Mike Engel: E.D.E.N. – Roman

Mike Engel: E.D.E.N. – Roman, Februar 2016, CreateSpace Independent Publishing Platform, ISBN 978-1522873105, Softcover, 368 Seiten, Format: 12,7 x 3 x 20,3 cm, Buch: EUR 13,20, auch als Kindle Edition lieferbar.

Abbildung: (c) M. Engel / CreateSpace
Abbildung: (c) M. Engel / CreateSpace

„Wahrheit überall. Stoller hatte das Gefühl, von den vielen Wahrheiten ganz verrückt zu werden. Die absolute Wahrheit konnte nur mit dem Herzen gesehen werden, nicht mit dem Verstand. Die fünf Sinne und das Denken konnten die Wirklichkeit hinter der Realität nicht erfassen. Dazu war Glauben notwendig, aber der war eine persönliche Angelegenheit, jenseits aller Beweismacht. Und mystische Zustände waren schwer von psychotischen abzugrenzen. Das Göttliche blieb Spekulation.“ (Seite 361)

Liest man die Inhaltsangabe eines Buchs, macht man sich ja eine gewisse Vorstellung von dem Leseerlebnis, das einen erwartet. Als ich las, dass in diesem Science-Fiction-Roman ein dröger, skeptisch eingestellter Bauingenieur eine Gotteserscheinung hat und es fortan als seine Aufgabe ansieht, die Welt zu retten, habe ich mit ordentlich Remmidemmi gerechnet.

Das Erlebnis müsste den Helden sehr verwirren, dachte ich, weil es sein bisheriges Weltbild auf den Kopf stellt. Würde er die Sache ernst nehmen und damit an die Öffentlichkeit gehen und würde man ihm gar noch ein paar Wunder andichten, dürfte das Anhänger, Feinde und Fanatiker auf den Plan rufen und die Geschichte nähme schnell Fahrt auf. Die monotheistischen Glaubensgemeinschaften würden sich aufregen, weil er sich die Rolle des Messias anmaßt, Spinner würden ihn umbringen wollen, die Politiker ihn instrumentalisieren, die Medien interviewen, die Ärzte untersuchen und seine Angehörige würden auf eine Unterbringung in der Psychiatrie drängen. Vermutlich müsste sich der Held vor aller Welt verstecken und würde sich wünschen, den Mund gehalten zu haben. Und am Schluss könnte sich vielleicht herausstellen, dass die ganze Aufregung umsonst war und der Kerl nur eine Psychose hat. Könnte spaßig werden.

Ein Skeptiker hat eine Gottesvision


Aber so läuft das hier nicht. Besagter Bauingenieur, Max Stoller aus Berlin, hat eigentlich vorgehabt, sich an seinem 40. Geburtstag das Leben zu nehmen. Beruflich läuft’s nicht so toll, bei keiner seiner Frauen hat er es ausgehalten (oder sie nicht mit ihm), Freunde hat er keine und auch sonst ist alles nix. Doch erst kommt ihm ein Rausch dazwischen, dann der Kater, als drittes die attraktive neue Nachbarin Anna, die er bei den Mülltonnen trifft und in die er sich spontan verliebt. Und dann hat er besagte Gotteserscheinung. Der Suizid unterbleibt.

Was Max nicht weiß, aber der Leser ahnt: Diese religiöse Vision hat sein Nachbar, der Neurologe Daniel Meckel, 45, mittels eines Senders künstlich erzeugt. Dieses Gerät sollte eigentlich die Hirnströme von Epileptikern beeinflussen. Dass er es aus dem Institut mit nach Hause nimmt und damit wildfremde Leute bestrahlt, ist nicht vorgesehen. Aber Meckel arbeitet nicht nur für seine offiziellen Auftraggeber, sondern auch noch für den Geheimdienst und verfolgt zudem noch eigene Ziele. Die paar Menschenversuche an ahnungslosen Patienten oder flüchtigen Bekannten laufen bei ihm unter Kollateralschaden.

Messias? Na gut, wenn er meint …


Stoller, der eben noch sterben wollte, kauft sich einen Papagei – hat also jetzt offiziell einen Vogel –, nennt ihn Mephisto und stimmt sich auf seine neue Rolle als Prophet und Weltretter ein. Er liest sich ein immenses Wissen über Religionen, Mystiker, Nahtodeserfahrung, Philosophie, Psychologie und Neurologie an und spricht mit Hinz und Kunz über den Auftrag, den der Herr ihm angeblich erteilt hat. Einziges Resultat dieses Bekenntnisses: er verliert seinen Job bei einer großen Baufirma, nachdem er auf einer Firmenfeier eine peinliche Rede gehalten und sich selbst beurlaubt hat. Da er sonst nur mit meschuggenen Personen Kontakt hat, für die Gotteserscheinungen nicht der Rede wert sind, bleibt er als neuer Messias vom Rest der Welt unentdeckt.

