Heike Abidi, Ursi Breidenbach: Freundinnen bleiben wir immer. Roman, München 2024, Penguin Verlag, ISBN 978-3-328-11055-2, Softcover, 336 Seiten, Format: 11,9 x 3 x 18,7 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 7,99.
„Solange wir uns alles anvertrauen können, kann nichts je so schlimm sein. Mit einer besten Freundin ist selbst das tiefste Tal nicht völlig dunkel […].
(Seite 328)
Freundinnen seit Kindertagen
Seit der Grundschule sind die in Köln lebende Fernsehmoderatorin Eva Gruber und die Münchner Bibliothekarin Judith Wieland beste Freundinnen. Jetzt sind sie Ende 40 und ihr Leben hat grundverschiedene Wendungen genommen. Die abenteuerlustige und leicht verpeilte Eva ist überzeugter Single und will „nichts Festes“. Stets hat sie die liebevoll-perfekte Ehe ihrer Eltern vor Augen. Das ist ihr Beziehungs-Ideal und auch ihr Anspruch. Und bevor sie daran scheitert, lässt sie’s lieber ganz bleiben. Obwohl Timo, ihre neueste Eroberung, diesen Entschluss schon ein bisschen ins Wanken bringt.
Die bestens organisierte Judith dagegen steht kurz vor der Silberhochzeit mit ihrem Frank. Die Söhne sind schon aus dem Haus. Auch Judith hat die Ehe ihre Eltern vor Augen – als abschreckendes Beispiel. Um ihren Jungs ein Scheidungskinder-Schicksal zu ersparen, hat sie stets zurückgesteckt, sich von ihrem Mann alles gefallen lassen und krampfhaft die Harmonie aufrechterhalten. Jetzt, da die Söhne ihr eigenes Leben führen, hat ihre Ehe eigentlich keine „Geschäftsgrundlage“ mehr und Judith beginnt sich zu fragen, ob sie für den Rest ihrer Tage neben Frank her leben möchte. Nicht unbedingt. Er nimmt sie ja nicht mal mehr wahr.
Sand und Meer statt Kunst und Kultur
Seit Jahren nehmen sich Eva und Judith einmal im Jahr Zeit für ein paar Tage Freundinnenurlaub. Jedes Jahr organisiert eine andere eine Städtereise mit viel Kulturprogramm. Diesmal ist Eva dran – und verpennt es, sich rechtzeitig darum zu kümmern. Statt in London oder Amsterdam landen die zwei Damen als last-Minute-Verlegenheitslösung in Timos Ferienhaus an der niederländischen Küste.
Judith ist enttäuscht. Tulpen, Sand und Meer am Ar*** der Heide statt Kunst und Kultur in einer aufregenden Metropole! Na, toll! Auf diese Weise kommen sie aber wenigstens mal zum Reden. Das ist bei dem eng getakteten Kulturprogramm vergangener Urlaube immer zu kurz gekommen. Und Redebedarf gibt’s reichlich, wie sich bald herausstellt.
Ehrlich reden oder höflich schweigen?
Eva zum Beispiel fällt aus allen Wolken, als sie hört, wie Judith all die Jahre ihre gut gemeinten Erziehungstipps empfunden hat. Nicht als Hilfe und Anregung, wie beabsichtigt, sondern als übergriffige Kritik und Anmaßung einer kinderlosen Person. Und das hat Judith 20+ Jahre lang kommentarlos hingenommen? Und jetzt, wo die Kinder erwachsen sind, explodiert sie auf einmal? Eva ist verunsichert und traut sich nichts mehr zu sagen, was von ihrer Freundin als Einmischung interpretiert werden könnte. Dabei hätte sie einiges zu berichten, was Judith ihrer Meinung nach über ihren Ehemann wissen sollte. Und was sie ihr vielleicht schon längst hätte erzählen sollen. Doch weil sie ihre Freundschaft nicht gefährden will, schweigt sie. Ob das so gut ist?
Unwillkürlich überlegt man als Leserin, was wohl am besten wäre und wie man selbst in dieser Lage handeln würde. Ich halte es ja mit der STAR TREK Prime Directive: „Nicht einmischen!“ – Auf den Alltag übertragen: „Hältste dich raus, kommste in nix rein“. 😉 Aber vielleicht gibt es doch Situationen, in denen man eine Ausnahme machen sollte. Und möglicherweise ist genau das eine solche.
Zeit für einen Neustart?
Der Freundinnen-Urlaub verläuft also nicht so harmonisch wie erwartet. Jede macht ihr eigenes Ding und zieht meist allein los. Und dann taucht auch noch Timo auf! Also, das hat mich aufgeregt! Der kann jetzt nicht mal ein Wochenende ohne seine Eva sein? Und sie nicht ohne ihn? Der muss jetzt da reinplatzen und das ohnehin angespannte Freundinnentreffen sprengen? Echt jetzt?
