Andreas Neuenkirchen: Ein Toter lag im Treppenhaus. Kriminalroman

Andreas Neuenkirchen: Ein Toter lag im Treppenhaus. Kriminalroman, Köln 2024, GRAFIT in der Emons Verlag GmbH, ISBN 978-3-98659-021-5, Softcover, 272 Seiten, Format: 13,5 x 2,5 x 20,3 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 10,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Cover: (c) GRAFIT Verlag

„Es ist so ein schönes Wetter“, freute Holly sich. Da konnte man ihr nicht widersprechen. „Da wollen Sie ja wohl nicht drinnen sitzen.“ 
Da konnte man ihr durchaus widersprechen. „Wissen Sie, was ich wirklich hasse“, begann Wolf.
„Jede Menge Sachen, die anderen Leuten eher egal sind und die ich mir, ehrlich gesagt, nicht alle gemerkt habe.“
„Ich meine etwas, was ich Ihnen noch nicht erzählt habe.“
„Draußen sitzen?“
 

(Seite 181)

Hm … was habe ich denn da gerade gelesen? Selbst für eine Kriminalkomödie wird hier sehr viel abseitiges Zeug gequasselt. Es geht mehr um Befindlichkeiten als um Ermittlungen. Aber als „Insider-Job“ für Autor:innen und Verlagsleute ist die Geschichte recht vergnüglich: Zwei extrem unterschiedliche Schriftsteller suchen den Mörder ihres Nachbarn, weil die Polizei dessen plötzlichen Tod als Unfall abtut. Dabei babbeln sie ohne Unterlass. Alles, was sich bewegt, kriegt sein Fett weg: elitäre Schriftsteller, Bestsellerautor:innen, Agenten, Verlage, Influencer, die Medien, Polizisten, Kiffer, Rapper, Nordic Walker, Nachbarn, Versandhändler, Technologieunternehmen, woke und nicht ganz so woke Personen, die LGBTQIA+-Community, Eltern, Kinderlose, Verschwörungsgläubige… ja, irgendwie alle.

Doch von vorn: In einem unscheinbaren Mehrfamilienhaus in München-Moosach wohnen gleich zwei Schriftsteller zur Miete: Amadeus Wolf (geschätzt Mitte 30). Ein ehemaliges literarisches Wunderkind“, das nach einem viel beachteten Erstlingswerk nichts mehr geschrieben hat. Er versucht’s, aber er kommt einfach nicht dazu. Seine Frau Silke, die in führender Position bei einem großen Onlineversandhändler tätig ist, hat sich „aus beruflichen Gründen“ nach Luxemburg abgesetzt und ihn mit Baby Maxine sitzen gelassen. Und jetzt wurstelt sich dieser weltfremde Mann, der immer ein bisschen wie ein Zeitreisender aus der Vergangenheit wirkt, mühselig durchs Leben.

Wolfs Nachbarin und Berufskollegin Holly McRose – einer ihrer Künstlernamen – dürfte ungefähr in seinem Alter sein. Sie schreibt unter anderem sehr erfolgreich „Nackenbeißer“-Romane, die in den schottischen Highlands spielen. Schrill, bunt, chaotisch und von einer naiven Fröhlichkeit nervt sie den snobistischen Wolf jedes Mal, wenn er sie nur sieht. Was nur Hausmeister Wagner weiß und wir Leser:innen häppchenweise serviert bekommen: Die permanente gute Laune ist nur ein Teil ihrer Persönlichkeit. Holly hat eine ebenso geheimnisvolle wie problematische Vergangenheit.

Dem kulturbeflissenen Amadeus Wolf wäre das Wurscht. Alles, was Holly gut und interessant findet, verabscheut er. Die meiste Zeit versteht er nicht einmal, wovon sie spricht. Kulturelles, das jünger ist als – sagen wir mal – 100 Jahre, ist für ihn „neumodischer Quatsch“. Umgangssprachliche Formulierungen findet erschrecklich, bei Anglizismen kriegt er die Krise. Das geht so weit, dass er in Restaurants nicht das bestellt, was er gerne möchte, nur weil das Gericht auf der Speisekarte ein englisches Wort enthält. Wenn da „Speck“ stünde, würde er es gern essen, aber weil „Bacon“ steht, weigert er sich. Der Typ ist extrem stur, seltsam und anstrengend. Mich hat er mächtig genervt. Aber das war ja wohl der Plan des Autors. 

