Dora Heldt: Böse Leute – Kriminalroman, München 2016, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN: 978-3-423-26087-9, Softcover/Klappenbroschur, 442 Seiten, Format: 13,6 x 3,7 x 21,2 cm, Buch: EUR 14,90, Kindle Edition: EUR 12,90. Auch als Hörbuch lieferbar.
„Mit dem Flachmann in der Hand krabbelte Inge aus der Hecke. ‚Prost Karl. Guter Job. Und die Pistole hat so schön golden im Licht gefunkelt. Es war wie im Film.’“ (Seite 429)
Wenn jetzt jemand denkt: „Ui, Dora Heldt hat das Genre gewechselt“ und sich innerlich schon auf einen härteren Ton und ganz andere Figuren einstellt, kann ich gleich sagen: ganz so ist es nicht. Wir befinden uns nach wie vor auf Sylt und bewegen uns im „Papa-Heinz“-Universum. Nur dass Heinz und sein Schwager Walter diesmal auf dem Festland weilen und das Chaos nur per Telefon ein wenig verschlimmern können. Hier stehen ihre Ehefrauen im Vordergrund. Doch der Reihe nach:
Nach 20 Jahren zurück nach Sylt
Um nicht ständig ihrem Ex bei der Arbeit über den Weg zu laufen und weil sie die Befürchtung hat, dass ihr verwitweter Vater nicht alleine zurecht kommt, lässt sich Polizeiobermeisterin Maren Thiele (38) von Münster zurück auf ihre Heimatinsel Sylt versetzen und zieht in die Einliegerwohnung ihres Elternhauses.
Schnell stellt die Polizistin fest, dass sie ihren Vater Onno, den tapsigen Seebären im Ruhestand, gründlich unterschätzt hat. Der rennt zwar in den aberwitzigsten Klamotten durch die Gegend, weil er einfach keinen Geschmack hat, aber unglücklich ist er keineswegs. Er hat einen großen Freundeskreis, pflegt diverse Hobbys und hat sich in den drei Jahren seines Alleinlebens zum exzellenten Hobbykoch gemausert. Im örtlichen Kochklub räumt er einen Preis nach dem anderen ab. Dass seine Tochter nach 20 Jahren wieder zu ihm ins Haus zieht, sieht er nicht als Erleichterung an, sondern als zusätzliche Verantwortung. Er hat das Gefühl, auf seine alten Tage plötzlich zum allein erziehenden Vater geworden zu sein. Und das jetzt, wo er sich gerade neu verliebt hat!
Problembären am Arbeitsplatz
An Marens neuem Arbeitsplatz läuft auch nicht alles wie am Schnürchen. Ausgerechnet Robert Jensen, mit dem sie im Verlauf eines Seminar mal eine Nacht verbracht hat, verstärkt in der Sommersaison das Team. Er ist ja schon ein super Typ – allerdings 10 Jahre jünger als Maren. Da sieht sie enorme Probleme auf sich zukommen und lässt sich lieber auf nichts ein. Doch das will Robert nicht akzeptieren.
Ein weiterer Problemfall ist Marens Patenonkel, Polizeihauptkommissar a. D. Karl Sönnigsen. Er hat noch nicht verkraftet, dass er jetzt im Ruhestand ist und nicht mehr der örtlichen Polizei vorsteht. Seinen Nachfolger, PHK Runge, hält er für einen unfähigen Schwätzer, der nicht imstande ist, die aktuelle Einbruchserie auf der Insel aufzuklären. Nicht etwa leerstehende Ferienhäuser werden ausgeraubt, nein, der Einbrecher steigt in die Häuser allein stehender einheimischer Frauen ein. Dabei überschreitet der Sachschaden, den er vorsätzlich anrichtet, um ein Vielfaches den Wert seiner Beute. Seltsame Sache.
