Elly Sellers: Die kleine Kanzlei entdeckt Neues. Roman

Elly Sellers: Die kleine Kanzlei entdeckt Neues. Roman, Norderstedt 2020, BoD Books in Demand, ISBN:978-3-752-68946-4, Softcover, 309 Seiten, Format: 12 x 2,1 x 19 cm, Buch: EUR 11,00, Kindle: EUR 2,99.

Abb.: © BoD / Laura Newman

Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, dass den ersten Band der Reihe, DIE KLEINE KANZLEI AM MARKT, gelesen habe. Die Münchner Rechtsanwältinnen Helen Binz und Kerstin Bärenreuther, beide Anfang 40, und deren tüchtige Fachangestellte Grete Vogt waren sofort wieder präsent. 

Helens Lover ist Geschichte

Zu meiner Freude hat Helen den Lover abgesägt, der mir im letzten Band so auf die Nerven ging. Aber da habe ich mich zu früh gefreut: Als Klient bleibt uns der liebe Rainer erhalten. Weil seine Kinder die Trennung nicht gut verkraftet haben und Schulschwierigkeiten bekamen, ist er wieder zu seiner Frau zurückgezogen. Aber das haut irgendwie nicht hin: Zusammen zu leben aber eigentlich getrennt zu sein, als Eltern ein Team sein zu müssen, obwohl man mit dem Ex-Partner nicht mehr klar kommt – das alles führt zu permanenten Streitigkeiten. Es wird nicht besser dadurch, dass Rainers Frau wieder einen neuen Freund hat, der auch noch ständig in der Wohnung rumhängt. Scheiden lassen will sie sich aber nicht. Sie hat Angst, Rainers Unterstützung bei der Kindererziehung zu verlieren und finanziell auf sich selbst gestellt zu sein. Wie soll sie beruflich wieder Fuß fassen, wenn sie seit acht Jahren raus ist aus ihrem Job?

Kleine Geheimnisse werden groß

Zum Glück muss sich nicht Helen um die Scheidung ihres Ex kümmern. Das macht ihre Kollegin Kerstin. Bei der läuft’s privat wieder ziemlich mal unrund. Sie hatte ja schon im ersten Band Probleme mit ihrem geheimniskrämerischen Gatten Mark. Und jetzt wieder! Mit wem telefoniert er nur die ganze Zeit? Und wer darf auf gar keinen Fall zu Besuch kommen? Auf Nachfragen reagiert er pampig, also drückt Kerstin in einem günstigen Moment auf Wahlwiederholung. Und siehe da: Marks Geheimnis hat etwas mit seiner Ex-Lebensgefährtin Marlies zu tun. Gut, die Beziehung ist seit 20 Jahren vorbei, und die beiden haben sich auch nie wiedergesehen. Aber Mark hat Kerstin eine Kleinigkeit verschwiegen … und diese „Kleinigkeit“ ist jetzt erwachsen und will Mark kennenlernen. Dagegen wehrt er sich mit Händen und Füßen.

Dass Kerstin eine Wut auf ihren Mann hat, kann ich verstehen. Nicht, weil er ein Leben vor ihrer Zeit hatte – das wäre ja albern. Aber 20 Jahre lang schweigen, sich nicht kümmern und sich jetzt so aufführen, das ist schon ein starkes Stück!

Zurück ins Kinderzimmer

Mitarbeiterin Grete Vogt, Ende 50, hat sich gerade damit arrangiert, dass ihr Mann im Ruhestand ist und ihr Sohn aus dem Haus, da schlägt das Schicksal zu: Der Sohn wird arbeitslos, wird in seiner Branche auch nicht so schnell was Neues finden will zurück in sein altes Zimmer ziehen, bis er wieder einen Job hat. Das kann dauern: Er fasst eine Umschulung ins Auge. Die Eltern haben das ehemalige Kinderzimmer schon umgewidmet und sind von der Rückkehr des Sohnes nicht so begeistert. Natürlich werden sie ihm trotzdem helfen! In Windeseile sortieren sie aus, räumen die Wohnung um und renovieren, auch wenn dieser Kraftakt sie überfordert. Und schon kommt die nächste Hiobsbotschaft …

Die Tante darf nichts wissen!

Rechtsanwältin Helen Binz hat aus anderen Gründen schlaflose Nächte: Ihre Nichte Sarah mit Söhnchen Robin wohnt derzeit bei ihr. Der Kleine schreit natürlich nachts. Aber das nimmt Helen Kauf für das Gefühl, dass jemand da ist, wenn sie nach Hause kommt. Wie ruhig es ohne ihre Mitbewohner ist, merkt sie, als Sarah mit Robin für ein paar Wochen in die USA fliegt um den Kindsvater zu besuchen.

