Wenn du nichtsahnend von der Arbeit kommst und deinen Mann tot auf dem Fußboden liegend vorfindest, haut’s dir von einer Sekunde auf die andere dein ganzes bisheriges Leben um die Ohren. Normal ist da nichts mehr und wird es auch auf Monate oder Jahre hin nicht mehr werden.
Ich bin relativ hart im Nehmen, doch in dieser Situation konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Zwei Wochen lange war ich krank geschrieben und statt mit Werbetexten mit Bestattungs- und Nachlass-Formalitäten beschäftigt, während ich immer noch Mühe hatte zu begreifen, was da passiert war.
Stille hätte ich da nicht ertragen. Wo der Mann war, war immer Musik und Reden, früher auch Lachen und Singen. Jetzt waren nur noch die Katzen da und ich. Ich hatte den ganzen Tag über den Fernseher laufen, RTL Nitro und andere Sender, die alte amerikanische TV-Serien brachten.
Ich habe in der Zeit rund 20 Folgen „Matlock“ gesehen. Da wenigstens war alles wie gehabt. Rechtsanwalt Ben Matlock trug seine üblichen hellgrauen Anzüge und war sein altes grantiges und geiziges Selbst. Er mampfte Hotdogs, legte sich mit Nachbarn, Richtern, Zeugen und Verdächtigen an und widersetzte sich den vernünftigen Ratschlägen seiner Tochter. Er kniete sich rein in die aussichtslosen Fälle. Manchmal fiel er dabei auf die Nase und es litten Frisur und Anzug, aber am Ende der Folge landeten die Bösen unweigerlich im Knast.
Im Fernsehen war alles wie immer. (Im Internet übrigens auch: Sprüche, Diskussionen und Katzenbilder.) Es gab also noch kleine Inseln der Normalität, sogar in meinem Leben. Das Chaos hatte nicht die ganze Welt erfasst. Vom Verstand her war mir das natürlich immer klar. Jeden Tag sterben Menschen, und die Welt dreht sich trotzdem weiter. Aber gefühlsmäßig gab mir diese unerschütterliche Kontinuität der alten Fernsehserie Halt. Ich dachte, irgendwann würde auch ich wieder aufstehen, die Frisur richten, die Klamotten abstauben und weiterwursteln. Auch wenn es manchmal gar nicht danach aussah und ich auch heute, über ein halbes Jahr danach, noch nicht sagen kann, wann es so weit sein wird.

White House photo by Paul Morse
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Liebe Edith,
irgendwo kann ich es nachfühlen, was du erlebst. Natürlich in anderer Intensität und im Verhältnis eher zu Vater und Mutter, die leider schon auf der anderen Seite auf mich warten. Vater starb schon 1976 infolge eines Autounfalls. Ein VoPo klingelte am Morgen und brachte die Botschaft. Am Abend zuvor waren wir noch im Krankenhaus und die Ärzte versicherten uns, dass er schwer verletzt zwar, aber überleben würde.
Am schwersten ist mir damals gefallen, dass ich ihm nie wieder Fragen stellen könnte, erst später habe ich begriffen, dass es dennoch geht und auch Antworten gibt.
Ich wünsche dir, dass du auch einen Weg finden wirst, der nicht nur aus einer alten TV- Serie besteht. Übrigens mochte meine Mutter auch diesen alten Herrn und hat die Serie immer geschaut.
Sei herzliche gegrüßt,
Rainer
Sagen wir mal: Matlock war sowas wie „Erste Hilfe“, damit ich in dieser Situation nicht ganz durchdrehe. Um meinen Kram auf Dauer wieder auf die Reihe zu kriegen, braucht’s schon ein bisschen mehr.
Und immer, wenn ich denke, ich habe es gepackt, kommt wieder ein Rückfall.
Am Sonntag war es ein Jahr, dass mein Mann verstorben ist. Und es war so, als ob es Gestern gewesen wäre.
Auch ich rette mich mit alten Krimis, die wir vorher beide zusammen gesehen haben. Und zum Glück kann ich noch schreiben, das hilft auch ein wenig. Und ich denke, es bleibt noch lange so, aber vergessen werde ich meinen Charly nie, er wird immer um mich sein, und das hilft mir sehr. Ich wünsche Ihnen viel Kraft, ich denke oft an Sie.
Ich habe monatelang seine bevorzugten TV-Sender und Themen gemieden. Er sah gern TV-Dokumentationen über technische und naturwissenschaftliche Themen. Ich mag das auch, aber ich habe es lange Zeit nicht über mich gebracht, mir das ohne ihn anzusehen.
So geht es mir mit seinen Liedern, die kann ich noch nicht hören, das tut so weh, dass ich nicht mehr aufhören kann mit weinen.Und auch die Orte, wo wir waren, meide ich noch, aber ich bin froh, dass er nicht mehr leiden muss, jahrelang hat er sich gequält, es war schwer für uns Beide.