Susanne Gerdom: Queen of Clouds – Die Wolkentürme (14 – 17 Jahre), München 2014, bloomoon/ArsEdition GmbH, ISBN 978-3-8458-0207-7, Klappenbroschur, 504 Seiten, Format: 14,4 x 4,5 x 21,1 cm, Buch: EUR 14,99 (D), EUR 15,50 (A), Kindle Edition: EUR 12,99.
Ein paar Jahrtausende nach einer schweren Naturkatastrophe ist unsere Welt nicht mehr so, wie wir sie kennen. Die privilegierte Adelskaste lebt in himmelhohen Türmen – befestigte Städte, die in die Höhe gebaut wurden. Der Luxus der „Türmer“ geht direkt zu Lasten der „Schluchter“, des einfachen Volks, das unter primitiven Bedingungen in den Tälern haust und zu Frondiensten und Realabgaben herangezogen wird.
Die Schluchter stellen außerdem unfreiwillig das Dienstpersonal der Türme. Menschen, die den Türmern nützlich erscheinen, werden einfach geraubt. In letzter Zeit betrifft das auch immer häufiger kleine Kinder, denn die Adeligen haben immer weniger eigene Nachkommen. Mit den Mätressen aus den Schluchten klappt die Fortpflanzung noch, aber der Adel unter sich ist praktisch unfruchtbar.
Es gibt nur einen Typus der Schluchter, der von den Übergriffen der Türmer verschont bleibt: diejenigen, die bereits weißhaarig zur Welt kommen, denn die haben starke magische Kräfte. Oder wäre „Psi-Begabungen“ der bessere Ausdruck? Auf jeden Fall wollen die Türmer diese Leute weder als Adoptivkinder noch als Bedienstete um sich haben.
Schluchter, die nur mit einzelnen weißen Strähnen im Haar geboren werden, sind keine Vollmagier, sondern werden im Teenager-Alter nur ein einziges übersinnliches Talent entwickeln.
Von den Schluchter-Zwillingsschwestern, die im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen, ist die weißhaarige Winter eine Vollmagierin, die gerade darin ausgebildet wird, die greise spirituelle Führerin Om, „das ewige Prinzip“, eines Tages zu ersetzen. Ihre schwarzhaarige Schwester Elster hat lediglich eine einzelne weiße Haarsträhne und bis jetzt noch kein Psi-Talent ausgebildet. Sie ist jung, das kann noch kommen. Mit ihrem gleichfalls magisch unbegabten Kumpel, dem Mechaniker Indigo, streift die rebellische Elster durch Wälder und Höhlen, sucht Artefakte der untergegangenen Kultur der „Alten“, fliegt verbotenerweise einen Gleiter und klettert unter Lebensgefahr auf dem Turm herum.
Als ihr Dorf überfallen wird, verletzt sie einen der Türmer mit einem Dolch. Dummerweise ist der Lümmel ein Sohn des Herrschers, des Panarchen Laurenz Lecare. Nothilfe hin oder her – dafür soll das Mädchen an die Türmer ausgeliefert werden.
Auch im Turm hat man seine Sorgen. Nicht nur, dass die Türme im Süden turnusmäßig aufmüpfig werden und dem Panarchen die Vormachtstellung streitig machen wollen – durch die Unfruchtbarkeit der Adelsfamilien gibt es immer mehr Schluchter-Mätressen und –Mischlinge, und da ist das mit der Loyalität so eine Sache …
Valentin Lecare, dem jüngste Sohn des Panarchen, sähe man seine Schluchter-Herkunft sogar an, wenn er nicht Gegenmaßnahmen träfe. Er ist der Sohn der vor Jahren verschwundenen Lady Fabia, die er nach wie vor hartnäckig sucht. Auch die aktuelle Favoritin seines Vaters, Lady Melania, stammt aus den Schluchten und wurde wegen ihrer Schönheit direkt vom Dienstbotentrakt in sein Schlafzimmer befördert. Sie ist überaus intelligent und auf einer eigenen geheimen Mission. Doch länger sie mit dem Panarchen und seiner Familie zusammenlebt, desto weniger ist sie in der Lage ihn zu hassen und ihre ursprünglichen Ziele weiter zu verfolgen.
Seit Valentin Lecare als künftiger Panarch gehandelt wird, hat er alle Hände voll zu tun, um am Leben zu bleiben. Seine Halbbrüder sind selbst scharf auf den Posten und tun alles, um den Jüngling zu beseitigen. Dass er seine Cousine Leona, die redegewandte Kämpferin mit der Augenklappe, heiraten soll, passt ihm gar nicht. Er liebt sie „nur“ wie eine Schwester und sie ist mit seinem Lehrer, dem versoffenen Alban, liiert. Was auch immer sie an ihm findet.
