An der Seite der Helden

Romanheldinnen und -helden haben meist Menschen an ihrer Seite, mit denen sie sich austauschen und die das Ihrige zur Handlung beitragen: Partner, Kollegen, Freunde, Verwandte … die so genannten Nebenfiguren. Bei langlebigen Serien sind mir manche schon fast mehr ans Herz gewachsen als die Helden selber. (Zu denen, die mir granatenmäßig auf den Senkel gehen, kommen wir gleich.)

F. Paul Wilsons Serie um Repairman Jack verfolge ich seit den 1980er Jahren. Jack, Gia, Vicky, Julio und natürlich Abe Grossman samt Papagei Parabellum gehören bei mir fast schon zur Familie. Auf den ersten Blick ist Grossman ja nicht so der Brüller: übergewichtig, mindestens so schmuddelig wie sein Laden, der „Isher Sports Shop“, prollig, schandmäulig, gern auch auf Jiddisch. Den Akzent verliert er aber schnell, wenn’s wirklich brenzlig wird.

Die Wahrheit im Verborgenen
Bei dieser Nebenfigur muss man unter die Oberfläche blicken: Im Untergeschoss seines Sportgeschäfts befindet sich der wohl bestsortierte Waffenhandel der Unterhaltungsliteratur. Und unter der Maske des proletenhaften Verkäufers verbirgt sich ein kluger und gebildeter Mensch, der seinem Kumpel Jack stets eine wertvolle Hilfe bei dessen, ähem, Aufträgen ist.

Gar keine Mogelpackung ist Jakob Schink, der Schachpartner von Ulrike Renks Kommissar Fischer. Schink ist einfach ein gesprächiger alter Herr, der sich für seine Mitmenschen interessiert und in seiner Heimatstadt Hinz und Kunz kennt und. Meist weiß er gar nicht, dass er im Besitz des „Missing Link“ ist, also genau über die Information verfügt, die der Kripo zur Lösung eines Falls fehlt. Die Polizisten recherchieren, ermitteln, tun und machen – und am Schluss stellt sich heraus, dass es genügt hätte, Opa Schink die richtigen Fragen zu stellen. Aber sie lernen’s einfach nicht. 😉

In den Rabbi-Klein-Krimis von Alfred Bodenheimer freue ich mich immer, wenn der verstorbene Vater des Rabbiners mit einem seiner treffenden und mehr oder weniger gehässigen Sprüche zitiert wird. Das bringt die Sache stets gnadenlos auf den Punkt.

Barbara Havers’ kultivierter Nachbar Taymullah Azhar und seine temperamentvolle Tochter Hadiya in Elizabeth Georges Inspector-Lynley-Krimis waren mir immer deutlich lieber als Lynleys komplizierte und sorgenbeladene Adelsmischpoche.

Auch ohne Serie ein Held
Auch aus Einzelromanen stechen manchmal Nebenfiguren heraus. Die brauchen gar keine Serie, um sich zu profilieren. Zum Beispiel der pensionierte Lehrer Herbert Ketterle in Silke Poraths Roman Ein Lama zum Verlieben. Er genießt seinen Ruhestand so, wie man sich das für sich selber wünscht. Er hat aber auch beruflich nichts verlernt. Mit wenigen (schwäbischen) Worten macht er eine Gruppe Erwachsener so zur Schnecke, dass die sich wie ungezogene Grundschüler vorkommen. Mit Recht!

Kommen wir zu denen, die ich zu hassen gelernt habe. Da gibt es die, die man hassen soll – wie Evelyn Lessing in Enid Blytons Kinderbuchreihe Dolly. Evelyn ist grauenhaft hohl und eingebildet und will immer hoch hinaus. Regelmäßig landet sie dabei auf der Nase, und manchmal tut sie einem fast leid. Aber nur fast.

Nett gemeint – und durchgefallen
Und dann gibt es die Nebenfiguren, die wahrscheinlich als Sympathieträger gedacht sind, aber einem bei lange laufenden Serien von Jahr zu Jahr mehr auf den Geist gehen. Lucy Farinelli, die Nichte der Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta in Patricia Cornwells Krimireihe ist so ein Fall. Ich kannte Lucy schon, als sie noch ein wohlstandsverwahrloster kleiner Computernerd war. Da war sie putzig. Aber dann, als Erwachsene, mutierte sie zu Superlucy: superklug, superschön, supererfolgreich, superreich, superunglücklich … Das ist alles viel zu viel! Als Lesbe, die auch noch klüger ist als die meisten ihrer Kollegen, hätte sie in jedem Job schon genügend Probleme gehabt. Cornwell hätte sie nicht unbedingt zur Superheldin hochjazzen müssen.

