Volker Arend, Anke Christians, Volker Präkelt: Abenteuer Diagnose: Wie Ärzte und Patienten mysteriösen Krankheiten auf die Schliche kommen

Volker Arend, Anke Christians, Volker Präkelt: Abenteuer Diagnose: Wie Ärzte und Patienten mysteriösen Krankheiten auf die Schliche kommen. Wahre Medizingeschichten – Vom NDR-Gesundheitsmagazin Visite, München 2018, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-60486-5, Klappenbroschur, Format: 13,6 x 3 x 20,6 cm, Buch: EUR 12,99 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99.

Abbildung: (c) Wilhelm Heyne Verlag

„ABENTEUER DIAGNOSE ist eine Fernsehsendung im Programm des NDR. In den Sendungen werden Krankheitsfälle dargestellt, in denen der medizinische Erkenntnisgewinn in den Vordergrund gestellt und auf spannende Art ähnlich den Ermittlungen bei einem Kriminalfall präsentiert werden.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Abenteuer_Diagnose

Rätselhaften Krankheiten auf die Spur zu kommen kann so packend sein wie ein Krimi: Erst wird dem Patienten/Opfer nicht geglaubt, dann treten die üblichen Verdächtigen auf den Plan, es gibt falsche Fährten, versteckte Hinweise, mit etwas Glück einen hilfreichen Informanten und dann: ein jäher Geistesblitz! Am Schluss wird der wahre Übeltäter entlarvt und unschädlich gemacht. Der Patient gesundet und alle sind glücklich.

Dramatische Fälle wie bei DR. HOUSE


Für solche Stories habe ich die TV-Serie DR. HOUSE geliebt. Die medizinischen Details darin stimmen, die abstrus anmutenden seltenen Krankheiten, die sie da diagnostiziert haben, gibt es tatsächlich. Nur der unsympathische Serienheld ging mir furchtbar auf die Nerven. Ich wollte lieber Medizin pur. Das habe ich dann auch gefunden: in TV-Beiträgen, die im Rahmen des NDR-Magazins VISITE ausgestrahlt werden. Titel: „ABENTEUER DIAGNOSE“. Der vorliegende Band ist das Buch zu dieser Sendereihe.

Was ich nicht wusste, war, dass die Beitragsreihe ABENTEUER DIAGNOSE tatsächlich von der US-Fernsehserie DR. HOUSE inspiriert wurde. Das habe ich erst in diesem Band erfahren. Vor rund 10 Jahren hat sich die Medizinredaktion des Senders gefragt: „Wenn (…) die Realität so viel spannender, unwahrscheinlicher und geheimnisvoller ist als das Ausgedachte – warum dann nicht gleich die wahren Geschichten erzählen, die Erkrankten selbst befragen? Die echten Ärzte zeigen, die sich in schwierige Fälle verbeißen, um medizinische Rätsel zu lösen?“ (Seite 7)

Das Buch zur NDR-Reihe


Die Redakteure haben sich daraufhin auf die Suche gemacht und Krankengeschichten zusammengetragen, die so dramatisch, ausgefallen und bizarr waren, dass sie sie kaum glauben konnten. Für das Magazin VISITE wurden nur solche Fälle filmisch umgesetzt, die auch gut ausgegangen sind. Tragische Ereignisse ohne Happy End wollte man den Zuschauern nicht zumuten. 12 der spannendsten Beiträge aus dem Fernsehmagazin hat man nun in diesem Buch nacherzählt.

In den – inzwischen 170 – Fernsehbeiträgen wird die jeweilige Krankengeschichte in Spielszenen von Schauspielern nachgestellt. Zwischendrin berichten die realen Patienten, deren Angehörige und Ärzte, wie sie die Ereignisse erlebt haben und wie sie den Auslösern der seltenen Krankheit schließlich auf die Spur gekommen sind. Dieser O-Ton macht die Sache authentisch. Und irgendwie beruhigt es einen als Zuschauer auch, wenn man den Patienten putzmunter im Studio sitzen sieht, den man eben in den eingespielten Szenen noch so schrecklich leiden sah. Das zeigt ja, dass er die dramatische Erkrankung heil überstanden hat.

So zum Beispiel war der Fall ENTZUGSERSCHEINUNGEN (Seite 196 ff) im Fernsehen zu sehen:

Eine junge Mutter wird nach der Entbindung als wehleidig belächelt, weil sie unerträgliche Rückenschmerzen hat. Da ihr keiner helfen kann oder helfen will, recherchiert sie schließlich selber.

Im Buch haben die Beiträge Kurzkrimi-Charakter. Erzählt wird meist chronologisch. Die Gewissheit, dass es für alle Patienten gut ausgeht, hat man nur, wenn man die Reihe aus dem Fernsehen kennt. Im Buch kommentiert der Erkrankte seine Geschichte nicht selbst.

Spannend auch in geschriebener Form


Spannend sind die niedergeschriebenen Fälle alle, nur die Nähe zu den Hauptpersonen gelingt nicht in jedem Beitrag gleich gut. Die Heldin in der ersten Geschichte – die Dame, die auf einmal keine Nahrung mehr bei sich behalten kann – wird ein bisschen als Proll vorgeführt. Was uns nicht davon abhält, mit ihr mitzufühlen. Der Grund für ihre Beschwerden ist dann ziemlich skurril.

