Gabriele Keiser: Goldschiefer. Ein Wein-Krimi

Gabriele Keiser: Goldschiefer, Meßkirch 2015, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1673-6, Softcover, 280 Seiten, Format: 12,1 x 2,7 x 20 cm, Buch: EUR 11,99 (D), EUR 12,40 (A), Kindle Edition: EUR 9,99.

Abbildung: (c) Gmeiner Verlag
Abbildung: (c) Gmeiner Verlag

„Wir haben unser Bestes gegeben, wirklich. Aber es war alles furchtbar rätselhaft. Diese junge Frau war wie vom Erdboden verschluckt. Es gab keinerlei Spuren. Weder solche, die auf ein Gewaltverbrechen schließen ließen, noch hatten wir irgendeinen anderen Erklärungsansatz.“ (Seite 155)

Ein Knochenfund auf einem Friedhof bei Neuwied! Kriminalhauptkommissarin Franca Mazzari von der Kripo Koblenz glaubt zunächst an einen Scherz. Genau da gehören Knochen doch hin! Da hat sie im Prinzip Recht. Aber wenn menschliche Knochen in einen Plastiksack gestopft und irgendwo zwischen den Gräbern verscharrt worden sind, dann ist das ein Fall für die Polizei.

Dass es sich um die Überreste einer jungen Frau handelt, ist relativ schnell klar. Wie lange die Knochen da schon liegen, muss die Rechtsmedizin erst klären. Einige der älteren Einwohner in den umliegenden Gemeinden denken spontan an einen nie geklärten Vermisstenfall aus dem Jahr 1984: Die 19jährige Marie-Louise Schönborn aus Hammerstein, schwanger und verlobt mit dem Winzersohn Rudolf Freyung aus Leutesdorf ist seinerzeit nach einem Streit mit ihrem Vater nicht von der Arbeit nach Hause gekommen. Erst nach drei Tagen hat die Familie sie als vermisst gemeldet. Sonderlich ernst hat man das Verschwinden von „Mary Lou“ offenbar nicht genommen. Sie sei von zu Hause abgehauen, wurde vermutet. In Amsterdam soll sie später gesehen worden sein. Vielleicht hat sie das Kind abtreiben lassen und ist irgendwie ins Rotlichtmilieu abgerutscht.

Ihre Mutter und ihre Schwester haben daran nie geglaubt. 30 Jahre lang haben sie Mary Lous Mädchenzimmer unverändert gelassen und immer auf ihre Rückkehr und auf eine Erklärung gehofft. Werden sie jetzt endlich Gewissheit darüber erhalten, was mit ihr geschehen ist?

Winzer Rudolf Freyung, der in den 80er Jahren als Mary Lous Verlobter ins Visier der Ermittler geraten war, hat schon geglaubt, dieses Kapitel seines Lebens endgültig hinter sich gelassen zu haben. Durch den Knochenfund wird jetzt alles wieder aufgewühlt und die Kommissarinnen Franca Mazzari und Clarissa Sonnenberg stehen bei ihm auf der Matte. Auch innerhalb seiner Familie wird die Vergangenheit plötzlich zum Thema: Seine Frau Charlotte, seine erwachsenen Kinder Leonhard und Franziska und seine künftige Schwiegertochter Gesine haben nur eine schemenhafte Vorstellung von den damaligen Ereignissen und stellen jetzt natürlich Fragen.

Je neugieriger die Familie wird, desto zugeknöpfter und nervöser reagiert Rudolf. Was weiß er? Oder ist er nur generell durch den Wind, weil er in Sorge um seinen immer hinfälliger werdenden Vater ist und um seine Mutter, die durch die Pflege langsam an ihre Grenzen gerät? Dazu noch die Verantwortung für das Weingut und die Belastung durch das Hochkochen der alten Geschichten … da kann man schon verstehen, dass er psychisch etwas aus dem Gleichgewicht ist.

