Jürgen Seibold: Lindner und der klare Fall. Ein Baden-Württemberg-Krimi

Jürgen Seibold: Lindner und der klare Fall. Ein Baden-Württemberg-Krimi, Tübingen 2018, Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-2112-4, Softcover, 253 Seiten, Format: 12 x 2,5 x 18,8 cm, Buch: EUR 12,99, Kindle: EUR 10,99.

Abbildung: (c) Silberburg-Verlag

Die Kommissare Stefan Lindner (47) und Wolfgang Roeder kennen einander seit ihrer Ausbildung und waren mal gut befreundet. Dann hat Lindner Karriere gemacht und ist zum LKA nach Stuttgart gegangen, während Roeder immer noch in Göppingen hockt und seinem einstigen Kumpel den Erfolg neidet. Und so haben sie seit Jahren nur noch Kontakt, wenn es sich beruflich nicht vermeiden lässt.

Eines schönen Abends – Lindner will gerade mit seiner Freundin Maria essen gehen – steht Roeder vor seiner Tür und bittet um Hilfe. Seine ehemalige Schulkameradin Sonja, verheiratete Ramlinger, soll ihren Mann erstochen haben. Man hat sie in der gemeinsamen Villa in Schlat mit der Waffe in der Hand neben dem Toten gefunden und sie hat auch sofort gestanden. Trotzdem glaubt Roeder an ihre Unschuld. Er meint, sie decke den wahren Täter. Mit dieser Meinung steht er allerdings allein da. Und auch LKA-Mann Lindner hält zunächst nicht viel von der Idee. Ist diese Sonja für Roeder wirklich nur eine Bekannte aus Kindertagen oder steckt mehr dahinter? Der Kollege will nicht so recht mit der Sprache raus.

Hat Sonja ihren Mann ermordet?

Na gut, sagt sich Lindner, um der alten Zeiten willen kann er sich den Fall ja mal ansehen. Und tatsächlich gibt es beim Tathergang ein paar Ungereimtheiten. So, wie Sonja es schildert, kann es nicht gewesen sein. Ein Motiv hätte sie aber: Die Ehe der Ramlingers war nicht so berauschend. Beide Partner hatten außereheliche Affären. Besonders gut behandelt hat der Unternehmer seine Gattin auch nicht. Er hat sie klein gehalten und gedemütigt. In der Öffentlichkeit durfte sie nicht den Mund aufmachen. Nicht etwa, weil die Gefahr bestanden hätte, dass sie ihn blamiert. Sonja ist eine intelligente und tatkräftige Frau, durfte das aber nie zeigen.

Doch nicht nur die Ehefrau hatte ein Motiv. Der Ermordete hielt sich aus unerfindlichen Gründen für unwiderstehlich und hat sich manchen seiner Mitarbeiterinnen regelrecht aufgedrängt. Doch bei der Marketingfrau Denise ist er an die Falsche geraten. Sie selbst hätte nur gekündigt, aber ihr Bruder tickt aus und stellt ihren zudringlichen Boss recht rabiat zur Rede. Und Denises Mutter ist über die Annäherungsversuche an die Tochter zutiefst schockiert. Aus guten Gründen.

In wessen Auftrag spioniert eigentlich Privatdetektiv Jupp Schreber Ramlingers ehemaligen Geliebten hinterher? Und wie ernst ist der Ausspruch von Sonjas Mitgefangener Karin Kelpp zu nehmen, dass sie Ramlinger umgebracht hätte, wenn Sonja ihr nicht zuvorgekommen wäre?

Der Fall ist alles andere als klar

So klar, wie es auf den ersten Blick ausgesehen hat, ist der Fall Ramlinger also nicht. Das war bestimmt kein eskalierender Streit zweier entfremdeter Ehepartner, da hängen noch eine ganze Menge mehr Leute mit drin! Trotzdem bleibt Sonja bei ihrem Geständnis. Sie war’s, basta. Auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist.