Irgendwann habe ich Superlucy einfach nicht mehr ertragen. Als Cornwell uns auch noch mit dem Schicksal von Scarpettas Lover Benton Wesley ver*rscht hat, war’s das für mich mit der Serie. („Will denn keiner die Identität der verbrannten Leiche überprüfen?“, habe ich mich immer wieder gefragt. Nö, da hatten sie wohl irgendwie keinen Bock drauf.)

Meine dienstälteste Nervensäge
Und jetzt kommt sie, meine allerliebste Lieblingshassfigur ever: Deborah St. James, die weinerliche, egoistische und durch und durch unvernünftige Gattin des Rechtsmediziners aus Elizabeth Georges Inspector-Lynley-Krimis. (In meinen Notizen stand „brunzdumm“, aber sowas kann man ja nicht ernsthaft schreiben.)

Ich lese die Reihe schon seit es sie gibt, also seit mehr als 25 Jahren (tatsächlich!). Und so lange geht mir Deborah mit ihrem Gegreine über ihre ungewollte Kinderlosigkeit auf den Wecker. Ich verstehe ja, dass es Lebensthemen gibt, die einen schmerzen und immerfort begleiten. Aber jahrzehntelanges monothematisches Gejammere, das hält doch kein Mensch aus!

Manchmal mischt sie sich in ihrer grenzenlosen Dämlichkeit und Selbstüberschätzung auch in Lynleys Fälle ein. Und bei jedem Showdown hoffe ich, dass sich das Problem Deborah St. James nun ein für alle Mal erledigt. Aber leider hat’s beim letzten Großreinemachen unter den Nebenfiguren Lady Helen Clyde erwischt. Das, verehrte Ms. George, war nur die zweitbeste Lösung!

Doofe Männer
Damit keiner glaubt, in Romanen gäbe es nur tolle Kerle und blöde Frauen: Nervige männliche Nebenfiguren gibt es auch: Thorben Fischer, der hypochondrische Jammerlappen, mit dem die bodenständige Kommissarin Verena Hälble in Silke Poraths Pater-Pius-Reihe liiert ist, zum Beispiel. Was will die denn mit diesem Weichei? Und Tobias Rombach, der bemüht witzige Journalist mit den plumpen Macho-Sprüchen aus Ralph Sanders Krimi Kater Brown und die Klostermorde … der war doch soooo ein Blindgänger! Ich werde nie verstehen, warum die Heldin, Alexandra Berger, sich mit ihm eingelassen hat. Weil in jeden Krimi auch eine Liebesgeschichte hineingehört?

Trotzdem sonderbar, dass mir bei den Nebenfiguren, die mir lieber als die Helden sind, keine einzige Frau einfallen will. Bei Fernsehserien schaut die Sache anders aus. Da gibt es beispielsweise die Resi Berghammer (Der Bulle von Tölz), Miriam Stockl (Die Rosenheim-Cops), Ziva David und Abigail Sciuto (Navy CIS) sowie Penelope „Baby Girl“ Garcia (Criminal Minds).

Ach ja, jetzt, wo ich die Fernsehkrimis durchgehe, fällt mir doch noch eine weibliche Nebenfigur ein, die ich stets mehr geschätzt und bewundert habe als den eigentlichen Protagonisten: Signorina Elettra Zorzi aus der Commissario-Brunetti-Reihe von Donna Leon. Brunettis unentbehrliche Sekretärin, die stets auf wundersamen Wegen alle erdenklichen Informationen beschaffen konnte. Manchmal war es sicher besser, dass er nie erfahren hat, wie sie an die Daten rankam. Ja, Signorina Elettra war klasse! Das hat die Serie für mich trotzdem nicht gerettet. Zu viel Familiengedöns, zu viel Gekoche.

Dabei können die Helden neben den Helden für mich durchaus ein Grund sein, eine Serie weiter zu verfolgen. Oder endgültig auszusteigen.

Foto: (c) Bernd Kasper / Pixelio.de
Foto: (c) Bernd Kasper / Pixelio.de

Foto: Bernd Kasper / www.pixelio.de

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