Jule Böhm: Das Herz im Wald, die Füße im Sand. Roman

Jule Böhm: Das Herz im Wald, die Füße im Sand. Roman, Hamburg 2022, HarperCollins, ISBN 978-3-7499-0256-9, Softcover, 350 Seiten mit Karte/Lageplan auf den inneren Umschlagseiten, Format: 12,5 x 2,55 x 18,6 cm, Buch: EUR 11,00 (D), EUR 11,40 (A), Kindle: EUR 7,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Abb.: (c) HarperCollins

„So viele Gedanken und Gefühle stürmten auf sie ein. Die vielen Jahre der Freundschaft mit Britta. Die Liebe zu Philipp, mit dem sie bereits von einer eigenen Familie geträumt hatte. Dann die Jahre, die sie mit ihrem unsteten Wanderleben verbracht hatte, ohne sich Gedanken an eine Heimat, Freunde und Familie zuzugestehen. Und jetzt machte ihr Leben plötzlich einen Schlenker, der sie regelrecht ins Schleudern brachte.“ (Seite 226)

Hilgenriedersiel, Ostfriesland: Die drei wichtigsten Menschen in ihrem Leben hat Försterin Eleonora „Ella“ Vanbrecht, 31, durch den Tod verloren: Ihre Eltern verunglückten, als sie 15 war. Connie Braun, eine Freundin und Mitarbeiterin ihrer Eltern, wurde damals Ellas Vormund. Lebensgefährte Philipp starb vor sechs Jahren, wenige Wochen vor der geplanten Hochzeit. 

Freiwilliges Nomadenleben

Nach Philipps Tod hat Ella dann alle Brücken abgebrochen und führt seitdem mit ihrer Labradorhündin Paula ein Nomadenleben. Wenn irgendwo ein Förster eine Weile ausfällt, springt sie für ihn ein. Die meiste Zeit lebt sie im Wohnwagen oder in irgendwelchen Ferienwohnungen. Ihr Zuhause in Oldenburg sieht sie selten. Dass sie, außer zu ihrer Pflegemutter Connie, kaum Kontakte hat, wundert einen unter diesen Umständen nicht. Ella will das so.

Jetzt hat der Zufall sie in ihre alte Heimat verschlagen. Doch statt sich bei ihrer Pflegemutter in Westerholt einzuquartieren, mietet sie sich ein Ferienhäuschen auf einem Gutshof in Hilgenriedersiel. Für eine Rückkehr in ihr altes Jugendzimmer fühlt sie sich mittlerweile zu erwachsen. Außerdem liegt Connie ihr immer damit in den Ohren, dass sie nun endlich entscheiden solle, wie sie in Zukunft mit ihrem Erbe zu verfahren gedenke. Dazu kommen wir noch.

Auf dem Gutshof der Familie Niehus fühlt Mieterin Ella sich sofort heimisch. Die Geschwister Anne und Clemens betreiben dort eine Eventagentur und richten Familienfeste und Firmenfeiern aus. Eventkaufmann Clemens organisiert, Floristin Anne dekoriert und Mutter Femke, eine gelernte Konditorin, bäckt.

Attraktiv, doch leider launisch

Clemens Niehaus ist attraktiv aber offenbar nur zu seinen Agenturkunden freundlich. Ella gegenüber erweist er sich als muffelig und launisch. Wahrscheinlich ist es sehr stressig, im Job immer gut drauf sein zu müssen und nebenher noch allein erziehender Vater eines Vierjährigen zu sein. Söhnchen Mats ist sehr aufgeweckt und kriegt schnell spitz, dass Ella deutlich besser kochen kann als sein Vater. Außerdem hat sie einen Hund. Und so zieht er quasi bei ihr ein. Jeden Abend muss der Papa seinen Sohnemann bei ihr abholen. Dabei stellt Ella fest, dass er gar nicht so ein Muffelkopf ist. Die beiden kommen sich näher. 

Inzwischen weiß Ella auch, wo Mats’ Mutter hingekommen ist. Sie hat Mann und Kind verlassen, als Mats wenige Monate alt war. Sie habe erkannt, dass das Familienleben sie zu sehr einschränke, soll sie gesagt haben. Wäre schön gewesen, wenn ihr das aufgefallen wäre, bevor sie schwanger wurde. Aber gut. Seitdem, so verrät Clemens’ Schwester, hat er die Nase voll von verwöhnten reichen Erbinnen. Mit vermögenden Leuten will die ganze Familie nichts mehr zu tun haben.

Alles, nur keine reiche Frau!

