Energiekrise

Möglicherweise habe ich wirklich weniger Energie als die meisten meiner Mitmenschen. Mein Vater war sich dessen sicher. Sein Urteil über mich: „Lahmarsch, kein Kampfgeist“. Das wollte ich nie wahrhaben. Aber jetzt, wenn ich mich so umgucke …

Freunde und Kollegen verplanen jetzt schon ihre Wochenenden von 2018, während ich von Tag zu Tag schlurfe und denke „Ach, du meine Güte!“, wenn mich jemand um die Zusage zu einer Veranstaltung bittet, die in einem Jahr stattfindet. „Wer weiß, ob wir da noch leben?“.

Das Planen ist mir vergangen


Das Planen ist mir in den letzten Jahren irgendwie vergangen. Zu lange habe ich nur unter Vorbehalt gelebt. „Ja, ich komme gerne – wenn nichts mit meinen Eltern ist.“ Diesen Spruch habe ich viele Jahre lang immer und immer wieder aufgesagt. Und natürlich war dann was. Besonders, wenn ich Pläne gemacht, Vorbereitungen getroffen und mich auf etwas gefreut hatte.

„Ich hoffe auf ein paar stressfreie Tage“, habe ich meinen Kolleginnen lachend zugerufen, als ich mich 2013 in den Weihnachtsurlaub verabschiedete. Hat nicht funktioniert. Kurz nach den Feiertagen starb mein Mann. Diese absolute Unvorhersehbarkeit des Lebens hängt mir immer noch nach. Das war auch schon anders. Mit 20 oder 30 hab ich bereits im August gewusst, wohin ich im nächsten Sommer gerne verreisen würde und hätte das auch ohne mit der Wimper zu zucken eingetütet, wenn es hätte sein müssen. Jetzt bin ich schon mit dem Erwerb von Eintrittskarten für eine Veranstaltung überfordert, die in ein paar Monaten stattfindet. Es kommt mir anmaßend vor, so weit in die Zukunft zu denken. Als würde ich damit das Schicksal herausfordern.

Ich glaub’, ich brauch’ eine Therapie.

Was meine Freunde alles erleben!


Vom Unternehmungsgeist der Menschen in meinem Umfeld bin ich restlos fasziniert und sehr beeindruckt. Wo Freunde, Verwandte und Kollegen überall herumreisen, was sie alles erleben und sich ansehen, Wahnsinn! Bei manchen habe ich das Gefühl, dass sie jedes Wochenende unterwegs sind. Staunend sehe ich die Bilder bei facebook und lausche den begeisterten Berichten. Neidisch bin ich nicht im Geringsten. Ich könnte ja, wenn ich wollte. Aber ich will meistens gar nicht. Ich habe nicht die Energie dafür.

Nach einer Arbeitswoche bin ich platt wie eine Flunder, schaffe gerade noch meinen Haushalt und den Wochenendeinkauf und bin dann oft genug froh, wenn ich die Beine hochlegen darf und mal nichts reden, niemanden überzeugen, mich nicht rumstreiten und nichts organisieren muss. Endlich! Ich kann hier sitzen und mich meines Lebens freuen. Ich habe nur noch ein einziges Zuhause und muss nicht mehr ständig zwischen meiner Wohnung und den Eltern hin und her flitzen! Das allererste Mal, seit ich in den 1980er-Jahren aus meinem Elternhaus ausgezogen bin. Könnt ihr euch das vorstellen?

Die Schwierigkeit, sich aufzuraffen


Organisatorisch alles auf links zu drehen, damit ich am Wochenende unterwegs sein kann, kostet mich wahnsinnig viel Zeit und Kraft. Beides fehlt mir dann für die Bewältigung meines Alltags. Und das überlege ich mir wirklich gut. Wenn ich dann mal fort bin, finde ich es meist klasse. Von dem Ausflug nach Konstanz mit meinen Kolleginnen schwärme ich noch immer in den höchsten Tönen. Aber ich schaffe es manchmal einfach nicht, mich aufzuraffen.

Vielleicht bin ich alt und unflexibel, vielleicht auch nur lahmarschig. Oder mir stecken noch die letzten Jahre in den Knochen, die wirklich nicht sehr lustig waren.

