In Bereichen, in denen es immer nur auf mich alleine ankam und mein Partnerschaft keine große Rolle spielte, funktioniere ich schon wieder fast normal. Im Beruf und sonstigen geschäftlichen Belangen zum Beispiel. Oder im Kontakt mit Freundinnen oder Verwandten, mit denen der Mann nie viel zu tun hatte. Da ist ja alles wie gehabt, es hat sich nichts verändert.
Hart ist es, wenn ich nach Feierabend nach Hause komme und genau weiß, dass ich mit den Katzen alleine bin und bleibe. Gut, ich habe noch jede Menge zu erledigen und telefoniere auch viel. Das hilft, aber es ist kein Ersatz für den verlorenen Lebenspartner.
Wenn man wenigstens hinaus könnte und nicht wetterbedingt in der Wohnung eingesperrt wäre! Es gibt einem die Illusion von Kontakt und Lebendigkeit, wenn man in der warmen Jahreszeit auf dem Balkon oder im Garten sein kann, die Nachbarn rumoren sieht und hört und ab und zu mal ein paar Worte mit jemandem wechselt. Wenn du heimkommst und nur die Uhr ticken hörst oder den Fernseher plappern, das ist nicht das gleiche. Das hat mir auch eine Bekannte bestätigt, die seit einiger Zeit eine Fernbeziehung führen muss. (Wobei sie ihren Partner wenigstens anrufen kann und an den Wochenenden sieht.)
„Einsam ist, wer für niemanden mehr die Nummer 1 ist“, habe ich gestern gelesen. Hilfsbedürftige Eltern oder Haustiere, die notgedrungen auf einen angewiesen sind, mag ich da nicht so richtig mitzählen. Wenn ich jetzt mit Freunden oder Verwandten Zeit verbringe oder sie um Hilfe bitte, halte ich sie davon ab, mit ihrer Nummer 1 zusammen zu sein. Und dann habe ich ein schlechtes Gewissen.
Möglicherweise war ich schon einige Jahre auf diese Art einsam, ohne es zu registrieren. Im Mittelpunkt seines Lebens stand seit langem seine Krankheit, nicht unsere Beziehung. Das fällt mir erst jetzt so richtig auf. Vorher war es eben, wie es war, ich habe nicht groß darüber nachgedacht. Erstaunlich, woran man sich alles gewöhnt, wenn der Prozess nur schleichend genug vorangeht.
Irgendwann werde ich mich auch ans Alleinsein gewöhnen. Aber noch ist es schwer. Vor allem an den Wochenenden, an denen wir doch mehr Zeit miteinander verbrachten und bestimmte Rituale entwickelt hatten. Vielleicht müsste ich alles radikal anders machen als bisher, um den Verlust nicht so zu spüren. Mein Tagesablauf ist aber noch weitgehend derselbe wie zu Gerhards Lebzeiten. So rasend viel Spielraum habe ich ja auch nicht.
Ich habe den Fehler gemacht, mich im Internet nach Witwenforen umzusehen. Das war definitiv keine gute Idee! Das hilft mir gar nicht, das zieht mich noch mehr runter. In diesen Foren bewegen sich naturgemäß hauptsächlich Menschen, deren Verlust noch ganz frisch ist. Die schreiben genau das, was mich auch umtreibt. Ich spüre dann nicht nur meinen Schmerz, sondern ihren auch noch. Oder es sind Leute, die erzählen, dass sie 12 Jahre gebraucht haben, um den Tod ihres Partners zu verwinden. 12 Jahre! Die machen mir Spaß! Da bin ich 65. Ich will doch nicht hören, dass es mir bis zu meiner Rente so beschissen gehen wird wie jetzt!
Soll ich die Fotos wegräumen, die uns in glücklicheren, gesunden Tagen zeigen? Das frage ich mich in den letzten Tagen immer wieder. In unserer – pardon: in meiner – Wohnung hängen und stehen ein paar. Wenn ich draufschau, gibt es mir jedes Mal einen Stich: So war es einmal, das hast du alles verloren. Oder soll ich sie lassen, wo sie sind, in der Hoffnung, irgendwann mal so weit abzustumpfen, dass mir ihr Anblick nichts mehr ausmacht? Wie ich schon sagte: Der Mensch gewöhnt sich an fast alles.
In welchem Lied kommt das Fragment vor:
„allein, allein…“. Viele sind zu zweit allein und merken es nicht.
Ich drücke Dich.