Jennifer S. Holland: Unbändige Liebe – Neue wundersame Geschichten aus dem Tierreich, OT: Unlikely Loves, aus dem amerikanischen Englisch von Maria Mill, Köln 2014, Bastei Lübbe (Ehrenwirth), ISBN 978-3431039122, Hardcover mit Schutzumschlag, 303 Seiten mit zahlreichen Farbfotos, Format: 15,4 x 3,4 x 18,7 cm, EUR 15,00.
Ihrem Vater hat die Autorin das Buch gewidmet. „Für Dad – das älteste Kind, das ich kenne.“ Das ist ja nett! Dann wird es wohl auch in Ordnung sein, wenn wir angesichts dieser 43 überraschenden Bindungen und Beziehungen wie die Kinder staunen.
43 Geschichten aus aller Welt über art- und gattungsübergreifende Tierfreundschaften hat Jennifer S. Holland in diesem Buch gesammelt. Ob die Tiere nun einfach gute Kumpels sind, Kinder einer ganz anderen Gattung aufziehen oder gar mit einer verwandten Art Nachwuchs haben – die Autorin meint: Das muss Liebe sein!
Freunde, Partner, Adoptivkinder
Intraspezifische Fürsorge, also das Kümmern um Mitglieder der eigenen Art, ist üblich. Dass sich die Fürsorge auch auf die Vertreter einer anderen Spezies erstreckt, ist nicht selbstverständlich. Und doch kommt es vor: Da ist die Deutsche Dogge Kate, die auf Vancouver Island ein verwaistes Hirschkälbchen bemuttert, die Pekingente Essy, die von den Hunden einer britischen Krankenschwester als Rudelmitglied akzeptiert wird und, genau wie die Vierbeiner, an der Leine spazieren geht. Und da ist der riesige Elch Jack, der selbst als erwachsenes Tier noch sehr an der Studentin hängt, die ihn gesund gepflegt hat, als er noch ein kleines Kälbchen war.
Boxerhündin Puggy adoptiert ein mutterloses Ferkel, Terriermischlingshündin Sydney geht so in ihrer Ersatzmutterrolle für einen Wurf kleiner Kätzchen auf, dass ihr sogar die Milch einschießt. Bis die Kitten dies Sache mit dem Katzenklo kapiert haben, hat allerdings ein Weilchen gedauert. Sie haben sich wohl für Hundewelpen gehalten.
Dass eine Henne einen Wurf Terrierwelpen als ihre Küken betrachtet, ist schon ein bisschen schräg. Witzig ist auch die Story von der australischen Dalamatinerhündin Zoe, die ausgerechnet ein von der Mutter verstoßenes Lämmchen mit Dalmatiner-Fellzeichnung adoptiert hat. Die Punkte dürften für ihre Entscheidung aber nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Minipferd und Wasserschwein
In Tierparks, Tierheimen sowie in privater Haltung kommt es häufiger Tierfreundschaften, die es in der freien Natur so nicht geben würde: Giraffenbulle und Ziegenbock, Pitbull und Königsboa, Delfin und Seelöwin, Schildkröte und Hundewelpen. Auch ein seltsames Paar: Miniaturpferd und Wasserschwein. Nur schwimmen geht das Pferdchen mit seinem südamerikanischen Kumpel nicht. Die Kombination Dachs und Fuchs sowie Dachs und Otter klappt aber auch nur, weil die Tiere jeweils miteinander aufgewachsen sind.
Dass ein Hauskater einen Narren an einem Delfin gefressen hat, ist eher selten. In einem Meerespark auf den Florida Keys ist genau das passiert. Streunerkater Arthur suchte aktiv Kontakt zu den dortigen Meeressäugern, allerdings nur von der sicheren Plattform aus. Vor allem mit Delfin Thunder spielte und schmuste er gern.
Aus freien Stücken hat sich ein Großer Tümmler vor den Azoren einer Pottwalherde angeschlossen. Mit seiner eigenen Art hätte er aufgrund einer Behinderung nicht mithalten können, die gemächlicher schwimmenden Pottwale haben ihn aber akzeptiert.