Doch dann nimmt der Fall eine Wendung, der Stefan Lindner rot sehen lässt: Jemand zieht seine Mutter in den Fall hinein. Die ist zwar nicht so leicht zu erschüttern, aber dass sie durch den Beruf ihres Sohnes in Gefahr gerät, das geht gar nicht!

Wer hier aus welchen Gründen hinter wem her war und was tatsächlich in der Villa in Schlat geschehen ist, erfahren wir erst ganz zum Schluss. Ja, so grob in die Richtung haben wir als LeserInnen auch gedacht . Das leuchtet auch alles irgendwie ein. Und doch habe ich die Beweggründe mancher Figuren nicht so richtig nachvollziehen können. Vor allem die Ra(m)mlingers waren mir ein Rätsel. Die hätten andere Möglichkeiten gehabt. Aber als Außenstehende kann man nicht beurteilen, in welchen Mechanismen, Denkfallen und Ritualen die Partner feststecken und was sie am vernünftigen Handeln hindert. Vielleicht war Sonja durch die jahrelangen seelischen Misshandlungen stärker geschädigt als es nach außen den Anschein hat. Bei fast allem, was sie gemacht hat, dachte ich: „Aha. Okay. Und warum?“

Komplexes Beziehungsgeflecht

Spannend ist die Geschichte. Das komplexe Beziehungsgeflecht und die vielen möglichen Motive lassen die Ermittler und die Leser ganz schön rätseln. Trotzdem hat mich der Schluss nicht hundertprozentig überzeugt. Siehe oben … die Beweggründe.

So ganz bringe ich den fähigen LKA-Mann Stefan Lindner auch nicht mit der Vorstellung überein, dass er mit 47 noch in seinem Kinderzimmer auf dem elterlichen Bauernhof in Bad Boll haust, von seiner Mutter versorgt wird, wehleidig und hypochondrisch ist und Donald-Duck-Schlafanzüge trägt. Ein Wunder, dass seine Freundin/Kollegin Maria Treidler da nicht gleich schreiend weggelaufen ist. Im Job brillant, privat eine Witzfigur – für mich sind das zwei vollkommen verschiedene Persönlichkeiten.

Realitätsnäher und interessanter als der Sohn ist seine Mutter Ruth, eine knitze, geschäftstüchtige schwäbische Landwirtin: robust, unabhängig, eigensinnig und sehr unternehmungslustig. Die hat mehr Dampf auf der Kanne als ihr Filius. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie mal, vielleicht mit Hilfe ihres Freundes Eugen, einen Fall alleine lösen würde.

Man muss kein Schwabe sein

Schwäbisch muss man übrigens nicht können, um dem Krimi folgen zu können. Nur gelegentlich verfällt die Mutter kurz in den Dialekt. Und die Kenntnis der Gegend erhöht zwar den Spaß an der Sache, ist aber nicht zwingende Voraussetzung.

Der vorliegende Band ist übrigens Lindners fünfter Fall. Man kann aber durchaus bei diesem Krimi einsteigen und die Bände in einer „falschen“ Reihenfolge lesen. Der Autor macht das so geschickt, dass man auch als Quereinsteiger nie das Gefühl hat, es würden einem wichtige Insider-Informationen fehlen – wofür ich ihm sehr verbunden bin.

Der Autor

Jürgen Seibold, 1960 in Stuttgart geboren, war Redakteur der Esslinger Zeitung, arbeitete als freier Journalist für Tageszeitungen, Zeitschriften und Radiostationen und veröffentlichte 1989 seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher für verschiedene Verlage (Heyne, Moewig, Knaur) mit einer verkauften Gesamtauflage von rund 1,2 Millionen Exemplaren. 2007 erschien bei Silberburg sein erster Regionalkrimi, 2010 die erste Komödie. Außerdem schreibt er Thriller und Jugendbücher. Jürgen Seibold lebt mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis und macht Musik – wenn er mal Zeit dafür findet.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert