Blatt.
Aber das bleibt ohnehin alles graue Theorie, solange die Damen nicht über die entsprechenden Mittel verfügen.
Ganz nüchtern sind sie nicht mehr, als sie auf einem proseccoseligen Mädelstreff die Geschäftsidee schlechthin entwickeln und auch gleich eine Anzeige schalten. „Animalistische Balance“ lautet das Zauberwort. Dahinter verbirgt sich esoterischer Hokuspokus, den sich Greta, Caro und Becky von Aal bis Zebra selbst ausgedacht haben. „Welche beiden Seelentiere prägen Ihre Persönlichkeit? Finden Sie es heraus (…). Und sorgen Sie dafür, dass Ihr Löwe und Ihre Antilope, Ihre Schlage und Ihr Adler (…) in Balance sind. Nur wenn keines Ihrer Seelentiere dominiert, können Sie glücklich, zufrieden und erfolgreich leben.“ (Seite 36)
Als anderntags das Telefon nicht mehr stillsteht und die Interessenten den Freundinnen die Bude einrennen, ist niemand überraschter als sie. Jetzt müssen sie aber auch liefern! Also entwickeln sie in Windeseile Persönlichkeitstests und Firmenlogo, etikettieren, verpacken und versenden von Caros Kindermodenboutique aus Kräutertees, -seifen, -bonbons sowie –duftkissen und bieten bald auch Seminare an.
Im Handumdrehen wird aus der Schnapsidee eine richtige Firma, die sie von ihren Angehörigen geheim halten. Zum Glück kommt ihnen Gretas Mutter Elisabeth auf die Schliche. Die ist zwar nervig, anstrengend und exaltiert, aber auch sehr geschäftstüchtig und als ehemalige Chefsekretärin hervorragend organisiert. Sie bringt erst einmal Struktur in den Chaotenladen, sorgt dafür, dass die Freundinnen zum Notar und zum Steuerberater gehen und schleppt ihnen den IT-Spezialisten Philipp Mertens an, der für sie einen Internetauftritt, einen Webshop und eine Social-Media-Kampagne entwickeln soll.
Philipp wird bald ein guter Freund für das Team. Besonders für Caro. Greta hat in Lars Berger, dem Besitzer des Seminarhotels Falkenmühle ihren Traummann gefunden, auch wenn die anderen ihn für einen Schleimbeutel halten. Und Beckys Freundschaft mit dem Journalisten, der ihnen durch seinen Enthüllungsartikel unabsichtlich ein sattes Umsatzplus verschafft hat, ist wohl auch nicht so platonisch, wie sie behauptet.
Alles läuft prima. Die Freundinnen surfen mit ihrer animalistischen Balance auf der Erfolgswelle und der Rubel rollt. Bis Greta zufällig mitbekommt, welche schrecklichen Schicksalsschläge die junge Witwe Iris in ihr Seminar getrieben haben. Die Teilnehmer suchen Trost und Hoffnung – und sie ziehen ihnen mit ihrem Eso-Bullsh*t nur die Kohle aus der Tasche! Greta bekommt ein derart schlechtes Gewissen, dass sie dem animalistischen Spuk sofort ein Ende bereiten will. Was werden die Freundinnen dazu sagen?
Die Firma können sie zwar auflösen. Aber das vergangene halbe Jahr als Pseudo-Gurus können sie nicht mehr ungeschehen machen. Zuviel hat sich dadurch in ihrem Leben verändert. Haben sie überhaupt noch Interesse an den Träumen, die vor sechs Monaten Auslöser für das ganze Theater waren, oder sehen ihre Vorstellungen vom Glück jetzt gänzlich anders aus? Da gibt es doch einige überraschende Entwicklungen …
Zum Brüllen, wie Heike Abidi den Esoterik-Zirkus durch den Kakao zieht! Vor allem die Schilderung des ersten Seminars ist der Heuler. „Noch während Becky grübelte, ob Quantenheilung wohl etwas mit kosmetischer Fußpflege zu tun hat, stellte sich der letzte Teilnehmer der Gruppe vor.“ (Seite 119) Und damit kein Teilnehmer Fragen stellt, die ihre Wissenslücken offenbaren, erfinden die drei die „Biokommunikation“. Nach der Vorstellungsrunde dürfen die Teilnehmer nur noch in der Sprache ihres schwachen Seelentiers kommunizieren. Spirch: blöken, zischen, wiehern oder krächzen.
