Mädchenbücher, Jungsbücher …

Ich bin mit wilden Abenteuergeschichten über ferne Länder aufgewachsen – mein Vater hat sie sich ausgedacht und uns Kindern erzählt. Märchen nachzubeten, die es schon gab, war ihm zu langweilig. Und wir waren stets ein dankbares, ja begeistertes Publikum.

In Mädchenbüchern passierte nix

Blöd nur, dass in Kinderbüchern für Mädchen damals in den 60er Jahren so gar nichts Abenteuerliches passierte. Mädchen gingen zur Schule und gerieten vielleicht mal mit ihren Klassenkameradinnen aneinander oder hatten Knatsch mit der Familie. Die wenigen Bücher, in denen wirklich was los war – eine Handvoll Auswanderergeschichten oder die Story einer neugierigen kleinen Zirkusartistin, die Einbrechern in die Quere kommt – sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Da waren Vaters Sachbücher über Tiere, Pflanzen, Pilze und natürlich Dinosaurier spannender. Ja, sogar das Bertelsmann-Lexikon hatte in seinem Bildteil Konkurrenzfähiges zu bieten: Tiere, Flaggen, Edelsteine, Kunstwerke und historische Gewänder.

Freie Auswahl!

Eines Tages – ich muss um die 9 Jahre alt gewesen sein – sagte eine Bekannte meiner Mutter zu mir: „Schnapp dir eine große Tasche und komm nachher bei uns vorbei. Meine Jungs haben ihre Kinderbücher ausgemistet. Bevor ich alles wegschmeiße, nimm mit, was du brauchen kannst.“ Das habe ich mir nicht zweimal sagen lassen! 

Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Ich saß zwischen überquellenden Bücherkartons und fühlte mich, als hätte ich den Jackpot geknackt. Alles meins! Freie Auswahl! Es war kurz vor Weihnachten, es schneite leicht und nach vollbrachter Bücher-Wühlaktion schleppte ich voller Vorfreude meine Ausbeute den Hügel hoch.

Hier also war das Abenteuer!

Und siehe da, hier war das Abenteuer! In den Jungsbüchern! Da gab’s gruselige Schlösser, verborgene Schätze und verschrobene Erfinder, düstere Geheimnisse und gefährliche Gestalten. Kinder meiner Altersklasse wurden aus einer Notsituation heraus bei einem raubeinigen Onkel abgeladen und schipperten mit ihm auf seinem Boot von einem atemberaubenden Erlebnis zum nächsten. Zwei junge Burschen schlugen sich irgendwo in Indien durch um einen verschollenen Angehörigen wiederzufinden. Ja, das gefiel mir!

Ich war zu jung, um den Zusammenhang zu erkennen und mir künftig nur noch Bücher für Jungs zu wünschen. Mir gab auch nicht zu denken, dass ich die Bücher meiner Cousins so gerne las – spannende Geschichten im Stil von Karl May und Jack London. Zum Glück habe ich dann Enid Blytons 5-Freunde-Reihe entdeckt. Da ging mir zwar die weinerliche Anne auf die Nerven, aber immerhin war für damalige Verhältnisse ordentlich Action geboten.

Früher war nicht alles besser

Mit 11 Jahren war dann meine Mädchenbücher-Phase vorbei. Ich habe Science Fiction und Fantasy für mich entdeckt. In diesen Büchern waren der Phantasie und dem Abenteuer keine Grenzen gesetzt und niemand hat mich mehr mit Geschichten über zickige Freundinnen und eifersüchtige Geschwister fadisiert. 

Heute lese ich wieder Kinder- und Jugendbücher und denke manchmal mit einem leichten Anflug von Neid, dass ich solche Geschichten in meiner Kindheit auch gerne gehabt hätte. Die Vielfalt ist jetzt deutlich größer. Man mutet den jungen Leser:innen auch viel mehr Aufregung zu als in meiner Kindheit. Und es gibt heute mehr Möglichkeiten, sich über das Angebot zu informieren. Ich habe damals das gelesen, was es auf dem Dorf zu kaufen gab. Das waren im Wesentlichen Bücher eines einzigen Kinderbuchverlags. So etwas wie Internet und Online-Shopping war damals noch Science Fiction.

Nein, was Kinder- und Jugendbücher angeht, lasse ich mir nicht einreden, dass früher alles besser war!

Bild: Comfreak auf Pixabay / Pixabay License / pixabay.com

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