Zebresel mit Ringelstrümpfen
Dass die artenübergreifende Liebe nicht immer nur platonisch bleibt, zeigen der Zebrahengst Zeke und die Eselsstute Sarah in einem Wildpark in Georgia. Das Resultat dieser Verbindung: zwei Zebresel namens Tippy und Pippa. Sie sehen wie Eselchen mit Pippi-Langstrumpf-Ringelstrümpfen aus. Nachwuchs wird es bei dem einzigen Beitrag aus Deutschland nicht geben: Das ist die Geschichte von der schwarzen Schwänin Petra, die sich auf dem Aasee in Münster in ein Tretboot in Schwanengestalt verguckt hat. Wo die Liebe hinfällt!
Rührend ist der Beitrag über die zwei behinderten Löwinnen, die in einem Wildgehege der südafrikanischen Born Free Foundation immer nur im Zweierpack unterwegs sind. Und das, wo doch erwachsene Löwen für Artgenossen, die nicht zur Familie gehören, nicht viel übrig haben.
Nicht alle der geschilderten Beziehungen gehen gut aus, manche enden eher traurig und tragisch, andere sind ein bisschen makaber – aber so ist das Leben eben. Die Geschichten sind außergewöhnlich, verblüffend, bezaubernd und manchmal geradezu unfassbar. Aber alles, was hier erzählt wird, ist durch Fotos belegt. Und manches ging auch wiederholt durch die Medien. Also glauben wir hier ruhig mal das Unglaubliche.
Das Buch ist liebevoll aufgemacht: Schutzumschlag mit erhabener Drucklackierung, Fotos, die aussehen, als seien sie mit Klebestreifen in ein Album geklebt. Bilder, die samt dekorativem Beiwerk wie Blumen, Muscheln und Seesternen auf Holzpaneelen gelegt und abfotografiert wurden – oder zumindest so bearbeitet wurden, dass es so wirkt – Infoboxen, die aussehen wie kleine Marmorschildchen und auf den Buchseiten einen Schatten werfen, zarte Vignetten, die die Seitenzahlen umrahmen, ein Vorsatzpapier im Look einer alten englischen Tapete … das ist alles sehr ansprechend gestaltet.
Hochglanzfotos darf man allerdings nicht erwarten. Die Seiten sind auf ein mattes, leicht gelbliches Papier mit Streifenstruktur gedruckt. Das Material hat so ein bisschen einen Öko-Touch und stammt laut Siegel aus „verantwortungsvollen Quellen“. Das ist aller Ehren wert, aber das Buch riecht unangenehm „chemisch“ – und da ist mein Exemplar kein Einzelfall.
Die Autorin liebt Wortspiele
Die Übersetzerin, Maria Mill, habe ich um diesen Job nicht beneidet. Das Thema ist klasse, aber die Autorin spielt gern mit Buch- und Filmtiteln, mit Filmzitaten, Kinderreimen und sonst noch allerlei aus der US-amerikanischen Popkultur. Das funktioniert auf Deutsch nur bedingt. Wir kennen ja, wenn überhaupt, nur übersetzte bzw. synchronisierte Fassungen davon, und manche deutsche Version hat mit dem Original nicht mehr viel zu tun. Als ÜbersetzerIn steht man bei so einer Vorlage stets vor der Frage: Zaubere ich das mit den Zitaten im Deutschen irgendwie nach? Erkläre ich die Anspielungen, weil der deutsche Leser sonst die Kurve nicht kriegt? Oder bügle ich das alles gnadenlos nieder und pfeife auf die Wortspiele? Maria Mill entschied von Fall zu Fall.
Hat man als Leser das „Grundproblem“ der Vorlage erkannt, denkt immer eine Hirnhälfte „amerikanisch“ mit. In manchen Fällen ahnt man, was die Autorin im Sinn gehabt hat, anderes klingt einfach nur ein bisschen seltsam. Das ist das Los vieler übersetzten Bücher. Auf die Verständlichkeit der Geschichten in diesem Band hat das aber keinen Einfluss. Es lenkt nur Sprach-Freaks ein wenig ab.
Die Autorin
Jennifer S. Holland, Wissenschafts- und Naturjournalistin, arbeitet derzeit als Senior Writer für das National Geographic Magazin, wo sie sich auf Biowissenschaften und Naturkunde spezialisiert hat (Reptilien, Säugetiere, Vögel, Amöben – sie deckt alles ab). Sie lebt zusammen mit ihrem Mann, zwei Hunden und Dutzenden von Geckos und Schlangen in Silver Spring/Maryland.
Rezensent: Edith Nebel
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