Auf dem Seminar spielen sich unfassbar komische Szenen ab. Das ist Wasser auf die Mühlen aller Skeptikerinnen, die sich stets darüber wundern, welche absurden Dinge manche Menschen glauben. Gleichzeitig fragt man sich, was schlimmer ist: Leute, die von dem Unfug, den sie verbreiten, tatsächlich überzeugt sind oder Scharlataninnen wie Caro, Greta und Becky, die die Gutgläubigkeit und den seelischen Ausnahmezustand ihrer Mitmenschen zynisch ausnutzen.
Zum Piepen ist auch Gretas Mutter Elisabeth Hildebrandt mit ihrer Neigung zu schiefen Sprachbildern, verdrehten Redensarten und falschen Fremdwörtern „Schwamm beiseite“, „aus der Bretagne helfen“ und „das hat absolute Pietät“, sind nur ein paar ihrer Sprachklöpse. Wenn sie außer Hörweite ist, reden die Freundinnen manchmal selbst „elisabethanisch“ und verhunzen kichernd eine Redensart nach der anderen. Doch sie wissen sehr wohl, dass sie Elisabeth einen großen Teil ihres geschäftlichen Erfolgs verdanken.
Sie können ganz schön gemein sein, die Personen in diesem Roman. Die drei Heldinnen ver@rschen ihre Kunden, Gretas Freund ver@rscht die Frauen, Fred Braun schikaniert seine Frau Caro, Elisabeth Hildebrandt tyrannisiert Tochter und Lebensgefährten und Rebekkas Arbeitgeber ist ein Chef direkt aus der Hölle. Das alles kennt man so oder so ähnlich aus dem wahren Leben. Prachtskerle wie Philipp, Florian, Bastian, Marco und Kurt, denen die Damen im Verlauf der Geschichte begegnen, scheint es jedoch nur zwischen zwei Buchdeckeln zu geben. Schade eigentlich. Doch das ist wohl mit ein Grund, warum das Genre der „heiteren Frauenromane“ so beliebt ist.
NACHTS SIND ALLE SCHAFE SCHWARZ ist tierisch unterhaltsam und saukomisch ohne die ernsten Aspekte der Geschichte aus den Augen zu verlieren. Wie weit darf man bei der Verfolgung seiner Ziele gehen? Was muss man sich gefallen lassen? Wo sind die Grenzen?
Selbst die esoterikresistente Leserin wird bald vermuten, dass ihre Seelentiere wohl Pferd und Huhn sein müssen, weil sie fortwährend am Wiehern und am Gackern ist. Wer sich nicht dem Verdacht aussetzen möchte, eventuell eine Meise unterm Pony zu haben, sollte das Buch möglichst nicht in der Bahn oder im Wartezimmer einer Arztpraxis lesen. Wem es nichts ausmacht, öffentlich laut loszulachen, kann ja das Buch so halten, dass die Mitmenschen das Cover erkennen können. Dann wissen sie, was sie lesen müssen, um auch so viel Spaß zu haben.
Die Autorin
Heike Abidi, Jahrgang 1965, studierte Sprachwissenschaften und arbeitet heute als freiberufliche Werbetexterin und Autorin. Sie schreibt erfolgreich Jugendbüchern und Romane für Erwachsene. Mit Mann, Sohn und Hund lebt sie in der Nähe von Kaiserslautern.
Rezensent: Edith Nebel
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