Stadtteilführung Ostfildern-Nellingen, 24.05.2015, Teil 1 von 3

In der Esslinger Zeitung hatte ich davon gelesen, dass der Stadtarchivar von Ostfildern am Pfingstsonntag eine Stadtteilführung durch Nellingen anbietet. Zwar bin ich 9 Jahre lang in dem Ort zur Schule gegangen und wohne seit 1988 hier, aber im Grunde weiß ich von der Ortsgeschichte nur das, was ich selbst miterlebt oder von Freunden und Verwandten aufgeschnappt habe. Und ich dachte, so eine Führung wäre eine interessante Möglichkeit, mehr zu erfahren.

Ungefähr 25 Teilnehmer waren der Einladung gefolgt. Chronologisch kann man die Führung in Nellingen nicht machen, also begann die Veranstaltung an einem Ort, der gut ausgeschildert und bequem erreichbar ist: dem Schul- und Sportzentrum.

Schul- und Sportzentrum
Schul- und Sportzentrum

Da kenne ich mich aus. Auch wenn sich vieles verändert hat. Hier ist „meine“ alte Schule, das Otto-Hahn-Gymnasium. Die Wendeltreppen waren 1971, als die Schule noch im Bau war, der einzige Zugang zu unseren Klassenzimmern. Der Haupteingang wurde erst später fertig. (Heute verstieße so ein Zugang via Hühnerleiter vermutlich gegen achtunddrölfzig Bestimmungen. Aber damals war das eben so, und wir fanden es lustig.)

Otto-Hahn-Gymnasium
Otto-Hahn-Gymnasium
Otto-Hahn-Gymnasium mit "Hühnerleitern"
Otto-Hahn-Gymnasium

Die Bibliothek, die zu meiner Schulzeit im Keller des Schulgebäudes untergebracht war, residiert heute im Kulturzentrum Kubino ( = „Kultur und Bildungszentrum in Ostfildern.“)

Kubino
Kubino

Dass das ganze Schulzentrum in den 60er und 70-erJahren aus dem Boden gestampft wurde, wusste ich. Ich habe es ja miterlebt. Das fing 1968 mit dem städtischen Hallenbad an. Um die Zeit herum muss auch die Riegelhof-Realschule erbaut worden sein, sie war auf jeden Fall vor den Gymnasien da, denn in der 5. Klasse hatten wir noch in Realschul-Räumen Unterricht. 1971 wurde, wie gesagt, das Otto-Hahn-Gymnasium (sprachliches Profil) gebaut, 1976 folgte direkt daneben das Heinrich-Heine-Gymnasium (naturwissenschaftliches Profil). Wann die diversen Sporthallen entstanden und das Filderhotel, das weiß ich nicht.

Das aktuellste Gebäude ist auf jeden Fall das Kubino, das Kultur- und Bildungszentrum, das aus einem radikalen Umbau der Stadthalle, einem Gebäude aus 70er Jahren, hervorging. Seit Juli 2011 befinden sich die Zentrale der Stadtbücherei, der Schülerhort, der Schülertreff, die Mensa und Schul-Aula sowie ein Restaurant unter dem gemeinsamen Dach. Man kann auch Konferenzräume anmieten.

Kubino, Eingang
Kubino, Eingang

Ein Teilnehmer wollte wissen, wie man dieses Schulzentrum in den 60er und 70er Jahren denn finanziert habe. Hauptsächlich durch Gewerbesteuern, erfuhren wir.

In den 1960er- und 1970er-Jahren waren die Fildern sehr gefragt bei der Suche nach neuen Gewerbegebieten. Zahlreiche Betriebe siedelten sich hier an. Gründe dafür waren unter anderem die Verkehrserschließung der 1930er-Jahre mit Autobahn und Flughafen, die Lage mitten im Ballungsgebiet Stuttgart und die weitgehend ebene Landschaft. Die Fildern wurden zur aufstrebenden Region.

