Marlies Ferber: Mord in Hangzhou. Kriminalroman, München 2014, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, 978-3-423-21522-0, 309 Seiten, Softcover, Format: 19 x 12 x 2,6 cm, Buch: EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A), Kindle Edition: EUR 7,99.

„Es war nicht nur eine Grippe, Didi. Die Ursache war verseuchtes Wasser. Absichtlich verseuchtes Wasser. Es gab ein Bekennerschreiben.“
„Woher weißt du das?“
„Von meinem chinesischen Kontaktmann.“
„Kontaktmann?“ Ma Jian sah James verblüfft an. Dann begriff er. „Ein Auftrag? Offiziell vom SIS?“
(Seite 202)
Man könnte James Gerald (70) und seine Sheila (67) für ein ganz normales britisches Rentnerpaar halten. Das sind sie aber nicht. James war Agent des SIS (Secret Intelligence Service) – des britischen Geheimdiensts – und Sheila Humphrey war 40 Jahre lang seine Sekretärin. Seit die beiden im Ruhestand sind, ist die attraktive Witwe James‘ Nachbarin und Lebensgefährtin.
Aber was heißt hier „Ruhestand“? Die beiden haben immer noch Kontakt zu ihren früheren Kollegen. Als James zur Hochzeit seines chinesischen Patensohns Xiao Long nach Hangzhou in die chinesische Provinz Zhejiang eingeladen wird und Sheila aus familiären Gründen nicht mitreisen kann, kommt das seinem Ex-Chef David Grenville sehr gelegen. Da könnte James doch eigentlich gleich einen Undercover-Auftrag erledigen …
In Hangzhou ist es in jüngster Zeit zu Sabotage-Aktionen und Giftanschlägen gekommen, und jetzt ist an der Universität auch noch ein Mord geschehen. Das geht schon in Richtung Terrorismus, und der SIS hat den Chinesen Hilfe zugesichert. James lässt sich nicht lange bitten und nimmt an der Uni von Hangzhou als vorgeblicher Biologie-Professor an einem Kongress internationaler Senior-Experten teil. Sheila darf davon nichts wissen. Für sie fährt er einfach nur zu einer Hochzeit.
Als ausländischer Professor wird James, wie erwartet, auf Schritt und Tritt bespitzelt, abgehört und verfolgt. Doch wenn seine Verfolger glauben sollten, mit diesem alten Herrn locker fertig zu werden, haben sie sich getäuscht. James hat vor Jahren längere Zeit in Hangzhou gearbeitet. Er kennt die Gegend, er hat hier Kontakte, er spricht chinesisch – und er hat aus seiner aktiven Zeit noch ein paar hundsgemeine Tricks auf Lager. Nein, zum alten Eisen gehört er noch lange nicht!
Als ein Giftanschlag auf die Künstlerinnen der Yue-Oper verübt wird, verdächtigt man die Schauspielerin Feng Huang, die Verlobte seines Patenkinds. Obwohl James sie kaum kennt, hält er sie für unschuldig und verfrachtet sie, seinen Freunden zuliebe, in ein sicheres Versteck. Aus Sentimentalität?

