Ja, gut möglich, dass ich mich derzeit wie ein hilfloses Mädchen aufführe und nicht wie eine gestandene Frau Mitte 50. Aber ich habe mich auch selten zuvor so hilflos, überfordert und allein gefühlt.
In meiner Kindheit und Jugend hatte ich meine Familie als Unterstützung. Die war zwar ständig furchtbar beschäftigt, aber sie war auch zahlreich vertreten, praktisch veranlagt, erfinderisch und gut vernetzt. Was auch immer das Problem war, irgendeiner schleppte die Lösung dafür an oder kannte zumindest jemanden, der helfen konnte.
Mein ganzes bisheriges Erwachsenenleben dann hatte ich meinen Partner. Und weil auch er handwerklich geschickt war, eine Unmenge Leute kannte und ihnen am Telefon alles Erdenkliche aus dem Kreuz leiern konnte, bekamen wir mit vereinten Kräften alles irgendwie geregelt. Ich habe geplant, organisiert und mit meinen Ansprechpartnern verhandelt, der Mann hatte alles Technische unter sich und nutzte sein eigenes Netzwerk. Und dann hatten wir ja immer noch die Familie. Auch mit dieser Arbeitsteilung war unser Leben recht gut ausgelastet.
Nun stehe ich da: Die hilfsbereite Verwandtschaft ist uralt und hilfsbedürftig oder lebt schon lange nicht mehr. Jetzt ist der Mann auch noch verstorben und ich habe alles alleine an der Backe, was ich seither nur mit Mühe und der Hilfe meiner Angehörigen bewältigt habe. Und durch die komplizierte Nachlassverwaltung kam noch einiges obendrauf.
So rödle ich seit einem Vierteljahr wie eine Bekloppte und sehe kein Land. Natürlich wäre ich gerne zu jeder Tages- und Nachtszeit souverän, cool und geschäftsmäßig, als könnte ich mühelos für drei arbeiten, aber es gelingt mir nicht. Phasenweise wächst mir alles über den Kopf und ich könnte schreiend weglaufen. Wenn das blöd und kindisch ist, dann sei es so.
Oft habe ich den Eindruck, dass das Organisieren von Hilfe noch aufwändiger ist, als seinen Krempel selber zu machen. Ich hab mal bei Dienstleistern angefragt, ob mir jemand den Rasen mäht. Das Grundstück ums Haus rum ist groß, abschüssig und wild bepflanzt. Es scheiterte schon am Online-Formular. Ich hätte Rasenflächengröße, Anzahl der Bäume und Sträucher und Gefälle angeben sollen. Das im Weg herumstehende Grünzeug könnte ich zählen. Aber wieviel Rasen vor, hinter und neben dem Haus ist? Ich habe nur einen Plan von der Wohnung, nicht vom Grundstück. Soll ich jetzt das Gelände abschreiten, abschätzen und die Wege rausrechnen? Pi mal Furz und Feuerstein? Und wie steil? Keine Ahnung! Nach Westen hin fällt es leicht ab und nach Süden deutlich.
In der Zeit, in der ich mich mit diesem Klimbim beschäftige, habe ich den Rasen auch selber gemäht.
Alles, was nach Formularen, Anträgen, Widerspruch, Terminen und langwierigen Auseinandersetzungen klingt, ist mir derzeit wie Spitzgras. Ich ersaufe in Papierkram und scheue mich, mir noch mehr davon über den Hals zu ziehen, auch wenn manches davon vielleicht mittelfristig sinnvoll wäre. Ganz ehrlich: Ich hab die Schnauze voll vom ewigen Organisieren, Suchen, Planen, Rennen, Schreiben, Ausfüllen, Mailen, Verschicken, Bitten, Betteln und Hinterhertelefonieren.
Wenn ich es recht bedenke, geht dieses Organisationsmarathon nicht erst ein Vierteljahr so, sondern schon seit drei bis vier Jahren. Seit die Männer in meiner Familie – der Gatte und der Vater – immer kränker und schwächer wurden, landete jeden Tag ein bisschen mehr Verantwortung bei mir. Das war ein schleichender Prozess, den ich lange gar nicht registriert habe. Jetzt merke ich: Ich habe tonnenweise Zeug an am Hals, das Kraft kostet und gar nichts mehr, das mir Kraft gibt.
Wenn es ein Zeichen von Unreife und Schwäche ist, dass ich die wegbrechenden Ressourcen nicht rechtzeitig zu ersetzen wusste und mein Leben organisatorsch noch nicht wieder auf der Reihe habe, dann kann ich es auch nicht ändern. Derzeit ist es eben so.