Diesen Leuten soll also die renitente Schluchterin Elster ausgeliefert werden. Doch dazu kommt es nicht. Om, die spirituelle Führerin der Schluchter, und Laurenz, der Panarch aus dem Turm, kommen überein, dass es jetzt an der Zeit sei, eine Expedition auszurüsten, die eine alte Prophezeiung erfüllen soll. Nur das könne die Welt noch retten.
Plötzlich finden sich, neben der regulären Besatzung, eine Abordnung der Türmer und der Schluchter auf dem Luftschiff „Wolkenkönigin“ wieder: Valentin, sein Halbbruder Rufus, Lehrer Alban, Cousine Leona und Kumpel Cosimo aus der einen Gruppe, Elster, ihre Schwester Winter, der Mechaniker Indigo und der mysteriöse „Steuermann“ Zach, ein Vertrauter von Om, aus der anderen. Sie müssen sich zusammenraufen. Ihre Aufgabe: den legendären Turm Null zu finden und den Ewigen König zu wecken. Dann werden die Türme wohl untergehen, aber die Menschheit wird überleben, weil die Unfruchtbarkeit ein Ende haben wird.
So der Plan. Aber so wenig die Identitäten und Loyalitäten geklärt sind, so wenig herrscht Einigkeit über das Ziel der Expedition und die Art und Weise, wie die Aufgabe erledigt werden soll. Dass während der Reise der Himmelskönigin in den Türmen das totale Chaos ausbricht und die Mission abgeblasen wird, ist auch nicht gerade hilfreich. Wird das zusammengewürfelte Team den Turm Null trotzdem finden und die Welt retten können?
Auch wenn sich das Buch an Jugendliche richtet: Es fasziniert auch Erwachsene. Wenn man erst einmal angefangen hat, zu lesen, verlottert die Wohnung, das Essen brennt an und Verabredungen werden vergessen. Sollte man das Buch in der Bahn lesen, verpasst man wahrscheinlich seine Ausstiegshaltestelle. Dabei dauert es knapp 150 Seiten, bis von der Weltrettungsmission überhaupt einmal die Rede ist. Vorher lernt man die Welt, ihre Bewohner und deren Interessen und Allianzen kennen. Manches erschließt sich erst nach und nach. Zum Beispiel, was ein „Trikker“ ist oder was es genau mit den Textstellen auf sich hat, die geheimschriftartig aus Sonderzeichen gesetzt wurden.
Was die Sache zusätzlich komplex macht: Wenn ein Schluchter in einen Turm verbracht wird, bekommt er dort einen neuen Namen. Die Bedeutung seines Geburtsnamens bleibt dabei oft (aber nicht immer) erhalten. Aus „Biene“ würde im Turm zum Beispiel „Deborah“, aus „Feuer“ ein „Ignatius“, aus „Blume“ eine „Flora. Dadurch, dass die einen den alten und die anderen den neuen Eigennamen verwenden, ist manchmal von ein und demselben Menschen die Rede, ohne dass der Leser sich dessen bewusst ist. Das ist natürlich Absicht. Den handelnden Personen geht es auch nicht besser als den Lesern. Sie haben mitunter eine gesuchte Person oder einen nahen Verwandten direkt vor der Nase und wissen es nicht.
Sobald man das Prinzip erkannt hat, rätselt man als Leser mit: Wer ist wer, wer plant was und wer hält zu wem? Aber so leicht ist das Verwirr- und Versteckspiel nicht zu lösen, und so gibt es ein paar schöne Überraschungen.
Man würde sich in diesem faszinierend bizarren und dennoch logisch aufgebauten Universum gerne noch länger herumtreiben. Da ist es schade, dass die Geschichte in sich abgeschlossen ist. Gut, nicht alle Fragen werden abschließend geklärt, sodass die Möglichkeit einer Fortsetzung gegeben wäre …
Warum das Buch einen englischen Titel hat, wo im Roman selbst nur auf Deutsch von der „Wolkenkönigin“ die Rede ist, bleibt ein Rätsel. Kürzer ist der englische Titel ja nicht. Er hört sich vielleicht einfach nur besser an. Wie auch immer das „Kind“ heißt: Die Story ist klasse!
Die Autorin
Susanne Gerdom lebt und arbeitet im Familienverband mit vier Katzen und zwei Menschen in einer kleinen Stadt am Niederrhein, bezeichnet sich selbst als „Napfschnecke“, die ungern ihr Haus verlässt, und ist während ihrer wachen Stunden im Internet zu finden. Wenn sie nicht gerade schreibt. Manchmal auch, während sie schreibt. Sie schreibt Fantasy für Jugendliche und Erwachsene für die Verlage Piper, ArsEdition und Ueberreuter. Man findet sie dort auch unter den Pseudonymen Frances G. Hill und Julian Frost.
Rezensent: Edith Nebel
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