Eine ganz neue Wendung kommt in den Fall, als die Rechtsmedizin ihre Ergebnisse aus der Untersuchung der Knochen präsentiert. Und dann macht Leonhard Freyung eine schockierende Entdeckung …

GOLDSCHIEFER bezieht seine Spannung nicht aus krachender Action, sondern aus psychologischen Momenten: Was hat Mary Lous Verschwinden mit ihren Angehörigen gemacht? Wie haben sie es verkraftet, wie gehen sie damit um? Haben sie den Verlust verarbeitet oder nur verdrängt? Und wie reagieren sie jetzt, da die Ereignisse wieder in den Fokus von Polizei, Presse und Öffentlichkeit geraten? Und natürlich interessiert die Personen in dem Roman, genau wie den Leser, vor allem eines: Was ist 1984 wirklich mit Mary Lou Schönborn geschehen? Wer ist dafür verantwortlich?

Es gibt Täter, es gibt Mitwisser und es gibt Gründe für das, was sie getan haben. Aus heiterem Himmel oder aus purer Bosheit handelt hier niemand. Dazu ist die Geschichte zu nah am Leben. Gabriele Keiser versucht, den/die Täter zu verstehen, ohne die Taten entschuldigen zu wollen. „Mörder sind Menschen. Sie haben Vater, Mutter, Geschwister, Freunde, Lebensgefährten. Sie gehen zur Schule, zur Arbeit. Wie jeder Mensch müssen sie mit Verletzungen fertigwerden, mit Niederlagen, mit Traumata … Sie leben ihr Leben oft unauffällig, bis irgendwann ein Ereignis eintritt, das sie nachhaltig beeinflusst und sie zum Täter werden lässt.“, schreibt sie auf Ihrer Internetseite www.gabrielekeiser.de. „Die Gründe eines Menschen, der zum Mörder geworden ist, sind vielfältig. 
Ich möchte Mörder weder von vornherein verurteilen noch in ein Klischee des Bösen pressen. 
Ich will ihr Leben nachvollziehen können, die Ursachen und Umstände herausfinden, die sie zu Tätern hat werden lassen.“ Das tut sie. Deshalb gibt es in diesem Kriminalroman auch keine Monster, sondern Menschen, die aus Angst und Egoismus krasse Fehlentscheidungen treffen und mit deren dramatischen Folgen irgendwie weiterleben müssen.

Was an jenem 7. November 1984, als Mary Lou verschwand, genau abgelaufen ist, bleibt zum Teil offen für Spekulationen. Ich glaube ja, dass es so war, wie Kommissarin Sonnenberg vermutet …

Dies ist der fünfte Fall für Kommissarin Mazzari. Es ist für das Verständnis der Krimihandlung nicht zwingend notwendig, dass man die vorangegangenen Bände kennt. Natürlich merkt man, dass die Personen eine (gemeinsame) Vorgeschichte haben und dass man manch eine Anspielung vermutlich nicht mitkriegt. Der Seiteneinsteiger wird sich ein wenig wundern, wenn er nach zwei Dritteln des Buchs erfährt, dass Franca Mazzari eine Tochter hat, doch für die Aufklärung des Falls sind solche biographischen Wissenslücken nicht von Bedeutung.

Die Ortskenntnis der in Andernach lebenden Autorin kommt unaufdringlich daher. Als Leser, der nicht vom unteren Mittelrhein stammt, fühlt man sich also nicht ausgeschlossen, wenn man die Orte der Handlung nur vom Hörensagen kennt. Um ein gewisses Maß an „Infodumping“ kommt sie allerdings nicht herum, weil sie über eine Arbeitswelt schreibt, in der sich nicht jedermann auskennt. Gabriele Keiser bedient sich hier eines Tricks: Was wir Leser über den Weinbau wissen müssen, das lernen wir zusammen mit Leonhard Freyungs Freundin Gesine, die als Branchenneuling gerade eingearbeitet wird. Das funktioniert.

GOLDSCHIEFER ist solide Krimi-Unterhaltung mit glaubhaften Personen und überraschenden Wendungen.

Die Autorin
Gabriele Keiser, 1953 in Kaiserslautern geboren, studierte Literaturwissenschaften und lebt heute in Andernach am Rhein. Die Autorin hat zahlreiche Kurzgeschichten und mehrere Kriminalromane veröffentlicht und war lange Jahre Vorsitzende des VS (Verband deutscher Schriftsteller) Landesverband Rheinland-Pfalz in ver.di. 2014 wurde sie mit dem Kulturförderpreis des Landkreises Mayen-Koblenz ausgezeichnet.›Goldschiefer‹ ist der fünfte Fall für Kommissarin Franca Mazzari.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

http://www.boxmail.de

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert