Oliver Kern: Eiskalter Hund. Kriminalroman. Fellingers erster Fall

Oliver Kern: Eiskalter Hund. Kriminalroman. Fellingers erster Fall, München 2018, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3453438699, Klappenbroschur, 304 Seiten, Format: 12,4 x 3,2 x 19 cm, Buch: EUR 9,99 [D], EUR 10,30 [A], Kindle Edition: EUR 8,99.

Abbildung: (c) Wilhelm Heyne Verlag

„Mit stoischer Miene halte ich den Zinken über den Topf und atme langsam ein. Sie riecht nicht sonderlich lecker, die schwarze Soße. Stinkt aber auch nicht direkt. Der fettige Glanz auf der Oberfläche erinnert an das Altöl, das aus dem alten Hanomag meines Vaters rausläuft, wenn er alle heilige Zeiten mal Ölwechsel macht. (…) Langsam rühre ich um. Klumpen treten an die Oberfläche. ‚Sind das Speckkäfer?‘
‚Schwarze Bohnen‘, verbessert der Küchenchef.“ (Seiten 11/12)

Am liebsten wäre Berthold Fellinger, Mitte 40, Polizist geworden. Für Ungereimtheiten und Gefahren hat er einen sechsten und siebten Sinn. Leider hat er auch eine angeborene leichte Gehbehinderung, was eine Karriere bei der Kripo unmöglich gemacht hat.

Hygieneinspektor ist er geworden, der Fellinger. Er führt Lebensmittelkontrollen in Restaurants durch. In diesen Job ist er irgendwie so hineingerutscht und hängengeblieben. Groß in der Welt herumgekommen ist er auch nicht. Sein Bezirk liegt im Bayerischen Wald, just in der Gegend, in der er aufgewachsen ist und in der seine Eltern immer noch ihren Hof bewirtschaften.

Ab und zu fährt er noch „heim“ und lässt sich von Mama bekochen. Dabei ist er immer froh, wenn er seinem Vater nicht über den Weg läuft. Mit dem alten Grantler kommt er gar nicht aus. Für Fellinger senior ist „Berti“ eine einzige Enttäuschung: Keine Frau, keine Kinder, und den Hof will er auch nicht übernehmen. Vielleicht missfällt ihm auch generell, wie sein Sohn sich durchs Leben treiben lässt. Darin erinnert der Berti ein wenig an einen anderen bekannten Romanhelden: an Rita Falks Kommissar Eberhofer. Das ist auch so ein großes Kind, das im entscheidenden Moment nie den Allerwertesten hochkriegt.

Toter Hund im Kühlhaus? Ein Unding!


Doch wenn der Fellinger meint, dass es etwas zu ermitteln gibt, dann ist er nicht mehr zu bremsen. So wie jetzt. Der Grundmüller Sigi hat ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass mit der schwarzen Soße in Herrn Luangs Restaurant „Peking“ irgendwas nicht stimmt. Dem Hinweis muss er nachgehen und eine Probe nehmen. Und nur, weil die Küchenhilfe wie angenagelt vor dem Kühlraum des „Peking“ steht, schaut er auch dort hinein – und entdeckt etwas, das dort nicht hingehört: einen tiefgefrorenen, enthäuteten und ausgeweideten Hund.

Der sei für die bevorstehende Familienfeier, erklärt Herr Luang. Und er sei gewissermaßen ein Zufallstreffer gewesen. Sein Cousin habe den herrenlos herumlaufenden Hund versehentlich überfahren. Luang händigt dem Inspektor widerstandslos die Hundemarke aus. Beim Fellinger schrillen alle Alarmglocken: Bei dem Hund handelt es sich um Beaver,den Entlebucher Sennenhund der vermögenden Witwe Helga Poschinger. Das Tier war ihr Ein und Alles. Wäre Beaver weggelaufen, hätte Helga Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn wiederzufinden, und Fellinger hätte davon gehört. Aber nix!

Frauchen verschwunden – Fellinger ermittelt


Da stellt sich doch die Frage, ob mit der Helga alles in Ordnung ist. Fellinger fährt zu ihr heim, geht einmal ums Haus – und wird von einer vermummten Gestalt niedergeschlagen. Die Polizei nimmt seinen Anruf nicht ernst, und auch Helga Poschingers Tochter, Veronika Allmanseder, die gerade zum Blumengießen vorbeikommt, versichert ihn, dass alles in Ordnung sei. Ihre Mutter mache Urlaub in Indien und Beaver sei in Bambergers Hundepension. Also kein Grund, sich Sorgen zu machen. Und zum Herumschnüffeln schon gleich gar nicht.