In Nellingen vollzog sich in der Zeit eine Wandlung vom Dorf zu einer Gemeinde mit städtischem Charakter. Jetzt war das kein Bauerndörfle mit Dorfschule mehr, jetzt war’s ein Ort mit Industrie und einem Schulzentrum, das auch Kinder aus den Nachbarorten Denkendorf und Neuhausen besuchten, die keine eigenen Gymnasien hatten – und bis heute nicht haben. Rund 3.000 Schülerinnen und Schüler besuchen heute die Schulen im Nellinger Schulzentrum.

Dass man in den 70ern die Vorstellung hatte, das Bildungszentrum In den Anlagen (so die Adresse) würde zum Ortszentrum von Nellingen werden, war mir neu. Das ist auch nie passiert. Wenn Nellingen ein Zentrum hat, dann ist das eher in Richtung Hindenburgstraße/An der Halle zu suchen. Außer Bildung und Sport passiert „In den Anlagen“ nichts.

Auf dem Weg ins alte Nellingen passierten wir die Stadtbahngleise. Seit dem 9.9.2000 hat Nellingen einen Stadtbahnanschluss in Richtung Stuttgart (U7 und U8). Ca. 1,5 Jahre vor Eröffnung der Landesgartenschau im Scharnhauser Park war sie fertig. Jetzt ist man in knapp einer halben Stunde in Stuttgart. Davor war Nellingen eher in Richtung Esslingen orientiert, was die Nutzung kultureller Angebote und Einkaufsmöglichkeiten angeht, jetzt ist auch Stuttgart eine Option.

Stadtbahn-Endhaltestelle Ostfildern
Stadtbahn-Endhaltestelle Ostfildern
Stadtbahn. Und zwischen den Gleisen wächst Gras.
Stadtbahn. Und zwischen den Gleisen wächst Gras.
Mit der Stadtbahn in einer halben Stunde in Stuttgart
Mit der Stadtbahn in einer halben Stunde in Stuttgart

Der historische Ortskern Nellingens besteht im Grunde aus der Riegelstraße und der Wilhelmstraße, die anfangs nicht einmal einen Namen hatte und nur „Straße“ genannt wurde. Sie brauchte keine nähere Bezeichnung. Die Riegelstraße hatte ja eine.

Zur Herkunft des Namens „Riegelstraße“ gibt’s verschiedene Vermutungen. Auf der Homepage der Stadt Ostfildern heißt es: „Den Namen „Riegelstraße“ führt die ortsgeschichtliche Literatur auf eine Stange oder Querholz; zum Abriegeln des Dorfausgangs zurück. Ein solcher Riegel hätte als Durchlass im Etterzaun, der „Stadtmauer“ eines Dorfes, dienen können. Die Schranke soll noch zum Beginn des 20. Jahrhunderts bestanden haben. Ihr genauer Ort ist allerdings unbekannt. Der Name „Riegelstraße“ könnte jedoch auch auf Steinriegel hinweisen, die in der Umgebung als Flurnamen überliefert sind. Diese Riegel bestanden aus aufgehäuften Steinen, die aus den angrenzenden Feldern herausgelesen wurden. Die Tatsache, dass die Riegelstraße in Richtung des Gewanns „Steinen“ führt, macht diese Theorie noch plausibler.“ Quelle: http://www.ostfildern.de/N_Riegelstraße-p-2893.html

Auf jeden Fall sieht man hier noch die dörfliche Vergangenheit. Dass die Gebäude so gut erhalten sind, ist nicht zuletzt der Ortskernsanierung nach der Gebietsreform zu verdanken.

Das Gebäude Riegelstraße 17, erbaut im 17. Jahrhundert, war ursprünglich die Zehntscheuer des Klosters Salem. Die heutigen Besitzer des Gebäudes haben wohl irgendwie das Interesse an dem historischen Haus verloren: Es steht leer.

Riegelstraße
Riegelstraße
Riegelstraße 17, ehemalige Zehntscheuer

Bis in die 1950er Jahre war die Riegelstraße Nellingens Hauptgeschäftsstraße. Das hatte ich zwar schon wiederholt auf alten Fotos im Internet gesehen, aber nie so recht glauben können. Jetzt, nach der Führung, leuchtet mir das ein.

