So schnell ich im Geschäftsleben schalte, so langsam bin ich manchmal privat.
Schweigen wir darüber, dass ich rund ein Jahrzehnt gebraucht habe, bis ich bemerkte, dass die Teesorten in meinem bevorzugten Tee- und Gewürzladen alphabetisch sortiert waren. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich nicht nach Name, sondern nach Nase gekauft habe, wie meine Freundinnen auch. Wir haben eine große Blechdose nach der anderen geöffnet, hineingeschnuppert, und wenn uns der Duft zusagte, ein Teepäckchen entnommen und in unseren Einkaufskorb gelegt. Wie die Tees hießen, war uns egal.
Um die acht Jahre hat es gedauert, bis ich kapierte, dass der schlagfertige Typ, mit dem ich mich gern in einem Internetforum unterhielt, der Autor einer Kolumne war, die ich Woche für Woche mit Begeisterung las. Gut, im Forum war er unter einem Spitznamen unterwegs, aber es hat genügend Hinweise auf seine Identität gegeben, wie mir im Nachhinein klar wurde. Allen anderen Forumsmitgliedern schienen die Zusammenhänge klar gewesen zu sein, nur mir nicht. Nun ja, da hatten sie wenigstens etwas zu lachen, als auch mir endlich ein Lichtlein aufging.
Keine Ahnung, mit wem ich es zu tun habe
Das passiert mir übrigens öfter: dass ich nicht merke, dass ich es online tatsächlich mit Autoren/Journalisten zu tun habe, deren Arbeit ich kenne und schätze. Ich komme einfach nicht auf die Idee, dass die von ihrem Olymp herabsteigen und sich in denselben Foren oder Facebookgruppen herumtreiben könnten wie ich auch.
Noch heute lacht die Kollegenschaft darüber, wie ich mich angestellt habe, als ich in einer komplizierten Angelegenheit einen Kollegen anrufen sollte, mit dem ich noch nie zuvor zu tun hatte. Ich hab’s nicht so furchtbar mit dem Telefonieren.
„Nein“, sagte ich, „den rufe ich nicht an. Den kenne ich doch gar nicht. Was, wenn der auf meine Frage ganz doof reagiert?“
„Bitte, was?“, fragte ein Kollege verblüfft. „Wieso kennst du den nicht? Das ist der Lustige mit den kurzen Haaren, der oft bei uns in der Kantine am Tisch sitzt. Mit dem redest du seit Monaten über Gott und die Welt.“
Ach, der ist das! Ja, dann! Den kannte ich freilich. Ich hatte nur nie gefragt, wie er heißt, weder ihn selbst noch die anderen Kollegen. Nun war ja alles klar. Und in den folgenden Jahren haben wir zusammen so manche Kuh vom Eis geholt, die sich berufsbedingt dorthin verirrt hatte.
Huch, ein Geländer! War das gestern schon da?
Meine Verwandtschaft wiederum kichert, weil ich in der Renovierungsphase meines Hauses manchmal erst nach Tagen registriert habe, dass die Renovierungsfirma, die einen Hausschlüssel hatte, da gewesen war und etwas am oder im Haus gemacht hatte. Huch, ich habe ja ein Balkongeländer! War das gestern auch schon da? Und seit wann ist die Küchentür eingehängt? Und die Handtuchhalter sind ebenfalls montiert …
Ich bin –zigmal an den Veränderungen vorbeigelaufen, ohne sie zu bemerken. Vielleicht, weil ich generell ein schlechter Beobachter bin. Ob ein Kollege sich nach Jahren den Vollbart abrasiert hat oder jemand anderes, den ich täglich sehe, irgendwann verlauten lässt, dass er in diesem Jahr 20 Kilo abgenommen hat – an mir geht das alles vorbei. Der glattrasierte Kollege kommt mir eventuell ein bisschen komisch vor, aber ich könnte nicht benennen, warum. Und der Mitmensch, der so viel abgenommen hat? Den fand ich vorher auch schon vollkommen okay.
Der Name der Kneipe
Selbst wenn ich in meinem Leben 20.000 Mal an einem Haus vorbeigelatscht bin – wenn sie es irgendwann abreißen, kann ich in den seltensten Fällen sagen, was da für ein Gebäude gestanden hat. Groß, klein, weiß, gelb, mit Bäumen oder ohne – wenn es mir vorher nicht aus architektonischen oder persönlichen Gründen aufgefallen ist, ist es nicht in meinem Gedächtnis verankert.
So wird es auch niemanden wundern, dass ich im Internet nachsehen musste, wie die Kneipe gegenüber der Haltestelle heißt, an der ich seit 30 Jahren in den Bus steige. Ich weiß aber noch, wie der Laden in meiner Kindheit hieß und kann sämtliche Familienmitglieder des damaligen Eigentümers sowie seine Angestellten aufzählen.
Vielleicht bin ich mit den Gedanken einfach immer woanders und kriege deshalb so vieles nicht mit. Oder ist das am Ende ganz normal und ich bin wieder nur der einzige Depp, der das laut ausspricht? 😀
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