Was also passiert in dem Buch? Kurz gesagt: Max recherchiert und schleicht um die Nachbarin Anna Meckel herum. Die ist so eigenbrötlerisch wie er, eine 38jährige Pianistin, die bei ihrem Bruder wohnt, an den Folgen mehrerer traumatischer Lebensereignisse zu knabbern hat und dringend psychotherapeutische Hilfe bräuchte.

Anna repräsentiert die esoterisch angehauchten gläubigen Menschen, ihr Bruder Daniel den streng rationalen Skeptiker – und Max Stoller steht verwirrt dazwischen und weiß nicht, was er denken und glauben soll. Besonders deutlich wird das in der Szene, in der die Geschwister vor ihrem Bücherregal stehen und sich mit Zitaten aus philosophischen Werken ein leidenschaftliches Streitgespräch liefern. Max hört sprachlos staunend zu.

Ansonsten kommt’s es nur selten zu Interaktionen zwischen den Personen. Jeder macht seine Probleme mit sich selbst aus. Die Geschichten spielen sich im Wesentlichen in den Köpfen von Max, Anna und Daniel ab. „Exakt – der Eigenbrötler, die Einzelkämpferin und der Narziss sind beziehungslose, isolierte Einheiten, die „alle drei nur um sich selbst kreisen“, schrieb der Autor dazu in einer Leserunde auf lovely-books.de. Aber ist das spannend?

Viel Faktenwissen, wenig Aktion


Oft hatte ich das Gefühl, einen 462seitigen P.M.-Artikel zu lesen. Welche Philosophen, Berühmtheiten, Wissenschaftler und Normalbürger was zu Gott und Religion gesagt haben, liegt derzeit aber nicht im Fokus meines Interesses. Vor einem halben Leben habe ich mich mal mit den verschiedenen Religionen befasst. Und was „niederfrequent gepulste Hochfrequenzfelder“ (Seite 392) sind, weiß ich weder, noch will ich es wissen. Ich wollte einen Roman.

Manchmal habe ich mich auch gefragt, ob der Autor uns vielleicht veräppeln will – wenn er uns drei Seiten lang (Seite 143 ff) Details über statische Berechnungen beim Brückenbau um die Ohren haut … oder angesichts der Nebenfigur Peter Faust. Am Anfang ist Faust nur einer von vielen durchgeknallten Freaks, aber als er dann anfängt, in Reimen zu sprechen, die einem irgendwie bekannt vorkommen, hab ich gedacht, ich bin im falschen Buch. Das hat jetzt mein Humorzentrum nicht so getroffen.

Sachbuch mit Rahmenhandlung?


Ich mag Max Stoller, den schrulligen Helden. Der einzelgängerische Skeptiker, der versucht, das Chaos in seinem Leben mit Hilfe von Listen zu bändigen, ist für mich ein literarischer Bruder im Geist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sehr ihn diese Gottesvision aus der Spur gebracht hat. Dass er wissen will, ob er tatsächlich Gott begegnet ist oder ob er eine Psychose hat, ist nur zu verständlich. Nur was aus dieser Idee geworden ist, hat mich nicht restlos überzeugen können. Was uns der Autor hier präsentiert, sind Recherche-Ergebnisse: Fakten ohne Ende. Das ist vielleicht eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Glaube versus Atheismus, aufgehängt an einer Rahmenhandlung, aber kein reinrassiger Roman.

Für jemanden, dessen Herzensthema „Gott oder kein Gott“ ist, mag dieses Buch eine faszinierende Lektüre sein. In der einen oder anderen Lebensphase befasst sich ja fast jeder damit. Die Frage ist, ob ein interessierter Leser dieses Buch dann auch finden wird. Sucht man da bei Science-Fiction? Und sind SF-Leser nicht eher an handlungsgetriebenen Büchern interessiert? Diejenigen, die das Buch finden, werden vom angehäuften Faktenwissen des Protagonisten vermutlich wenig angetan sein.

E.D.E.N. behandelt Thema, das sicher seine Zielgruppe hat. Ich habe aber Zweifel daran, dass bei dieser Präsentation Buch und Leser zusammenfinden.

Der Autor
Mike Engel lebt in Berlin, hat Soziologie studiert und mehr als 300 Drehbücher für 20 TV-Reihen geschrieben. Im Emons-Verlag erschien 2015 sein Kriminalroman „Alt mit Schuss“ (zusammen mit Michael Naseband).

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

http://www.boxmail.de

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