Auch Sarah hat ein Geheimnis. Sie redet sich ein, ihre Tante schonen zu wollen, doch je länger sie wartet, um mit der Sprache herauszurücken, desto schwieriger wird’s. Und desto häufiger und größer werden die Lügen. Es ist eine Frage der Zeit, bis ihr die Sache mit Karacho um die Ohren fliegt …

Letzter Versuch: Mediation

Ja, wenn die Leute rechtzeitig und vernünftig miteinander reden würden, wären viele Geschichten ruckzuck zu Ende. 😀 Wahrscheinlich hätten auch die Scheidungsanwält*innen weniger Arbeit. Und Mediator*innen wären komplett überflüssig. Was diese außergerichtlichen Vermittler*innen leisten können, erleben wir hier mit, weil die Anwältinnen in diesem Buch erstmals mit Mediatoren arbeiten. Was Kerstin Bärenreuther so beeindruckt, dass sich mit dem Gedanken trägt, eine entsprechende Zusatzausbildung zu beginnen.

Die Sache mit der Mediation fand ich interessant. Das könnte ich mir auch in anderen Lebensbereichen als sinnvolle Lösung vorstellen, nicht nur, um zankende Noch-Ehepartner wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Ich glaube, mit dem Thema muss ich mich mal näher beschäftigen. (Aber so einen Kurs mache ich bestimmt nicht. Ich hasse Rollenspiele!)

Zeitweise fand ich die Fälle, über die sich die Anwältinnen in ihrer Kanzlei unterhalten, spannender als ihr Privatleben. Ich mag eben Geschichten aus dem Berufsleben. In dem Roman passiert ja auch nichts Dramatisches. Die Story von den entsetzten Eltern, die plötzlich mit dem drohenden Wiedereinzug ihres erwachsenen Sohns konfrontiert werden, ist ganz witzig, aber nicht rasend spannend. Bei Bärenreuthers hätte ich erwartet, dass mal ordentlich die Fetzen fliegen, aber da schmollt jeder nur vor sich hin.

Sowas will man nicht erleben!

Die Geschichte von Helen und Sarah hat allerdings Sprengkraft. Es ist stets damit zu rechnen, dass ein geliebter Mitmensch eine Wahl oder eine Entscheidung trifft, von der man nicht hellauf begeistert ist. Aber das, was hier passiert, möchte man auf keinen Fall erleben! Ich denke, das war’s jetzt mit der innigen Tante-Nichte-Beziehung. Aber schauen wir mal: Vielleicht schreibt die Autorin ja noch einen dritten Teil und überrascht uns mit ganz neuen Entwicklungen.

Ja, die Heldinnen der Geschichte lernen hier viel Neues. Nicht immer freiwillig – und nicht immer zu ihrer Freude. Aber so ist das Leben: Immerzu verändert sich was.

Mich bringt es ein bisschen aus dem Konzept, wenn ich mit Romanfiguren „per Sie“ bin. Sie teilen zwar ihre intimsten Gedanken mit uns, aber für uns sind sie Frau Vogt und Herr Bosch. Wenn die Anwältinnen beruflich mit den Leuten zu tun haben, ist es zweifellos angebracht, dass so distanziert und förmlich auf sie Bezug genommen wird. Aber wenn der Herr X mit der Frau Y im Bett liegt, ist es irgendwie seltsam.

Von Genuss verstehen sie was

Wie gesagt: Action gibt’s hier keine. Das Buch ist unterhaltsam, man schaut zwei versierten Rechtsanwältinnen bei der Arbeit zu, staunt über skurrile Fälle und erhält Einblicke in die hilfreiche Arbeit von Mediatoren. Der Ort der Handlung, München kommt auch immer gut weg, und mit Genuss gegessen und getrunken wird ebenfalls. Die Heldinnen leben erfreulicherweise nicht nur von Stillem Wasser und Salatblättern. 😉 Dadurch bleibt Leser*innen, die auch lieber genießen als verzichten, das schlechte Gewissen erspart.

Am Rande bemerkt: Mir gefällt das Cover. Bücher von Selfpublishern kranken ja oft daran, dass die Gestaltung so handgestrickt wirkt. Hier nicht! Was Laura Newman für DIE KLEINE KANZLEI gestaltet hat, ist sehr schick, modern und professionell. www.lauranewman.de

Die Autorin

Elly Sellers (Pseudonym) ist als Rechtsanwältin und Mediatorin im Familienrecht tätig. Sie hat zusammen mit anderen Autoren bereits erfolgreich zwei Fachbücher veröffentlicht. Sie lebt mit ihrer Familie in München. www.ellysellers.de

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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