Vielleicht ist das Energielevel eines Menschen auch einfach nicht mit dem eines anderen vergleichbar. Oder ich messe mich an Mitmenschen, die ein gänzlich anderes Leben führen als ich: die Familie haben aber keinen Vollzeitjob und ihr Leben deswegen ein bisschen flexibler gestalten können als ich … die zehn bis zwanzig Jahre jünger sind als ich und mit Unterstützung eines Partners einen Ganztagsjob und diverse Großprojekte locker wuppen … mit Extrovertierten, die aus ihren Freizeitaktivitäten Energie gewinnen statt sie dort zu lassen … oder mit solchen, die schon im Ruhestand sind und eben am Montag zum Großeinkauf fahren, wenn sie am Samstag keine Zeit haben. Das geht bei mir nicht so einfach. Ich muss dann schon mächtig planen und improvisieren, damit uns die Woche über nicht das Katzenfutter ausgeht. 😉

Freut euch, wenn ihr die Energie habt, vieles zu erleben. Ich gönne es euch ehrlich und von ganzem Herzen. Und habt bitte ein bisschen Nachsicht mit Leutchen wie mir, die nicht ganz so viel Dampf auf der Kanne haben.

5 Kommentare

  1. Ohne dir zu nahe treten zu wollen … du hast in den letzten Jahren einiges „mitgemacht“, da kann man schon mal einfach nur erschöpft sein. Kann aber auch sein, dass du eine kleine Depression hast, bei der dir dein Hausarzt weiterhelfen kann. Ein freundliches „sorge dich nicht, lebe“ hilft da kaum …

  2. Du scheinst immer noch sehr viel auf die Reihe zu bekommen, liebe Edith. Vielleicht wäre es Zeit, dich von der unfreundlichen Einschätzung deines Vaters zu lösen? Wenn mein Vater so über mich denken und mir das auch noch sagen würde, was für mich komplett unvorstellbar ist, würde ich vermutlich nicht einmal die Kraft aufbringen, ihn zu besuchen, geschweige denn ihn zu pflegen! Und wenn du ein ruhiges Wochenende magst, dann genieße es ruhig, ohne jedes schlechte Gewissen. Mein verstorbener Mann sagte manchmal nach stressigen Wochen, er wolle am Wochenende einfach nur wohnen, und das taten wir dann auch, ganz ohne Plan. Ich wollte, ich könnte das immer noch. Geht aber nicht. Ich brauche immer einen Sicherheitsplan fürs Wochenende, damit ich nicht in ein tiefes dunkles Loch der Leere und Sinnlosigkeit falle. Wenn ich von diesem Plan nichts realisiere, geht’s mir gut, wenn es mir nicht gut geht, hab ich ein Geländer, an dem ich mich entlanghangeln kann. Und Pläne für den Sommerurlaub 2018, für Weihnachten 2017? Fehlanzeige. Denn, wie du sagst, wer weiß schon, ob wir dann noch leben? Allenfalls Notfallpläne stelle ich auf. Pläne für den Fall, dass ich noch lebe und dass mir nicht spontan was Besseres einfällt. Zum Beispiel Relaxen in der Badewanne oder Krimilesen am Sofa.😊

    1. „Einfach nur wohnen“ sagt meine Tante auch. Von ihr hab ich den Spruch übernommen. Und ich denk manchmal, ich müsste doch einsam und unglücklich sein, wenn ich jetzt an den Wochenenden einfach nur im Haus rumkramen und gar nicht viel reden will. Aber mir gefällt’s.
      Ich muss, glaube ich, nur aufpassen, dass ich nicht vollends wunderlich werde und keine Kontakte mehr habe, wenn ich mal welche möchte oder brauche.

  3. Edith, du hast ein Haus umgebaut und bewohnst jetzt eine Fläche, die vermutlich auch für eine mittelgroße Familie ausreichen würde. Wer sich so einrichtet – es hat dich ja niemand gezwungen, hoffe ich – der hat sich in der Regel für ein Leben, das eher zu Haus stattfindet und gegen eines auf Reisen entschieden. Wenn du dich wohl fühlst, ist es doch in Ordnung. Genieße einfach, dass du endlich mal frei bestimmen kannst, was du tust, ohne dass dich immer wieder jemand braucht (und dann womöglich noch gemein zu dir ist).

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