Jürgen Seibold: Schlampig dosiert, Tübingen 3013, Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-1281-8, 221 Seiten, Softcover, Format 18,8 x 11,8 x 1,8 cm, Buch: EUR 9,90, Kindle Edition: EUR 7,90.
„Gut“, fasste Froelich zusammen, „wir haben also eine Einbrecherbande, zu denen mindestens ein Chemiker oder ein Chemie-Fan gehört. Und Sie kennen das Gas, das verwendet wurde.“
Mohr nickte.
„Und jetzt?“, fragte Froelich. (Seite 205)
Im Esslinger Stadtteil Zell wird das Ehepaar Sigle erstickt im eigenen Einfamilienhaus aufgefunden. Einbrecher haben gezielt Gas ins Schlafzimmer des Passivhauses geleitet, um sich ungestört an den Wertsachen der Familie bedienen zu können.
Das Vorgehen erinnert an die Taten der Pforzheimer Gentleman-Bande … doch es gibt auch deutliche Unterschiede: Die Opfer in Pforzheim wachten anderntags mit einem Schädelbrummen auf. Und nie wurden persönliche Erinnerungsstücke wie Ringe mit Gravur oder Medaillons mit Foto gestohlen. Auch das Eigentum der Kinder blieb unangetastet. Hier sind nicht nur gravierte Weißgoldringe verschwunden, sondern auch die Sparschweine der Patenkinder. Und es gab, wie gesagt, zwei Tote. Gut dass wenigstens Robert Reukers – ein alter Freund aus Berlin, der für ein paar Tage die Sigles besuchte – an dem Abend nicht im Haus war, sonst hätte es noch ein drittes Opfer gegeben.
Mit der Beisetzung des Paares wird der Bestatter Gottfried Froelich beauftragt, der sein Institut in der Esslinger Innenstadt erst vor wenigen Jahren von seinem Vorgänger Richard Sanfftleben übernommen hat.
Gottfried Froelich, 43, pfundig, gemütlich und musikalisch, hat einen Riecher für Todesfälle, bei denen etwas nicht stimmt. Schon mehrfach hat er auf eigene Faust Ermittlungen angestellt, wenn ihm in Ausübung seines Berufs etwas sonderbar vorgekommen ist. Kriminalkommissarin Jana Bednarz sieht die Einmischung von Privatpersonen generell nicht gern, hat aber gelernt, auf Froelichs Instinkt zu vertrauen.
Froelichs Lebensgefährtin, die Journalistin Inge Coordes, 14 Jahre älter als er, sieht das deutlich unentspannter. Teils ist sie eifersüchtig, wenn ihr Gottlieb mehr Zeit mit seinen Toten und seinen Privatermittlungen verbringt als mit ihr, teils hat sie Angst um ihn, denn so ganz ungefährlich ist sein Hobby ja nicht. Deshalb reagiert sie auch ausgesprochen ungehalten, als Froelich im „Fall“ Sigle zu recherchieren beginnt und stellt ihn vor die Wahl: sein Hobby oder sie. Als ob ein passionierter Schnüffler von seiner Leidenschaft so einfach lassen könnte!
Ein bisschen Schiss hat er schon vor seiner resoluten Inge. Also ermittelt er heimlich. Zusammen mit seinem Vorgänger Sanfftleben setzt er die Geschichte in die Welt, er müsse wegen einer personellen Notsituation bei einem befreundeten Bestatter in Pforzheim aushelfen. So kann er ungestört am bisherigen Wirkungsort der Gentleman-Bande herumspionieren, während Richard Sanfftleben kommissarisch die Geschicke des Esslinger Instituts leitet und Augen und Ohren offen hält.
Es war damit zu rechnen, dass Sanfftlebens Pforzheimer Kumpels ähnlich schräge Vögel sind wie er selbst. Und so hängt Gottfried Froelich bald mit dem schmuddeligen Bestatter und Amateurschauspieler Sepp Reuchlin, dem Gastwirt Luigi Gaudante und dem Musikalienhändler Ferdinand „Kanne“ Östreicher in dubiosen Kneipen herum und fühlt kriminellen Subjekten auf den Zahn. Das ist gar keine gute Idee! Wenn die Herren Hobbyschnüffler wüssten, was in der Unterwelt vor sich geht, würden sie das schleunigst bleiben lassen. Auch da gibt es nämlich Hierachien, Zuständigkeitsbereiche und Reviere. Neu auf den Markt drängende Konkurrenten werden von den etablierten Ganoven ebenso ungern gesehen wie naive Amateurschnüffler. Und die Argumente in dieser Branche sind ziemlich handfest …
Der gemütliche Pfundskerl Froelich, der aus Angst vor seiner Inge nur noch verdeckt ermittelt, ist klasse! Auch die schrägen Vögel, die seinen Freundes- und Bekanntenkreis bilden, sind überaus unterhaltsam. Ein besonderes Vergnügen werden natürlich die Leserinnen und Leser haben, die sich in Esslingen und/oder Pforzheim auskennen. Wenn einem die literarischen Leichen quasi vor die Haustür gelegt werden und man so richtig plastisch vor Augen hat, wo die Romanfiguren gerade herumstiefeln, macht das die Geschichte auf angenehm gruselige Weise real. Und natürlich überlegt man auch, ob das eine oder andere beschriebene Original nicht ein bekanntes lebendiges Vorbild hat.
Von atemloser Spannung ist die Geschichte eher nicht. Sie kommt ein bissle behäbig daher, genau wie der genussfreudige Bestatter Froelich. Wie realistisch die Schilderung des Ganovenmilieus ist, kann man sich als Leser natürlich fragen. Im wahren Leben wären die Missfallenskundgebungen der Betroffenen vermutlich etwas direkter ausgefallen. Rund um die Gentleman-Bande wird die Story auch ziemlich kompliziert und personalintensiv. Die Schwäche vieler Regionalkrimis ist eben die Krimihandlung. Das ist nichts Neues.
SCHLAMPIG DOSIERT ist eine amüsante Geschichte über eine Handvoll gesetzter Herren, die aus Langeweile Detektiv spielen. Dass sie dabei wie eine 40+-Version der „Drei Fragezeichen“ oder der „Fünf Freunde“ daherkommen, dämmert ihnen in einem selbstironischen Moment selbst. Und so muss man den Krimi auch lesen: als ein unterhaltsames Abenteuer mit viel Lokalbezug und ohne übergroße Ansprüche auf Realitätsnähe.
Der Autor:
Jürgen Seibold, 1960 in Stuttgart geboren, war Redakteur der Esslinger Zeitung, arbeitete als freier Journalist für Tageszeitungen, Zeitschriften und Radiostationen. Er schreibt Sachbücher, Regionalkrimis, Komödien, Thriller und Jugendbücher. Jürgen Seibold lebt mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis und macht Musik – wenn er mal Zeit dafür findet.
Rezensent: Edith Nebel
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