An Holly prallt das alles ab. Als Herr Niedermeyer, ihr Nachbar aus dem 2. Stock, tot im Keller liegt, glaubt sie nicht an einen Unfall. Für Kommissar Cem Aslam, der mehr nach Gangsta-Rapper als nach Polizist ausschaut, ist der Fall dagegen klar: Der Mann kam vom Sport, bekam ein Kreislaufproblem und stürzte über das Treppengeländer in die Tiefe. Keine Fremdeinwirkung, und tschüss. Jetzt will Holly selbst ermitteln. Weil sie sich das allein nicht zutraut, wendet sie sich an Amadeus Wolf und quatscht ihn in die Sache rein. 

Jetzt gurken die zwei kreuz und quer durch München, immer das Baby im Schlepp, diskutieren und streiten dabei über Gott und die Welt und fühlen recht dilettantisch diversen Verdächtigen auf den Zahn: zum Beispiel der Familie des Toten und dem Kiffer, der das Haus mit Graffiti vollgesprüht hat und vielleicht von Niedermeyer dabei gesehen wurde. 

Niedermeyers Geliebte gerät ebenso ins Visier wie seine Nordic-Walking-Gruppe und die Typen, mit denen er Karten gespielt hat. Irgendwie geht’s hier auch um Lego, den Wunsch nach einer größeren Wohnung und minderwertige Importware. Und steckt am Ende gar die attraktive, wenn auch prollige Mode-Influencerin La Veroniqua mit drin? Das fände Amadeus Wolf aber gar nicht famos. Denn seit er hinter ihr Geheimnis gekommen ist – er soll nämlich auf Wunsch seines Agenten ihre Biografie schreiben – findet er sie auf einmal toll. La Veroniqua ist in Wahrheit alles andere als doof. Sie spielt die Proletenbraut nur und hat wahrscheinlich mehr auf dem Kasten als der eingebildete Literat selbst. Das zuzugeben ginge ihm allerdings zu weit.

Die ganze Zeit über werden die zwei selbst ernannten Privatermittler von einem Unbekannten beobachtet. Wer das ist und was er im Schilde fühlt, zeigt sich erst am Schluss. Da wird’s mächtig dramatisch. Tatsächlich finden Wolf und Holly auch heraus, was Herrn Niedermeyer widerfahren ist, aber das ist irgendwie gar nicht so wichtig. Eigentlich geht’s nur um das Gekabbel der beiden gegensätzlichen Autoren.

Der Großteil des Romanpersonals ist auf lustige Weise schräg, wenn’s auch der Held mit seiner elitären Erbsenzählerei manchmal übertreibt. Kein Wunder, dass ihm seine Silke davongerannt ist! Und nachdem wir sie kennengelernt haben, frage ich mich, warum er sie partout wiederhaben will. Sie ist auch nicht sympathischer als er.

Ich bin ein Fan von La Veroniqua und ihrem Assistentx Johannx … oder wie auch immer die korrekte Formulierung hier heißen muss. Der Autor macht, wenn er über Johannx schreibt, komplexe genderkorrekte Sprach-Verrenkungen, von denen ich nicht mal wusste, dass die im Deutschen ein Thema sind. Aus dem Englischen kenne ich es, dass man auf Wunsch statt „he“ oder „she“ „they“ sagt – und permanent in der Mehrzahl von der Person spricht und schreibt. Das macht Andreas Neuenkirchen bei Johannx auf Deutsch. Es klingt gewöhnungsbedürftig und kann verwirrend sein. (Wie? Hat die Vroni jetzt mehrere Assistenten?) Aber gut …

Es ist ein zweiter Band angekündigt. Einerseits würde ich schon gerne wissen, wie das mit Wolf und seiner Familie weitergeht und welches Trauma hinter Hollys Verhalten steckt. Andererseits weiß ich nicht, ob ich mir den verbalen Schlagabtausch der beiden Helden nochmals antun möchte. Sinngemäß geht’s überwiegend darum: „Ich bin altmodisch und stolz darauf“ – „Nein, Sie sind altmodisch, lebensuntüchtig und verpassen den ganzen Spaß!“ Das habe ich inzwischen begriffen, aber auf Dauer ist mir das zu fad. Doch sollte sich Amadeus Wolf jemals entwickeln und auch an der Gegenwart Gefallen finden, ist das Konzept hinüber. Ich bin also unschlüssig, ob ich diese Reihe weiter verfolgen werde.

Andreas Neuenkirchen arbeitet seit den frühen 90ern als Journalist, zunächst frei im Feuilleton Bremer Tageszeitungen und Stadtmagazine, später als Redakteur in Münchner Redaktionen. Er hat mehrere Sachbücher und Romane mit Japan-Bezug geschrieben und arbeitete als Autor, Berater und Redakteur an über 20 internationalen Fernsehproduktionen mit. Er lebt mit Frau und Tochter in Tokio.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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