Hier am Westsee überredet James die Braut, nicht zur Polizei zu gehen.
Foto: China’s famous West Lake. Photograph taken by User: Nat Krause, summer 2004. I, the copyright holder of this work, release this work into the public domain. This applies worldwide. In some countries this may not be legally possible; if so: I grant anyone the right to use this work for any purpose, without any conditions, unless such conditions are required by law.
Dann wird einer der Senior-Experten ermordet aufgefunden. James glaubt weniger denn je an einen politischen Hintergrund. Sein Tod sollte so aussehen, ja. Aber so stümperhaft würden Profis niemals vorgehen! Es ist vielleicht doch eher was Persönliches. James durchleuchtet die Vergangenheit verschiedener beteiligter Personen und fördert Erstaunliches und Tragisches zu Tage.
Auf einmal steht Sheila auf der Matte. Sie hat ihre Termine umarrangiert und ist ihrem James nachgereist. Das Problem ist, dass er sie nicht in die Geschehnisse einweihen darf. Doch wenn sie misstrauisch wird und sich selbst ihren Reim macht, reagiert sie vielleicht falsch und verschlimmert die Situation. Wobei … viel schlimmer kann es ja kaum mehr kommen! Denn auf einmal steht James unter Mordverdacht. Jetzt wird sich zeigen, wer wirklich auf seiner Seite steht …
Bis auf einen simplen biologischen Zusammenhang kann der Leser hier absolut nichts voraussehen. Geheimdienstgeschichten sind ja immer voller Finten, Tricks und Winkelzügen. Nie weiß man, wer Freund oder Feind ist und was die anderen auf ihrer geheimen Agenda haben. James weiß nicht einmal, was von ihm erwartet wird. Haben seine Auftraggeber tatsächlich Interesse an der Aufklärung der Morde und Giftanschläge? Oder haben seine Ermittlungen nur eine Beschwichtigungsfunktion und man hofft im Grunde, dass er scheitert?
Erschwerend kommt hinzu, dass die Geschichte in China spielt und wir nicht wirklich durchschauen, wie die Leute dort ticken. Dazu haben wir zu wenig Erfahrung mit ihrer Kultur. Was ist reine Höflichkeit und was ihre ehrliche Meinung? Und wir können allenfalls der Spur nach ahnen, was mit Menschen wie Ma Lin – der Ehefrau von James‘ altem Freund Ma Jian – während der Kulturrevolution geschehen ist. Marlies Ferber hat Sinologie studiert und spricht im Nachwort von Feldstudiein in China. Sie weiß deutlich mehr als wir und gewährt uns einen kleinen Einblick in das kulturelle und alltägliche Leben der Chinesen.
James Gerald, unser Agent Null-Null-Siebzig, hat sich tatsächlich verändert, seit er mit Sheila zusammen ist. Ein bisschen schrullig und taktlos ist er immer noch. Aber so ungesellig und rücksichtslos ehrlich wie in den ersten beiden Bänden wirkt er nicht mehr. Ich würde ihn jetzt nicht mehr als „Sozialtrampel“ bezeichnen, wie ich es in der Besprechung des vorigen Bandes tat (NULL-NULL-SIEBZIG – AGENT AN BORD). Amüsant finde ich, dass er nun seinerseits eine besonders unbeliebte und boshafte Person mit diesem Prädikat belegt.
Ich bin mir nicht sicher, ob er das moralische Dilemma, in das ihn diese Geschichte bringt, in seiner aktiven Zeit überhaupt als ein solches wahrgenommen hätte. Er hätte seine Ergebnisse präsentiert und fertig. Jetzt überlegt er, welche Folgen es hat, wenn redet oder wenn er schweigt. Er ist in letzter Zeit schon sehr viel einfühlsamer geworden. Diese Veränderung ist ihm auch bewusst: „Sie haben recht“, sagte James schließlich. „Ich habe tatsächlich persönliche Gefühle die Oberhand gewinnen lassen. (…) Wissen Sie, in meinem ganzen Leben habe ich es dazu nicht kommen lassen. Bin kaum langfristige private Bindungen eingegangen. Hatte nur eine Handvoll Freunde, die meisten davon beim SIS. Habe nie geheiratet. Nun bin ich in Rente, und es ist anders geworden. Meine Prioritäten liegen im Privaten.“ (Seite 174/175) Donnerwetter! So viel Selbsterkenntnis hätten wir dem ollen Haudegen gar nicht zugetraut!
Ob’s noch weitere Abenteuer der zwei flotten Ruheständler gibt? James lässt gleich mehrfach durchblicken, dass ihm das alles langsam zu anstrengend wird. Wenn das Chaos am schlimmsten tobt, träumt er von einem gemütlichen Abend mit Sheila im heimischen Wohnzimmer. Die zwei müssen ja nicht gleich wieder um die halbe Welt reisen, wenn es sie so stresst. So ein kleiner Fall in der näheren Umgebung wäre auch mal eine feine Sache …
Die Autorin
Marlies Ferber, geboren 1966, ist Sinologin und Germanistin, gelernte Buchlektorin und seit 2004 freie Autorin und Übersetzerin für Englisch und Niederländisch. Mit „Null-Null-Siebzig: Operation Eaglehurst“ legte sie 2012 ein locker-leichtes Krimi-Debüt hin, das viele Leser begeisterte und dem 2013 das Urlaubs-Abenteuer von James Gerald und seiner ehemaligen Kollegin Sheila Humphrey folgte: „Agent an Bord“. Das dritte Abenteuer von Ex-Geheimagent James alias Null-Null-Siebzig führt ihn noch einmal in offizieller, aber geheimer Mission nach China.

Rezension in Arbeit
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
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