Hermann Bauer: Lenauwahn. Ein Wiener Kaffeehauskrimi

Hermann Bauer: Lenauwahn. Ein Wiener Kaffeehauskrimi, Meßkirch 2013, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1414-5, Softcover, 307 Seiten, Format: 19,8 x 12 x 2,4 cm, Buch: EUR 11,99 (D), EUR 12,40 (A), Kindle Edition: EUR 9,99.

9783839214145

Aus den Gräbern wird empor
Himmelwärts die Schande rauchen,
Und dem schwarzen Rauch der Schmach
Sprüht der Rache Flamme nach.
(Nikolaus Lenau: In der Schenke, Seite 187)

Nach Einbruch der Dunkelheit sollten auf dem Jedleseer Friedhof in Wiens 21. Bezirk eigentlich die Toten unter sich sein. Doch an einem Abend im Oktober ist dort ungewöhnlich viel los: Totengräber Enrico wirtschaftet noch herum, drei Schulbuben sind wegen einer Mutprobe dort, und der Augenarzt Stefan Renner sucht nach einem makaberen Accessoire für eine Halloween-Party.

Der Abend endet dramatisch: einer der Schüler wird bewusstlos geschlagen, die anderen beiden stehen unter Schock. Jemand hat das Grab des pensionierten Gymnasiallehrers Hannes Langthaler geschändet. Dr. Stefan Renner ist spurlos verschwunden und Totengräber Enrico sieht sich allerlei Verdächtigungen ausgesetzt.

Hier kommt Herr Leopold ins Spiel, der neugierige Oberkellner des Café Heller. Stefan Renner und sein Bruder Horst sind dort Stammgäste. Und wer in diesem traditionellen Kaffeehaus ein und aus geht, weiß, dass der Herr Leopold eine gewisse Affinität zu Kriminalfällen hat. Deshalb beauftragt ihn Brigitte Renner, nach ihrem verschwundenen Sohn zu suchen. Die Polizei ist in diesem Fall nicht der richtige Ansprechpartner. Ein Erwachsener kann sich schließlich aufhalten, wo er mag. Und Stefan Renner verschwindet nicht zum ersten Mal spontan, ohne seine Angehörigen darüber zu informieren.

Ob die Vorfälle auf dem Friedhof mit den „Lenaubrüdern“ zu tun haben? Das ist eine Gruppe von Bürgern der Kleinstadt Stockerau (ca. 25 km nordwestlich von Wien), die das Floridsdorfer Gymnasium besucht haben und Verehrer des österreichischen Biedermeierlyrikers Nikolaus Lenau sind. Stefan Renner ist dort Mitglied, genau wie sein Bruder Horst und der pensionierte Lehrer Langthaler, dessen Grab geschändet wurde. Oder liegt die Verbindung im verwandtschaftlichen Verhältnis der Männer? Langthaler war ein Onkel der Renner-Brüder. Besonders eng scheint ihr Kontakt allerdings nicht gewesen zu sein.

Da Leopold ohnehin im Vermisstenfall Renner recherchiert – und viel Unerfreuliches findet –, schaut er sich auch gleich im Haus des verstorbenen Onkels um. Ihm bietet sich ein Bild der Verwüstung. Einbrecher haben sämtliche Papiere des pensionierten Lehrers durchwühlt. Aber wer? Und warum? Und hat derjenige gefunden, was er gesucht hat?

Leopold setzt seinen Lehrerkumpel Thomas Korber auf die Lebensgeschichte Langthalers an. Aber der ist als Hilfssheriff nur bedingt geeignet. Sein Versuch sich als angeblicher Sachbuch-Autor unter die Lenau-Bruderschaft zu mischen, scheitert grandios. Zwei Dinge erreicht er immerhin: Dass ihm jemand einen Zettel mit der Botschaft „Stefan lebt“ zusteckt – und dass Lenau-Bruder Jakob Baumgartner ihm brisante Hintergrundinformationen in Aussicht stellt.

Berufliche und private Ereignisse lenken die beiden Hobbydetektive vorübergehend von dem Fall ab. Thomas Korbers Freundin Geli will unbedingt mit ihm zusammenziehen, und er will das auf gar keinen Fall. Und der ewige Junggeselle Leopold wandelt jetzt auch auf Freiersfüßen. Er hat die attraktive und willensstarke Geschäftsfrau Erika Haller kennengelernt, die in ihrer frischen Beziehung schon bald das Regiment führt.

Beruflich schlägt sich Oberkellner Leopold mit den Vorbereitungen für einen Kulturabend herum, den seine Chefin angeleiert hat. Leopold ist der ganze Wirbel lästig und er hat kein gutes Gefühl dabei. Mit Recht, wie sich herausstellt. Mitten aus der Veranstaltung verschwindet ein weiterer Lenaubruder und wird wenig später vor dem Jedleseer Friedhof ermordet aufgefunden. Auch Jakob Baumgartner bekommt der Versuch, sein Insiderwissen mit Leopold und Thomas Korber zu teilen, nicht gut. Aber warum sollte jemand reihenweise Lyrikfreunde umbringen? Ein rätselhafter Text aus Langthalers Nachlass könnte wichtige Hinweise liefern. Aber der ist leider verschlüsselt …

Als Porträt der Wiener Kaffeehauskultur ist das Buch hinreißend. Schon verständlich, warum so ein Café wie das Heller für manche Menschen zum zweiten Wohnzimmer wird. Warum der Kaffeehausgast keinen gutgelaunten Ober wünscht sondern eher einen grantigen, macht uns der Autor auch plausibel. Herrlich ist der Kulturabend mit der abgetakelten Sopranistin, die mehr Allüren als Talent hat und sich ständig mit dem abgebrühten Wienerlieder-Ensemble zankt. Die Leute, die im Bannkreis des Café herumwuseln, sind sehr gut und lebensnah getroffen.

