Cid Jonas Gutenrath: Teddy oder wie ich lernte, die Menschen zu verstehen. Aus dem Leben eines Polizeihundes, Berlin 2015, Ullstein Extra, ISBN 978-3-86493-031-7, Klappenbroschur, 283 Seiten, Format: 13,5 x 3,4 x 20,6 cm, Buch: EUR 14,99 (D) EUR 15,80, Kindle Edition: EUR 10,99.
Cid Jonas Gutenrath, Jahrgang 1966, war schon Türsteher, Marinetaucher, Bundesgrenzschützer, Streifenpolizist, Zivilfahnder und hat fast 10 Jahre lang in der Notrufzentrale der Berliner Polizei Anrufe entgegengenommen. Erst mit Mitte 40 lässt er sich zum Hundeführer ausbilden. Die meisten anderen Lehrgangsteilnehmer sind halb so alt wie er. Nachdem er den viermonatigen Lehrgang abgeschlossen hat, bekommt er Polizeihund Nr. 2045 zugeteilt, den nicht ganz reinrassigen Schäferhund Jery. „Teddy“ nennt Jonas seinen neuen Kollegen liebevoll.
Mit Mitte 40 zur Hundestaffel
Jetzt sind sie also Mitglieder von K-9, der Hundestaffel. Jonas, der Polizist mit dem losen Mundwerk und dem Hang zur kreativen Auslegung von Vorschriften und der friedfertige Teddy, der, genau wie sein Hundeführer, auch kein heuriger Hase mehr ist. Und der nur kämpft, wenn es absolut unumgänglich ist. „Friedenstaube“ nennen ihn die anderen Hundeführer spöttisch. Oder auch „Therapietöle“ oder gar „Prinz Valium“. Gemein findet das der Hund. Er ist es nämlich, der uns die 44 Geschichten von seinen Einsätzen und dem Zusammenleben mit seinem „Jungen“ Jonas und dessen Familie erzählt.
Natürlich ist uns allen klar, dass in Wirklichkeit der Hundeführer hier seine Erlebnisse niederschreibt, möglicherweise mit Hilfe eines Co- oder Ghostwriters. (Ich will ihm nichts unterstellen, es ist nur so ein Gefühl. Dazu gleich mehr.)
Es ist sympathisch, wie Gutenrath dem Hund den Part des Klügeren überlässt, der sich ständig Sorgen um seinen impulsiven Menschen macht. Der scheint es einfach nicht zu lernen, wann es besser ist, mal seine „flinke Fresse“ zu halten!
Teddy versucht’s erst friedlich
Oft genug ist es an Teddy, eine brenzlige Situation zu retten. Gut, als sich Jonas bei einem Einsatz am Christopher Street Day mit gleich sechs (!) in Leder gewandeten Mordskerlen verbal anlegt, kann de Hund nichts machen. Da muss sich sein „Junge“ selber wieder herauslabern. (Zu schade, dass er uns nicht verraten darf, was der Rädelsführer von Beruf ist. Hätte mich jetzt doch interessiert!) Bei einer „Diskussion“ zwischen Jonas und einem Studenten auf einer Anti-Abtreibungs-Demo muss Teddy allerdings eingreifen. Friedlich, versteht sich. Genau wie bei dem Vorfall vor dem Fußballstadion. Da schleppt doch tatsächlich so ein Hooligan seine fünfjährige Tochter mit zu einer Schlägerei! Teddy wird deeskalierend tätig. Er kann aber auch anders, wie unter anderem ein Messerstecher und ein unbelehrbarer Sensationsreporter zu spüren bekommen.
Manchmal kann Teddy auch nur verständnislos einen Hundekopf schütteln, wenn er berichtet, was die Zweibeiner wieder Hirnrissiges ausgeheckt haben. Da wär zum Beispiel der Schnösel, der auf dem Behindertenparkplatz parkt und auch noch frech wird … der komische Vogel, der sich für Bruce Lee hält – oder war’s Kwai Chang Caine? – und wild in einem Supermarkt herumschlägert. Auch die Leute, die auf einem Friedhof randalieren und Grabschmuck zertrampeln, versteht er nicht. Primaten, eben! Die haben doch alle irgendwie einen Schatten!
Geht’s Kindern schlecht, sieht Jonas rot
Dass Jonas sich nicht immer buchstabengetreu an die Vorschriften hält, kann Teddy als Hund egal sein. Wenn er die eine oder andere arme Socke laufen lässt, sei’s drum. Das ist nicht Teddys Problem. Wo er allerdings aufpassen muss: Wenn eine Aktion zu Lasten von Kindern geht. Da versteht der mehrfache Vater absolut keinen Spaß und sieht schnell rot. Da muss es nicht erst zu Mord und Totschlag kommen, es reicht schon Ausgrenzung, Mobbing oder Vernachlässigung, und Jonas greift durch. Ungerechtigkeit kann er nun mal nicht ab. Das müssen auch die Jungs lernen, die eine junge Witwe schikanieren und beleidigen.
Daheim bei Frau und Kindern ist vom rabiaten und großmäuligen Polizisten nicht mehr viel zu spüren. Fast könnte man meinen, da hätte „das rothaarige Alphaweibchen“ das Sagen. Das wäre ja auch nicht ungewöhnlich in einer Familie, in der der Mann viel unterwegs ist und der Großteil der Entscheidungen an der Frau des Hauses hängen bleiben. Rau aber herzlich ist der Ton im Hause Gutenrath – und Jonas ein liebevoller und manchmal etwas sentimentaler Familienmensch.
Ein widersprüchlicher Mensch
Ich liebe bekanntlich Jobgeschichten und habe auch diese Einsatzberichte von der Hundestaffelfront mit Interesse und Vergnügen gelesen. Da ich die vorigen beiden Bücher von Cid Jonas Gutenrath, in denen er von seiner Arbeit in der Notrufzentrale erzählt, nicht kenne, kann ich den Autor nur schwer einschätzen. Derbe Sprüche, Machogehabe und eher plakative Ansichten wechseln sich ab mit klugen, ja geradezu philosophischen Betrachtungen. Er präsentiert sich als spontaner, impulsiver Mensch mit einem großen Herz für die Schwachen und Wehrlosen, als ein ruheloser Geist, der möglicherweise keinen leichten Start ins Leben hatte. Das entnehme ich einigen Andeutungen. Irgendwas treibt diesen Mann um.
Aber was ist jetzt wirklich seine Stimme? Ist er ein blitzgescheiter Kerl und der rotzfreche Schimanski-Typ nur eine Rolle, die er im Beruf spielt? Oder mischt hier ein Co-Autor mit, der ab und zu das Wort an sich reißt und die subtileren Textteile schreibt? Vielleicht ist der Autor ja auch so ein widersprüchlicher Typ, man weiß es nicht. Das bringt einen als Leser schon ein bisschen ins Grübeln und man fragt sich, wie authentisch die Berichte sind.
Spannend, abwechslungsreich und hochinteressant sind die Geschichten auf jeden Fall. Ich habe Diensthunde und die Arbeit mit ihnen immer schon bewundert – und tu das jetzt, nach dieser Lektüre, noch ein bisschen mehr.
Rezensent: Edith Nebel
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