Silvija Hinzmann: Tausend wogende Wellen. Ein Istrien-Krimi. Prohaskas fünfter Fall

Silvija Hinzmann: Tausend wogende Wellen. Ein Istrien-Krimi. Prohaskas fünfter Fall, A-Klagenfurt 2022, Wieser-Verlag, ISBN: 978-3-99029-546-5, Softcover, 268 Seiten, Format: 12,8 x 2 x 20,4 cm, EUR 16,95.

Abb.: (c) Wieser Verlag

Einmal Polizist, immer Polizist. Eigentlich ist Josef „Joe“ Prohaska, Anfang 50, im Vorruhestand und lebt als Fotograf in der Heimat seines Vaters – in Kloštar, Istrien. Seine Frau ist verstorben, seine schwäbische Mutter und seine Tochter sind in Stuttgart geblieben, wo er bis zu seinem Dienstunfall als Kriminalkommissar tätig gewesen ist.

Kenner:innen der Reihe wissen: Prohaska kann das Ermitteln auch im Ruhestand nicht lassen. Immer wieder lässt er sich als eine Art Privatdetektiv einspannen ohne eine Lizenz dafür zu besitzen. Die örtliche Polizei lässt ihn gewähren. Er hat ja durchaus Erfolge zu verzeichnen.

Zur Beerdigung nach Slawonien

Jetzt ist er in einer Familienangelegenheit nach Slawonien unterwegs und da dürfte eigentlich nichts passieren. Olga Novak, seine hochbetagte Tante, ist nach längerer Krankheit verstorben. Viel Kontakt hatte er zwar nicht mehr zu seiner väterlichen Sippe, aber die Tante war eine gute Frau und da will er ihr die letzte Ehre erweisen. 

Dass möglicherweise auch Lydia Barnard aus Kanada zur Beerdigung kommt, erfüllt Joe Prohaska mit Vorfreude. Sie ist um mehrere Ecken mit ihm verwandt und als Teenager war er einen Sommer lang mächtig verliebt in sie. Dann ist ihre Familie ausgewandert und der Kontakt ist abgerissen. Sie haben einander seit 1985 nicht mehr gesehen.

Lydia ist, genau wie Joe, verwitwet. Er findet sie immer noch sehr attraktiv und die alte Anziehung ist schnell wieder da. Na, da hat die Familie ordentlich was zu tratschen!

Ermitteln gegen die eigene Verwandtschaft?

Und dann passiert es doch: Ein Kriminalfall! Blanka – die Verwandte, die Tante Olga überwiegend gepflegt hat –, behauptet, die alte Dame sei ermordet worden. Lydia, die unangenehme Erfahrungen mit der Verwandtschaft gemacht hat, glaubt ihr aufs Wort. Prohaska soll der Sache auf den Grund gehen.  – Im Ernst? Er soll gegen seine eigenen Angehörigen ermitteln? Denn darauf läuft es hinaus.

So abwegig ist Blankas Anschuldigung gar nicht: Tante Olga hat Lydia einen Brief hinterlassen, der ein brisantes Familiengeheimnis enthüllt. Dabei geht es unter anderem um viel Geld. Dieser Brief ist zum Teil in einer fremden Handschrift verfasst worden. Die Tante muss den Schluss krankheitsbedingt jemandem diktiert haben. Aber wem? Wer weiß von ihrem Geheimnis und dem Geld? Und vor allem: Wo ist ihr Testament?

Intrigante Verwandte

Prohaskas Verwandtschaft ist auch nicht besser als andere Leute 😉 : Intrigante und habgierige Cousinen, angeheiratete Ganoven jeder Größenordnung, Menschen mit Suchtproblemen und solche, die nach dem Jugoslawienkrieg nie wieder richtig auf die Beine gekommen sind. Da hat’s so manchen nachhaltig aus der Kurve getragen. Vielleicht hätten einige ihr Leben auch ohne Krieg nicht auf die Reihe gekriegt und haben nun wenigstens eine gute Ausrede. Man weiß es nicht.

Welche Rolle spielt eigentlich Rechtsanwalt Kiš? Wer beschattet warum und in wessen Auftrag Joe Prohaska und Lydia Barnard? Wieso hat nie jemand erwähnt, mit wem Cousine Marija jetzt verschwägert ist? Und was sollen die kryptischen Andeutungen, die Onkel Bohumil beim Leichenschmaus macht? Die Stimmung bei der Beerdigung ist seltsam und die Verwandtschaft ist es auch. 

Als Joe wieder zurück nach Istrien fährt, kommt Lydia mit. Sie hat dort noch Angehörige, die nicht bei der Beisetzung waren und die mehr über Tante Olga und ihre Geheimnisse wissen könnten.