Oh. Dann sollten sie besser nicht erfahren, dass Ella Vanbrecht von ihren Eltern ein Wohn- und Geschäftshaus in Aurich geerbt hat nebst gut gehendem Modehaus, dessen Inhaberin sie noch immer ist. Connie Braun führt das Geschäft, aber Einkauf und Buchhaltung obliegen Ella. Da dieser Sachverhalt vor ihren neuen Freunden auf dem Gut nun geheim bleiben muss, kann Ella sie auch nicht um Rat und Hilfe bitten, als es Schwierigkeiten gibt. 

Gerne hätte sie die Vermietung einer der Wohnungen Annes Freundin, der Immobilienmaklerin Levke, überlassen. Aber das geht ja nun nicht. Und als Connie sich dem Stress als Geschäftsführerin nicht mehr gewachsen fühlt – eigentlich wäre sie ja schon in Rente – muss Ella ihren Part im Modehaus auch noch übernehmen, neben ihrem Vollzeitjob als Försterin. Jedenfalls solange, bis eine endgültige Lösung gefunden ist.

Wald oder Mode?

Am einfachsten wäre es natürlich, sie würde das Geschäft verpachten oder gleich das gesamte Objekt verkaufen. Aber das will sie nicht. Das Gebäude ist ihr Elternhaus, der Laden war der Traum und das Lebenswerk ihrer Eltern. Es ist ihre letzte Verbindung zu ihnen. Das alles aufzugeben käme ihr wie Verrat vor. Sie könnte den Laden selbst führen, aber sie arbeitet nun mal lieber im Wald als im Einzelhandel. Weder möchte sie den ganzen Tag in geschlossenen Räumen verbringen noch ortsgebunden sein. Ihr Nomadenleben ist ihr wichtig. Dass sie auf längere Sicht nicht beide Jobs zugleich machen kann, liegt auf der Hand. Stur, wie sie ist, probiert sie es trotzdem.

Connie und Ella hätten schon viel früher über das Thema „Nachfolge“ sprechen müssen – sachlich und vernünftig, nicht zickend und streitend. Aber dazu war es wohl mit zu vielen Emotionen behaftet. Dass sie gewartet haben, bis es nicht mehr ging, ist unverantwortlich. Jetzt hat Ellla ein fettes Problem an der Backe und muss es mit sich alleine ausmachen. 

Dass sie sich auf eine Affäre mit Clemens Niehus eingelassen hat, die nun ernster zu werden droht als es beiden lieb ist, macht sie auch nicht fröhlicher. Ella will keine feste Beziehung, weil sie noch einen schweren Verlust nicht verkraften könnte. Clemens will sich nicht an eine Frau binden, die nicht sesshaft werden kann. Vor allem will er seinem Sohn nicht zumuten, noch einmal verlassen zu werden.

Entscheidungen

Welche Entscheidung Ella auch trifft, privat wie beruflich, es wird immer jemand verletzt und beleidigt sein. Und die Gefahr ist groß, dass ihr eigenes Glück dabei auf der Strecke bleibt. 

Das ist wieder mal ein Fall von: „Wenn die Leute von Anfang an sagen würden, was sie wollen und was nicht, wär’ das alles nicht passiert“. Aber hier druckst und eiert jeder rum, was zu allerlei Mutmaßungen und Fehlinterpretationen führt, und ruckzuck hat man den allerschönsten Schlamassel! Aber für offene Kommunikation ist der Homo sapiens wohl nicht geschaffen. Vor allem dann nicht, wenn starke Gefühle im Spiel sind. 

Für uns Leser:innen, die wir gut verstehen, was die Romanfiguren umtreibt, ist es natürlich spannend: Kommt die Wahrheit ans Licht? Bekennt sich X endlich zu seinen/ihren Gefühlen, kann Y doch noch über ihren Schatten springen? Ist diesem heillosen Kuddelmuddel denn nicht irgendwie beizukommen? Wir würden ja jeder Person in dieser Geschichte ihr Glück von Herzen gönnen, wissen aber ebenso wenig wie die Held:innen, welcher Weg dort hinführt. 

Action gibt’s nur auf dieser einen chaotischen Hochzeitsfeier. Trotzdem ist die Geschichte fast so packend wie ein Krimi. Statt „wer war es?“, fragen wir uns: „Wie kommt die Heldin aus dieser Nummer nur wieder raus?“ Unbeschadet, wenn’s irgendwie geht. Und mit dem richtigen Partner an ihrer Seite.

Manchmal ist so ein Wohlfühlroman genau die richtige Lektüre.

Die Autorin

Jule Böhm ist ein richtiges Naturkind und hat es als kleines Mädchen geliebt, die Wälder und Felder ihrer Heimat zu durchstreifen. Sie studierte Germanistik und Musik und arbeitete als Kauffrau im Gesundheitswesen. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt bei Köln. So richtig auftanken kann sie am besten an der Nordsee, wo sie und ihre Familie mindestens einmal im Jahr zu finden sind, bei Ostfriesentee und Rosinenbrötchen.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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