Fellinger glaubt ihr nicht, Endlich lässt sich auch sein Spezl, Polizeihauptmeister Sepp Lechner, von seinem Misstrauen anstecken. Zu Recht, wie es scheint. Der Hund war nicht in der Hundepension und Helga ist auch nicht in Indien. Sie hat Deutschland gar nicht verlassen. Wie auch? Flugticket und Reisepass liegen noch bei ihr daheim. Was auch merkwürdig ist: Sie hat unentschuldigt einen geschäftlichen Termin sausen lassen, der ihr sehr wichtig war. Das ist untypisch. Wo also ist Helga Poschinger? Tot, oder? Wer hat Grund gehabt, ihr etwas anzutun?

Eine geldgierige Bagage


Während der Lechner Sepp mit legalen Mitteln arbeiten muss, schert sich der Fellinger Berti um rein gar keine Vorschriften, was ihn mehr als einmal in große Gefahr bringt. Denn als die beiden Helgas Leben durchleuchten, geraten sie in einen wahren Sumpf. Da ist ein Lover mit Liquiditätsproblemen, ein naher Verwandter mit Schulden, ein rabiater Motorradfahrer, ein ominöser Bogenschütze und ein angesäuerter … ja, was? Wunderheiler? Esoteriker? Scharlatan? Seltenführer?

Seine unautorisierten Ermittlungen führen den neugierigen Hygieneinspektor bis nach Tschechien – und ins Krankenhaus. Vielleicht hätte er mal ein bisschen früher recherchieren sollen, was „Kyudo“ bedeutet …

Ja, und wer von all den geldgierigen Figuren hat jetzt die Helga umgebracht? Und wo ist ihre Leiche? Gute Fragen! Die Antworten darauf überraschen – oder auch nicht, weil man sich im Verlauf der Geschichte schon daran gewöhnt hat, dass hier nichts so ist, wie es auf den ersten Blick ausschaut. Die Handlung schlägt derart wilde – wenn auch plausible – Haken, dass der hinkende Hobby-Ermittler und die verblüfften LeserInnen kaum noch hinterherkommen. Es bleibt spannend!

Ein bisschen wie beim Eberhofer


Schon die graphische Aufmachung des Buchs – Cover-Motiv und die Gestaltung der Kapitelüberschriften – legen nahe, dass hier mit leichten Anklängen an Rita Falks Eberhofer-Reihe zu rechnen ist. Was ja nicht das Verkehrteste ist. Ein nicht mehr ganz junger Ermittler in der bayerischen Provinz, der hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, erzählt uns scharfzüngig und nicht immer politisch korrekt von seinen Erlebnissen. Bei Fellinger geht’s bodenständiger und nicht ganz so schräg zu wie in „Niederkaltenkirchen“ und der Kriminalfall steht deutlich im Mittelpunkt. Fellingers Privatangelegenheiten nehmen nur so viel Raum ein wie nötig ist, damit man ihn als Person versteht.

Die Nebenfiguren haben es in sich. Die Story vom kleinkriminellen Texmäx ist der Brüller! Die Sekten-Szenen rund um den Wunderheiler sind sehr amüsant beschrieben, wirken aber gleichzeitig erschreckend real.

Kaum eine Person wird ohne Grund erwähnt. Wenn der Lechner Sepp also dem Fellinger beim Bier so nebenbei was erzählt, kann das 100 Seiten später mordswichtig werden. Nur, dass der Leser sich vielleicht an den Ausgangsdialog gar nicht mehr erinnert. So ist es mir mit mehreren Personen bzw. Namen ergangen. Äh … wer? Ach so, das Überfallsopfer! Der Apotheker! Der Versicherungsfachmann! Vielleicht liegt es daran, dass ich das Buch portionsweise abends in der Bahn gelesen habe. Spannend und unterhaltsam war es trotz dieser minimalen Irritationen. Ich mag Helden, die eigentlich keine sind und die, in gewissem Rahmen natürlich, über ihre Mitmenschen Dinge denken, die sich keiner laut auszusprechen wagt.

Vielversprechender Serien-Auftakt


EIN EISKALTER HUND ist ein vielversprechender Auftakt zu einer neuen Reihe. Rezepte gibt’s im Anhang keine 😉 , obwohl Fellingers Mutter gut und viel kocht. Aber ein Glossar gibt’s, in dem man einige Dialektbegriffe nachschlagen kann, die Fellinger und seine Mitstreiter im Buch verwenden. Das allermeiste erklärt sich aber aus dem Zusammenhang. Das Lesen ist immer Vergnügen, es artet nie in Arbeit aus.

Der Autor
Oliver Kern, 1968 in Esslingen am Neckar geboren, wuchs in der beschaulichen Idylle des Bayerischen Waldes auf. Er lebt mit seiner Familie in der Region Stuttgart.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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