Riegelstraße 11, Schultheiß-Mauz-Haus
Riegelstraße 11, Schultheiß-Mauz-Haus

Haus Nr. 11 ist ein ehemaliges Schultheißhaus. Es wurde 1820 von Bürgermeister Jakob Mauz erbaut, der von 1813 bis 1848 amtierte. Sein Sohn Philipp Adam Mauz erbte nicht nur das Haus, sondern auch das Amt, das er von 1870 bis 1883 ausübte.

Wenn der Steinsockel hoch ist, so erfuhren wir, ist es ein Zeichen, dass der Bauherr wohlhabend war. Stein als Baumaterial war teuer. Es ist ja kein beliebig vermehrbarer Rohstoff. Ob man deshalb von „steinreich“ spricht?

Der Dreiecksgiebel ist ein Element aus der griechischen Architektur und eigentlich ein Herrschaftssymbol.

Haus mit Schieferfassade
Haus mit Schieferfassade

Schieferfassaden waren in unserer Gegend eigentlich nicht üblich, kamen aber um 1900 in Mode. Ein Schieferdeckermeister aus Thüringen blieb der Liebe wegen in Esslingen hängen und schaffte es, betuchte Schwaben von den Vorzügen einer Schieferfassade zu überzeugen. 100 Jahre sollte so eine Fassade halten, versprach er. Sie sei zwar etwas teurer als die herkömmliche Fassadengestaltung, dafür sei keine Renovierung nötig. Das war genau das, was die Schwaben hören wollten: Mit der Schieferfassade konnten sie einerseits subtil zeigen, dass sie sich etwas leisten konnten – und sie konnten darüber hinaus noch behaupten, dass dies die sparsamste Lösung sei.

„Wette“ nannte man den Platz vor dem Schieferhaus. Das hat nichts mit wetten zu tun, sondern kommt von „waten“. Hier war früher ein Teich, der als Viehtränke diente. Später standen an der Stelle des Teichs Wassertröge. Seit 1984 erinnert ein Brunnen an die einstige Bestimmung.

Im Höfle
Im Höfle

Der Archivar führte uns ins „Höfle“, einem alten Gebäudekomplex mit komplizierter Aufteilung. Dass so ein überschaubares Areal so viele Besitzer hat, hängt mit der Realteilung zusammen. Starb ein Bauer, wurde sein Grundbesitz unter seinen Erben aufgeteilt. So wurden die Felder immer kleiner und kleiner, bis schließlich die Betriebsgröße nicht mehr für den Lebensunterhalt ausreichte. Das führte zu einer großen Auswanderungswelle. Mein Vater sagt immer, es gäbe kaum eine einheimische Familie, die keine Verwandten in Nordamerika habe.

Was ich auch von meinem Vater weiß, dass aufgrund dieser Realteilung viele Leute hier Felder erbten, aber keine Wege dazu. Was macht man aber, wenn man „Stückle“ hat, die mitten in einer Nutzfläche drin liegen? Man kann ja nicht auf seine Äcker fliegen. Die Zugangsrechte wurden vereinbart und die Regelungen im Servitutenbuch niedergeschrieben.

– Fortsetzung folgt –

3 Kommentare

  1. Guten Tag Frau Nebel,

    heute Morgen habe ich von dem Pfarrgarten in Nellingen gelesen und etwas recherchiert.
    Wie lang ging die Führung und ist die auch für Leute interessant, die keine Bezug zu Nellingen haben?
    Viele Grüße
    Petra Reichert

    1. Wir waren insgesamt drei Stunden unterwegs.
      Ich bin mir nicht sicher, ob die Führung auch Leuten etwas bringt, die gar keinen Bezug zu dem Stadteil haben. Es waren ein paar Teilnehmer von auswärts dabei, die dann nach der Hälfte „ausgestiegen“ sind. Diese Veranstaltungen leben meines Erachtsns von dem Gefühl: „Oh, jetzt wohne ich schon so lange da, aber DAS wusste ich noch nicht!“

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