Das ist doch eine reine Familienangelegenheit, oder? Warum folgt ihnen dann ein bewaffneter Mann von Slawonien bis nach Kloštar? Und wer ist der Kerl, der bei Ivo – Joe Prohaskas Kumpel und Geschäftspartner – im Laden anruft und ganz dringend Joe sprechen will?

Tante Olgas gefährliche Geheimnisse

Ich habe gelesen wie besessen, weil ich unbedingt wissen wollte, was Tante Olga noch alles zu verbergen hat. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, wie eine kleine Änderungsschneiderin wie sie zu so viel Geld gekommen ist. Und warum genau Lydias Familie damals so Knall auf Fall nach Kanada ging. Irgendwas ist da vorgefallen, aber keiner rückt mit der Sprache raus. Ich hätte schwören können, dass die beiden rabiaten Musiker-Brüder was damit zu tun haben … dass die seinerzeit mehr getan haben als nur großmäulig zu drohen. Und wer ist eigentlich Bens Vater? Auch da hatte ich einen Verdacht, der sich aber rechnerisch nicht ausging.

Was erst nach stinknormalem Familienzoff ausgesehen hat, wird immer komplexer, genau wie in den vorigen Bänden der Reihe. Alle Personen in der Geschichte sind irgendwie miteinander verwandt, verschwägert, befreundet, einander verpflichtet oder durch eine uralte Schuld erpressbar. Jeder kocht sein eigenes Süppchen und man kann beim besten Willen nicht sagen, wer auf wessen Seite steht. Dann kommt’s zu einem Agatha-Christie-mäßigen Aufeinandertreffen aller Verdächtigen, das allerdings mächtig aus dem Ruder läuft …

Was ist wirklich geschehen?

Wissen wir am Schluss, was genau passiert ist? Also, ich nicht. Jedenfalls nicht sicher. Ich kann mir, genau wie Joe und Lydia, etwas zusammenreimen. Aber ob das wirklich die Wahrheit ist? Entweder ist absichtlich manches offen geblieben oder es liegt an mir und ich habe es einfach nicht kapiert, weil ich entscheidende Hinweise überlesen habe. Kann sein. Ich fand das aber nicht übermäßig dramatisch. Dann ist dieser Fall halt nicht restlos aufgeklärt. Vielleicht erfahren wir in einem Folgeband mehr darüber. Und wenn nicht, dann ist es wie im richtigen Leben: Ein Täter kommt hier ungestraft mit seinen Machenschaften davon.

Wer einen klassischen Krimi erwartet, bei dem am Schluss alles glasklar ist und sämtliche Verbrecher der Justiz überantwortet werden, wird vielleicht enttäuscht sein. Ich habe das Buch eher als Roman über eine dysfunktionale Familie in einem traumatisierten Land gelesen – nur eben mit Krimi-Elementen.

Wie geht’s weiter für Joe? Und für Lydia?

Was mich wirklich interessieren würde: Was wird jetzt mit Joe und Lydia? Sie ist die erste von Joes Damenbekanntschaften, die mir sympathisch ist. Endlich mal eine normale, bodenständige Frau und nicht immer so sonderbare und komplizierte Wei …, äh, Wesen! 

Die zwei verstehen sich wirklich gut. Nur liegen eben rund 7.000 km zwischen ihren jeweiligen Lebensmittelpunkten. Auch wenn sich beide scherzhaft als „Flachwurzler“ bezeichnen und ihre Wohnorte nicht wirklich als ihre Heimat betrachten, haben sie dort ihre Arbeit und ihre Sozialkontakte. Und ihre Tiere. 😉 Ich würde Joe wirklich eine dauerhafte glückliche Beziehung wünschen, wüsste aber nicht, wie das gehen soll, ohne dass einer von ihnen – oder beide – das gewohnte Umfeld verlässt. Ich glaube nicht, dass Joe Prohaska demnächst in der Nähe von Toronto ermitteln wird. Obwohl …  er ist ja immer für eine Überraschung gut. Schauen wir mal!

Die Autorin

Silvija Hinzmann, geboren 1956 in Čakovec, Kroatien, lebt seit ihrer Kindheit in Stuttgart und arbeitet als Übersetzerin und Dolmetscherin u. a. für Justizbehörden. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzkrimis, Kriminalromane, davon vier in der Istrien-Krimireihe, und war Herausgeberin von Kurzkrimi-Anthologien für verschiedene Verlage. Sie übersetzte Romane, Kurzprosa und Lyrik aus dem Kroatischen und Serbischen. 

Rezensentin: Edith Nebel 
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
www.boxmail.de

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