Aber gut. Durch die beiden Turteltäubchen wird Judith klar, was sie in ihrer Ehe vermisst. Und deren fortwährendes Geknutsche und Rumgemache treibt sie aus dem Ferienhaus, weil sie nicht im Weg sein will. Was sich als Glücksfall erweist! Draußen, bei ihren Alleingängen, lernt sie Menschen kennen, die ihr bewusst machen, wie man auch miteinander umgehen kann, nämlich rücksichtsvoll, fürsorglich, wertschätzend und auf Augenhöhe. Es ist keinesfalls „normal“ und klaglos zu akzeptieren, dass einen der Partner wie ein Möbelstück behandelt.
Wie werden sich die zwei entscheiden?
Jetzt ist die Frage, was die beiden Frauen aus den Erkenntnissen dieses Wochenendes machen. Offenbar ist Evas Beziehung zu Timo nicht mehr so oberflächlich-unverbindlich wie sie es sich zur Regel gemacht hat. Ob es an der Zeit ist, diese Prinzipien über Bord zu werfen? Oder, anders gesagt: Was ist ihr wichtiger: Timo oder ihre Grundsätze?
Und Judith? Wird sie die Kurve kriegen und ihr bisheriges Leben hinter sich lassen? Dass es sie schon lange nicht mehr glücklich macht, ist ihr inzwischen klar. Doch mit fast 50 ganz von vorn anzufangen, hat auch was Erschreckendes. Vielleicht bleibt’s ja bei halbherzigen Versuchen, ihre Ehe zu retten. Das Thema „Paartherapie“ steht im Raum. Davon hält Eva in diesem Fall gar nix, aber sie hat begriffen, dass es nicht ihre Ehe ist, sondern Judiths. Also hält sie sich zurück.
Wie auch immer Eva und Judith sich entscheiden und ob sie mit dieser Entscheidung glücklich werden oder krachend scheitern: Sie wissen jetzt, dass sie da nicht allein durch müssen, sondern dass sie sich trotz aller Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten fest aufeinander verlassen können.
Es gibt auch was zu lachen
Das Hinterfragen des bisherigen Lebens und das Erwägen eines Neustarts sind ernste Themen. Aber natürlich gibt’s hier auch was zu lachen … nicht nur über Evas allgegenwärtiges Chaos. Wie die Freundinnen herauszufinden versuchen, wer da im Hintergrund in ein Telefonat gequatscht hat, fand ich zum Piepen. Und die Schimpfkanonade der beiden! Das war köstlich! Im Geiste hab ich mitgeschimpft. Kleiner Tipp: Sollte einem diesbezüglich irgendwann das Vokabular ausgehen, sind die Namen von Pilzen, Faltern, Kräutern oder V ö g e l n eine hervorragende Inspirationsquelle. 😀
„Feministischer“ wär’s natürlich gewesen, wenn Judith einfach festgestellt hätte, dass sie Frank und seinen Bullsh*t nicht mehr in ihrem Leben haben will und gegangen wäre, ohne bereits eine Alternative am Bändel zu haben. „Ich muss mir das nicht bieten lassen, ich schaff das allein“ statt „Ich bleib‘, bis sich was Bess’res findet“ wäre mir als Botschaft lieber gewesen. Aber so, wie die Geschichte hier erzählt wird, ist sie natürlich unterhaltsamer – was ja der Job eines Romans ist. Und den macht er prima. Genauer gesagt: die Autorinnen.
Für alle, die sich fragen, wie zwei Personen zusammen einen Roman schreiben können: Die Handlung wurde gemeinsam entwickelt und dann die Geschichte abwechselnd aus Judiths und aus Evas Perspektive erzählt. Es steht vorne im Buch: Heike Abidi hat Judiths Part geschrieben, Ursi Breidenbach den der Eva. Nach diesem Muster arbeiten die beiden auch im Sachbuchbereich. Funktioniert bestens, hier wie dort!
Die Autorinnen
Heike Abidi ist studierte Sprachwissenschaftlerin. Sie lebt mit Mann, Sohn und Hund in der Pfalz bei Kaiserslautern, wo sie als freiberufliche Werbetexterin und Autorin arbeitet. Heike Abidi schreibt vor allem Unterhaltungsromane und erzählende Sachbücher für Erwachsene sowie Geschichten für Jugendliche und Kinder. »Eine wahre Freundin ist wie ein BH«, das sie zusammen mit Ursi Breidenbach veröffentlichte, hielt sich monatelang auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien von den beiden Autorinnen »Geschwister sind wie Gummibärchen«.
Ursi Breidenbach studierte Kunstgeschichte und Kulturmanagement in Wien. Nach Stationen im Ausstellungs- und Museumswesen in Österreich und Bayern sowie einer kunstjournalistischen Tätigkeit arbeitet sie seit 2009 als freie Autorin. 2023 wurde sie mit dem DELIA-Literaturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in der Steiermark/Österreich. Neben ihren gefühlvollen Romanen schreibt Ursi Breidenbach erfolgreich Sachbücher.
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Rezensentin: Edith Nebel
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