Ehrliche Finder

Vor ein paar Tagen hat ein Polizist in Waiblingen 10.000,- Euro auf der Straße gefunden. Dass jemand so einen Betrag verliert und sich nicht meldet ist in den Medien weniger Gegenstand der Betrachtungen als die Tatsache, dass der Finder das Geld nicht behalten sondern tatsächlich abgegeben hat. Der Radiomoderator heut‘ in der Früh wusste anscheinend nicht so recht, ob der ehrliche Finder damit in die Kategorie „Marsmensch“, „Held“ oder „Depp“ gehört.

Ist es heute schon so unerhört, wenn jemand anständig handelt, dass dies Gegenstand der Medienberichterstattung wird?

Wenn jedes Mal das kollektive Raunen und Kopfschütteln einsetzt, sobald einer eine Fundsache korrekt abliefert statt sie einzusacken, wundert mich nicht, dass alle Welt glaubt, die Fundunterschlagung sei der Normalfall und alles andere sei eine exotische und irgendwie belächelnswerte Ausnahme.

Behalten wirklich die meisten Leute ihren Fund und fühlen sich im Recht dabei?

Glaubt man dem Experiment, das Reader’s Digest im September 2013 gemacht hat, dürfte sich das mit den ehrlichen und den unehrlichen Findern so ungefähr die Waage halten: In 16 Großstädten auf vier Kontinenten hat das Test-Team insgesamt 192 Portemonnaies „verloren“. Jeder Geldbeutel war bestückt mit einer Telefonnummer, einem Familienfoto, Rabattmarken, Visitenkarten sowie einem Geldbetrag in Landeswährung im Wert von 40 Euro.

Die Tester ließen die Portemonnaies in Parks, in der Nähe von Einkaufszentren oder auf dem Bürgersteig liegen und legten sich auf die Lauer. Von den 192 verlorenen Portemonnaies wurden 90 (47 Prozent) zurückgegeben. Alter und Geschlecht der Finder spielten dabei keine Rolle.

Das Ranking der zurückgegebenen Geldbeutel war folgendermaßen:

  • 11 von 12: Helsinki
  • 9 von 12: Mumbai/Indien
  • 8 von 12: Budapest und New York City
  • 7 von 12: Amsterdam und Moskau
  • 6 von 12: Berlin und Ljubljana (Slowenien)
  • 5 von 12: London und Warschau
  • 4 von 12: Bukarest, Rio de Janeiro und Zürich
  • 3 von 12: Prag
  • 2 von 12: Madrid
  • 1 von 12: Lissabon

In der Oktoberausgabe des Magazins wird dazu Peter Graeff, Professor für Soziologie an der Universität Kiel, zitiert: „Ehrlichkeit ist wertebasiert. Sie kostet ja etwas. In diesem Fall 40 Euro. Der ehrliche Mensch setzt diese Kosten kleiner an als die Bedeutung seiner Werte, und deshalb gibt er die Geldbörse zurück.“ (RD, Oktober 2013, S. 45).

Diese Art von Ehrlichkeit muss man sich aber auch leisten können. Dass das mit der Geldbeutelrückgabe in manchen krisengebeutelten Regionen nicht so klappt, wundert mich nicht.

In Zürich sind die „Kosten“ der Ehrlichkeit vermutlich anders definiert. Es kostet schließlich auch Zeit, sich um eine gefundene Geldbörse zu kümmern. Und wegen 40 Euronen macht in so einer geschäftigen und wohlhabenden Stadt wohl niemand ‘ne Welle.

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Foto: uschi dreiucker / www.pixelio.de

Ein Kommentar

  1. *Diese Art von Ehrlichkeit muss man sich aber auch leisten können. Dass das mit der Geldbeutelrückgabe in manchen krisengebeutelten Regionen nicht so klappt, wundert mich nicht.*

    mich auch nicht, dazu dann noch unsere guten vorbilder (steuerhinterziehende millionäre,manager und banken, die zu lasten des gemeinwohls betrügen und sich dort auch noch das geld für ihre verlustreichen machenschaften von diesen retten lassen und das auch noch ganz in ordnung finden.)

    wie soll sich dann ein mensch fühlen der unter ständigen existenängsten lebt.

    schön das du das auch mal thematisiert hast. gebe mein foto gerne dafür her.

    lieben gruß

    uschi 🙂

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