Rückblicke wie in der TV-Version funktionieren bei diesen kurzen Geschichten nur bedingt. Im Fall TOHUWABOHU (Seite 76) hat man’s versucht und die Erzählweise ist dadurch ein bisschen chaotisch geworden. Ich habe den Beitrag mehrfach lesen müssen, um die zeitliche Reihenfolge zu verstehen. Der Titel der Geschichte bezieht sich allerdings nicht darauf, sondern auf die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen einer Bankerin. Ist sie ein Fall für die Psychiatrie oder gibt’s für ihre Probleme eine „handfeste“ Ursache?

Unheimlich sind die körperlichen Veränderungen, die der sportliche junge Münsteraner Frank auf einmal durchmacht. Die Fachärzte, zu denen er geht, spulen ihr Standardprogramm ab und können ihm nicht helfen. Er fühlt sich so krank, dass er schon sein Testament aufsetzt. Sein Hausarzt ist es schließlich, der die rettende Idee hat … (Das ist übrigens der einzige ABENTEUER DIAGNOSE-Fall, bei dem ich als medizinischer Laie je auf die richtige Diagnose getippt habe.)

Total neben der Spur ist Teenager Isabel. Sie versagt in der Schule, wird aggressiv und ist zeitweise desorientiert. Nein, sie ist nicht psychotisch. Und nein, sie nimmt auch keine Drogen. Nach einer Ärzte- und Therapie-Odyssee kommt ihr Fall in die Hände der Esslinger Neuropädiaterin Marlies Gruber. Auf den MRT-Aufnahmen von Isabels Gehirn fällt Frau Dr. Gruber etwas auf, das sie auf die richtige Lösung bringt.

12 spektakuläre Fälle in einem Band


Bei manchen Fällen kann es einen gruseln. Wie z.B. bei dem von Lagerarbeiter Maik, der nach einem Arbeitsunfall immer wieder wegen Gasbrand behandelt wird und sogar in Verdacht der Selbstverstümmelung und des Versicherungsbetrugs gerät. Dabei hat nur noch niemand das eigentliche Problem erkannt. Oder beim Fall von Baby Ann-Kristin, das eine Krankheit hat, die man noch gar nicht kennt. Auch die Geschichte von Naturkundelehrer Bleckmann, der nach Entfernung eines harmlosen Überbeins immer wieder Probleme mit seiner anschwellenden und eiternden Hand hat, ist ein bisschen eklig. Und bis da mal einer die richtigen Fragen stellt, das dauert! Der Grund für seine lange Zeit unerklärlichen Beschwerden ist dann auch sehr ungewöhnlich!

Ein halbes Leben lang muss die Ärztin Caro auf die richtige Diagnose warten. Jahrzehnte, in denen sie unter Übelkeit, Kopfschmerzen, Halluzinationen, Panikattacken und Tics gelitten hat – und unter Therapien, die nicht geholfen haben. Polizist Andreas ist schon mehr tot als lebendig, als sich endlich herausstellt, was er sich eingefangen hat. Und auch bei Rentner Alfred, der vor kurzem noch auf dem Bau gearbeitet hat, fit war und viel mit dem Fahrrad fuhr, braucht es eine Menge medizinische Detektivarbeit, um herauszufinden, woher auf einmal sein Nervenleiden kommt. Die Antwort ist überraschend …

Zu Herzen geht die Geschichte vom kleinen Valentin, der „Läuse UND Flöhe“ hat. So sagen die Ärzte, wenn jemand unter gleich zwei (seltenen) Krankheiten leidet. Irgendwie haben seine Angehörigen und Ärzte das immer als „Familienleiden“ abgetan, weil die Verwandten väterlicherseits ähnliche Beschwerden haben. Nur nicht so schlimm wie Valentin. Der ist vielleicht nur besonders empfindlich. Nein. Ist er nicht. Man nimmt ihn nur nicht richtig ernst.

ABENTEUER DIAGNOSE ist für Medizin-Nerds und Doku-Junkies eine spannende Lektüre, vor allem, wenn sie auch noch eine Affinität zu Krimis haben. Statt fiktiver Mörder jagt man hier reale Krankheitsauslöser.

Im Buch versteht man die Zusammenhänge besser als im Fernsehen. Die Informationen, die auf der Mattscheibe flink an einem vorbeihuschen, kann man hier nochmal nachlesen. Im Fall der kleinen Ann-Kristin – DIE AUFGABE (Seite 123 ff) – werden Problem und Lösungsweg besonders anschaulich dargestellt. Emotional berührender, ganz einfach, weil man die Betroffenen selbst sieht und reden hört, sind für mich aber die TV-Beiträge.

Die AutorInnen
Volker Arend, geboren 1965, ist Diplom-Biologe und Wissenschafts-Journalist. Neben seiner Tätigkeit als TV-Autor für den NDR (Gesundheitsmagazin„Visite“) produziert er medizinische Lehrfilme und begleitet Fachtagungen journalistisch auf mehreren Kontinenten. Volker Arend ist einer der Entwickler von „Abenteuer Diagnose“.

Anke Christians, geboren 1982, ist freie TV-Autorin und Wissenschaftsjournalistin. Die Tochter eines Arztes studierte Medienkultur. Sie ist seit 2010 Autorin und Regisseurin der Sendereihe „Abenteuer Diagnose“.

Volker Präkelt, geboren 1956, ist Buchautor und TV-Journalist. Er ist der geistige Vater der „Wissensratte“ Marvi Hämmer (ZDF und KiKa) und hat zahlreiche Hörbücher, Jugendsachbücher und Mulitimedia-Produkte realisiert. Neben seiner Autorentätigkeit bei „Abenteuer Diagnose“ schreibt er Krimihörspiele und Short Storys, die er mit dem Ensemble „Arte Criminale“ bei Krimifestivals aufführt.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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