Polizei unfähig? Vier Rentner ermitteln selbst
Als eine Chorkollegin von Karl Sönnigsen Opfer des Einbrechers wird, beschließt er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Mit seinen Freunden Onno Thiele, Charlotte Schmidt (der Frau von „Papa“ Heinz) und deren Schwägerin Inge Müller („Tante Inge“, Walters Frau) gründet er ein privates Ermittlerteam, das dem Einbrecher das Handwerk legen soll. Bei Kaffee, Kuchen und dem einen oder anderen Eierlikör schmieden sie streng geheime Schlachtpläne. Dass die Rentnergang sich natürlich bei weitem nicht so professionell anstellt wie der Ex-Kommissar es von seinen Mitarbeitern gewöhnt ist, sorgt für so manchen Schmunzelmoment. Da laufen diverse Dienstbesprechungen und Befragungen vollkommen aus dem Ruder und Charlottes Sitzungsprotokolle sind einfach zum Piepen. So rasend ernst scheinen Karls Amateurdetektive die Sache nicht zu nehmen. Denen geht’s mehr ums Likörchentrinken.
Spaß vorbei: Jetzt geht’s um Mord
Schluss mit lustig ist, als Inges Nachbarin Jutta Holler den Einbrecher auf frischer Tat ertappt, ihn erkennt – und ermordet wird. Längst hat die Polizei mitbekommen, dass die vier Ruheständler auf eigene Faust ermitteln. Doch mehr als ihnen deutlich ins Gewissen zu reden können sie nicht tun.
Dass ihr Vater bei diesen gefährlichen Amateurdetektiv-Spielchen mitmischt, macht Maren schwer zu schaffen. Als sie auch noch gegen den Freund ihrer besten Freundin ermitteln muss, ist sie dem Zusammenbruch nahe. Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, ausgerechnet in der Heimatgemeinde als Polizeibeamtin Dienst zu tun.
Schlau wäre es, wenn Karls Rentnergang und die Polizisten ihre Informationen austauschen würden. Dann könnte sich aus den einzelnen Puzzlestücken ruckzuck ein Bild ergeben und die Verantwortlichen säßen schneller hinter Gittern als sie gucken können. Aber aus Trotz, Stolz und wegen der Vorschriften ermitteln beide Teams parallel und vergeuden damit wertvolle Zeit.
Wenn die Polizei erst wüsste, dass Karl eine seiner Mitstreiterinnen als Lockvogel aufbaut, um den Mörder in eine Falle zu locken …!
Die Täter? Arme Socken
So wirklich böse sind die bösen Leute hier nicht. Eher arme Socken, die irgendwann ein paar unkluge Entscheidungen getroffen haben und sich nun bei dem Versuch, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, immer tiefer in die Sch*** reiten. Da sind ein paar richtig tragische Figuren darunter.
Für den Fan spannender, actionreicher Kriminalromane ist dieser Roman eher nichts. Dafür sind zu viele Comedy-Elemente, Familien- und Liebesgeschichten darin. Das gefällt eher Freunden von Dora Heldts schnurrigen Familiengeschichten rund um die Schmidts und die Müllers. Ganz so abgedreht wie URLAUB MIT PAPA, TANTE INGE HAUT AB und Co. ist BÖSE LEUTE nicht, was, wie gesagt, daran liegen mag, dass die Chef-Chaoten Heinz Schmidt und Walter Müller diesmal nicht mit von der Partie sind.
Eine Variation des Vertrauten
Wenn man Dora Heldts Romane schätzt und weiß, dass man hier eine Variation des Vertrauten bekommt, wird man BÖSE LEUTE mit Vergnügen lesen. Das Chaos tobt, die Dialoge sind zum Brüllen und diesmal sind eben ein paar Ganoven und ein ebenso ehrgeiziger wie unsensibler Pensionär daran schuld statt, wie sonst, der Vater oder Ehemann. Wer einen klassischen Kriminalroman erwartet, dürfte mit diesem Heinz-Spin-off wohl nicht so recht glücklich werden.
Die Autorin
Dora Heldt, gelernte Buchhändlerin, wurde 1961 auf Sylt geboren, wohnt inzwischen in Hamburg und bezeichnet sich selbst als großen Inselfan und Familienmenschen. So kommen ihre Geschichten nicht von ungefähr: Die Nordsee-Eilande Sylt und Norderney etwa spielen in ihren Romanen „Tante Inge haut ab“ und „Urlaub mit Papa“ zentrale Rollen. Seit 1992 arbeitet Dora Heldt, wenn sie nicht gerade an ihren eigenen Geschichten schreibt, als Verlagsvertreterin.
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
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