Kein Lachen und kein Singen

Eine Cousine hat mir Fotos geschickt von Familientreffen. Der Mann lachend und singend. Die Fotos sind zum Teil Jahre alt.

So fröhlich war er schon lange nicht mehr. Das wird mir jetzt erst klar – im Nachhinein. Veränderungen, die schleichend vor sich gehen, nimmt man oft nicht bewusst wahr.

Was konnten wir früher lachen über alberne Wortspiele („Maggi Kleistermasse“) oder Anekdoten von unseren Reisen! „Das Wetter ist ja gar nicht so trübe. Die Scheiben sind getönt!“ Diese naiv geäußerte Feststellung eines Mitreisenden brachte uns immer wieder zum Kichern. Und wenn irgendwo gesungen wurde, war Gerhard immer zuvorderst dabei. Oft wurde er von professionellen Musikern angesprochen. Die hören auch aus einer größeren Menge heraus, wenn einer was kann. Und einmal wollte ihn eine Chorleiterin vom Fleck weg engagieren.

Wann hat er zuletzt gesungen? Ich kann mich nicht erinnern.

Muenchen-klein Gerhard als Hausfotograf in Aktion

2011 war noch eine gute Zeit. Klingt sonderbar, wenn man bedenkt, dass er da monatelang in einer Klinik war. Aber es war eine Zeit der Hoffnung, dass doch noch alles gut werden könnte. Ich zumindest hatte diese Hoffnung. Ein bisschen wenigstens.

Wir haben fast jeden Abend telefoniert und so viel miteinander gesprochen wie lange nicht mehr. Wenn er an den Wochenenden heim durfte, hatte ich meine Hausarbeit schon so weit erledigt, dass wir Zeit füreinander hatten. Und ich habe mich gefreut wie ein Teenager, wenn er Samstag morgens nach Hause kam und auch noch Frühstücksbrötchen vom Bäcker an der Ecke mitbrachte.

Aber es wurde nichts gut. Alles Bemühen und alles Hoffen war vergebens.

GL-Lobbybar-kl

Was hatte ich in den letzten ein, zwei Jahren Angst vor einer Zukunft, die so nie eintrat!

Was wird, wenn er nicht mehr arbeiten kann, habe ich mich gefragt. Wenn er keine Aufgabe mehr hat und keinen Sinn mehr im Leben sieht? Wenn er finanziell von mir abhängig ist? Werden wir das aushalten? Was ist, wenn ich aus Frustration und Erschöpfung ungerecht werde und mich beschwere, dass ich nicht nur das Geld nach Hause bringen und unser beider Leben organisieren, sondern auch noch den kompletten Haushalt schmeißen muss, weil er nicht mehr kann und nicht mehr will?

Ehe es so weit kommen konnte, war sein leben vorbei. Das war ja nun auch nicht die Problemlösung, die mir vorgeschwebt hat! Denn nur, wo Leben ist, ist auch Hoffnung.

Jetzt ist meine Zukunftsangst eine andere: Dass ich irgendwann allein in dem großen Haus auf dem Dorf sitze und einer fernen Vergangenheit nachtrauere. Dass der erste und der letzte Gedanke des Tages – und die meisten dazwischen – meinem Verlust gelten.

Aber wer weiß schon, was kommt? Wie schnell alles ganz anders sein kann, als man hofft oder fürchtet, haben wir ja jetzt gesehen.

vulkan5

Ein Kommentar

  1. Liebe Edith, ich finde es sehr schön und berührend, wie Du über Eure gemeinsame Zeit mit allen Höhen und Tiefen schreibst. Ich hoffe, dass das Schreiben Dir hilft, um den Ereignissen ihren Platz zu geben (oder ist das jetzt ein Hollandismus?). Alles Liebe.

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