Die Krimihandlung selbst ist ein wenig „zach“ (= zäh). Und weil praktisch keine Romanfigur wirklich sympathisch ist, ist es einem auch relativ wurscht, wer jetzt den alten Grantler oder den brutalen Grobian umgebracht hat. Frauen kommen in dem Buch auch nicht gut weg. Eigentlich sind es samt und sonders ganz schreckliche Weibsbilder, die nichts anderes im Sinn zu haben scheinen, als freiheitsliebende Junggesellen an die Kette zu legen. Warum sollten sie das denn wollen? Von den Kerlen in dem Buch möchte man doch keinen geschenkt haben! Keinen Polizisten, der einem mitten in der Nacht die grausigen Details des aktuellen Mordfalls erzählt, keinen versoffenen Lehrer mit Bindungsangst und auch keinen spätmittelalten schrulligen Oberkellner, der schlüpfrige Witze reißt und mit seinem Café verheiratet ist.

Auch wenn der Kriminalfall jetzt nicht so der Brüller ist: Man erfährt in diesem Buch Interessantes über den Dichter Nikolas Lenau und würde sich am liebsten jetzt sofort in so ein traditionelles Kaffeehaus setzen. Dass der Autor weiß, wovon der schreibt, ist spürbar. Er ist nach eigenem Bekunden seit langen Jahren Stammgast im Caféhaus Fichtl in Floridsdorf. Im Anhang des Kriminalromans ist freundlicherweise ein zweiseitiges Glossar der Wiener Ausdrücke, die in dem Buch verwendet werden. Man braucht also keine Verständnisschwierigkeiten zu befürchten.

Es ist vielleicht gemein, den Leser noch eigens darauf aufmerksam zu machen: Aber wer sich leicht durch sprachliche Eigenheiten vom Textinhalt ablenken lässt, dem wird schnell auffallen, dass man in diesem Buch nicht einfach was „sagt“, oder meinetwegen „brüllt“ oder „flüstert“. Hier geht es nach der wörtlichen Rede häufig nach diesem Muster weiter:
„…“, resignierte Brigitte achselzuckend. (Seite 7)
„…“, kam es eindringlich von Jürgen. (Seite 22)
„…“, steigerte sich Wondratschek in eine Euphorie. (Seite 47)
„…“, zeigte er danach auf eine Stelle beim Friedhofszaun mit Büschen und etwas Gestrüpp (Seite 59)
„…“, war Brigitte Renner hingegen Feuer und Flamme (Seite 75)
„…“ erkannte Brigitte jetzt Leopold. (Seite 117)

Nur der Herr Benedek, der krächzt immer, wenn er den Mund aufmacht.

LENAUWAHN ist der sechste Band der Leopold-Reihe. Man kann ihn durchaus als Quereinsteiger lesen. Allerdings bleiben dann ein paar Fragen offen: Welche Funktion hat eigentlich der Herr Wondratschek, der es mit dem Kulturabend so wichtig hat? Hat Leopold auch einen Nachnamen? Wie schaut er aus? Wie alt ist er? (Ich schätze ihn auf Mitte 50.)

Es ist schon hilfreich, wenn man von Anfang an ein Bild vom Helden hat, das man später nicht mehr nachjustieren muss, wenn weitere Informationen zur Person geliefert werden. Wenn gar keine Eckdaten vorliegen, kann sich jeder den Leopold vorstellen, wie er mag: wie Hans Moser, wie Theo Lingen oder meinetwegen wie Falco. „Guten Tag, die Herren, was darf’s denn sein? Ein Bierchen, ein Weinderl, ein Schnapserl?“ (Seite 51)

Der Autor
Hermann Bauer wurde 1954 in Wien geboren. 1961 kam er nach Floridsdorf. Während seiner Zeit am Floridsdorfer Gymnasium begann er, sich für Billard, Tarock und das nahe gelegene Kaffeehaus, das Café Fichtl, zu interessieren. Seither ist er dort Stammgast. Er unterrichtet an der BHAK Wien 10. 1993 heiratete er seine Frau Andrea, der zuliebe er seinen Heimatbezirk verließ. Er ist Mitglied des Theaterensembles seiner Schule und wirkte dort bereits in 13 Aufführungen mit. 2008 erschien mit »Fernwehträume« sein erster Kriminalroman, dem vier weitere Krimis um das fiktive Floridsdorfer Café Heller und dessen neugierigen Oberkellner Leopold folgten. »Lenauwahn« ist der sechste Kaffeehauskrimi des Autors.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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