Elly Sellers: Die kleine Kanzlei gewinnt immer. Roman, Norderstedt 2024, BoD – Books on Demand, ISBN 978-3-75838306-9, Softcover, 256 Seiten, Format: 12,7 x 1,47 x 20,32 cm, Buch: EUR 12,00, Kindle: EUR 2,99.
Hinter den Kulissen einer Anwaltskanzlei
Ich liebe „Job-Geschichten“. Es interessiert mich, wie es in anderen Branchen bei der Arbeit zugeht. Und in manchen Fällen ist es sogar hilfreich, wenn man sowas weiß. Die bisher 3 Bände der Reihe um die kleine Münchner Rechtsanwaltskanzlei habe ich hauptsächlich gelesen, weil ich da hinter die Kulissen blicken wollte, und ich habe die Arbeit der Anwältinnen für Familienrecht Helen Binz (44) und Kerstin Bärenreuther sowie ihrer ReFa (Rechtsanwaltsfachangestellte) Grete Vogt mit Interesse verfolgt.
Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, wenn man liest, mit welchen Sachverhalten und merkwürdigen Leuten es die drei Damen tagtäglich zu tun haben. Und bei so einer kleinen Kanzlei spielt natürlich auch das Private eine Rolle. Wenn eine der Frauen ein Problem hat, das die Arbeitsleistung beeinträchtigt, hat das Folgen für das ganze Unternehmen. Wie belastbar ist so ein überschaubares System? Es ist eine sensible und durchaus fragile Angelegenheit. Wann kollabiert es? In diesem Band kommt so vieles zusammen, dass das Frauenteam an seine Grenzen gerät.
Personalausfälle mit Konsequenzen
Rechtsanwältin Helen Binz fällt wegen medizinischer Probleme für mehrere Monate aus. ReFa Grete Vogt pausiert aus privaten Gründen für fünf Wochen und träumt zudem von einer Arbeitszeitverkürzung. Das heißt, dass Rechtsanwältin Kerstin Bärenreuther (auch so Mitte 40) den Laden allein am Laufen halten muss. Okay, nicht ganz allein: für Frau Vogt kommt befristet eine Aushilfe: die junge ReFa Margarete „Meggy“ Magellani, punkig, extrovertiert, selbstbewusst und technikaffin.
Gern würde Meggy ihre befristete Arbeitszeit dazu nutzen, die veraltete Technik in der Kanzlei gegen eine zeitgemäße Lösung auszutauschen … eine, die, wie sie meint, Zeit, Geld und Mühe sparen wird. Die beiden Anwältinnen lassen sich schnell von ihrem Konzept überzeugen. Nur Frau Vogt, die schon die Rente am Horizont sieht, passt es nicht, dass jetzt auf den letzten Metern noch alles umgehummelt wird und sie was Neues lernen soll. Aber nun ist sie erst mal für fünf Wochen weg.
Wenn auch noch die Technik versagt …
Helen ist im Homeoffice bzw. krank, Kerstin müht sich mit den aktuellen Fällen ab, absolviert nebenher eine Ausbildung zur Mediatorin und soll und will sich ja auch noch um ihren Mann und ihre Kinder kümmern. Das geht an die Substanz. Meggy wirbelt derweil an der Technikfront – mit dem Resultat, dass die Kanzlei tagelang für die Außenwelt nicht zu erreichen ist. Wenn sie dieses Chaos nicht schleunigst in den Griff bekommt, kann das existenzbedrohend werden!
In diesem Band wird die in der Reihe vielbeschworene Frauensolidarität ziemlich strapaziert. Zwar will die krank geschriebene Helen Binz in alle Entscheidungen mit einbezogen und gefragt werden, aber es wird stillschweigend vorausgesetzt, dass Kollegin Kerstin monatelang für zwei arbeitet, und das unter erschwerten technisch-organisatorischen Bedingungen. Auch die jahrelang erprobte Arbeitsteilung, die sich an den Stärken (und Schwächen) der beiden Partnerinnen orientiert, fällt nun weg, weil Kerstin alles übernehmen muss, was reinkommt.
Kerstin ist am Ende ihrer Kraft
Auch wenn Kerstin sehr pflichtbewusst ist: Eine Maschine ist sie nicht. Der gemeinsame Familienurlaub platzt, weil sie nicht auch noch wochenlang der Kanzlei fernbleiben kann, die 16-jährige Tochter macht Probleme und bei Bärenreuthers daheim geht’s ordentlich rund. Die Anwältin ist am Ende ihrer Kraft.
Kleine Kanzleien – ein Modell ohne Zukunft?
Wenn das so läuft, wundert’s einen nicht, dass die kleinen Rechtsanwalts-Kanzleien immer weniger werden, wie Meggy an einer Stelle erklärt.
„Ich habe gelesen, die überwiegende Zahl der Juristen geht in den Staatsdienst oder in große Kanzleien, wo ihnen sämtliche Organisation abgenommen wird, sie als Angestellte bezahlt werden und kein Risiko tragen.“
(Seite 253)
Das kann man verstehen. Diese Entwicklung wird auch massive Auswirkungen auf Meggys berufliche Zukunft haben. Das fand ich ebenso einleuchtend wie interessant.
Relativ viele Personen
Eingebettet sind diese beruflichen Herausforderungen und Entwicklungen hier in eine Vielzahl von überwiegend positiv verlaufenden Geschichten aus dem Privatleben der Hauptfiguren. Im Lauf der drei Bände hat sich eine ganze Reihe von Personen angesammelt, deren Schicksal hier weiterverfolgt wird:
- RA´in Helen Binz und ihr Lebensgefährte Stefan,
- Helens Schwester, die Tierärztin Anna, deren erwachsene Tochter Sarah und Enkel Robin,
- Sarahs Lebensgefährte Rainer Bosch, der vorher mit Helen liiert war, dessen Ex-Frau und die gemeinsamen Kinder,
- RA´in Kerstin Bärenreuther, ihr Mann, zwei gemeinsame Kinder plus Stieftochter,
- ReFa Grete Vogt plus Ehemann, Sohn und Schwiegertochter in spe.
- ReFa Meggy Magellani und ihre gesammelte italienische Verwandtschaft.
- Und natürlich die Mandanten, deren Fälle sich durch die Geschichte ziehen.
So kommt’s zu vielen kurzen Kapiteln. Und manchmal springt die Handlung schon weiter zu anderen Personen und Situationen, noch bevor sich die Leserin orientiert und in einer Szene häuslich niedergelassen hat.
Kochen, essen, Babykram …
Ich gestehe, dass ich über manche Passagen nur flüchtig hinweggelesen habe: Einkaufen, kochen, essen (gehen), Blumenschmuck und Kleinkinderpflege – da spule ich gern mal ein bisschen vor. 😉 Die Diskussionen, die Helen mit ihrem Lebenspartner bezüglich des künftigen gemeinsamen Lebensmittelpunkts führt, habe ich jedoch sehr engagiert verfolgt. Helen ist eine Stadtpflanze, Stefan will (wieder) aufs Land ziehen. Ich verstehe beide Positionen und stimme Helen zu, wenn sie selbstkritisch erkennt:
„Ich bin vielleicht zu eigenwillig geworden in den letzten Jahren. Wenn man jung ist, ist man vermutlich anpassungsfähiger. Jetzt habe ich mich an meinen Lebensstil gewöhnt, will das Neue haben und das Alte nicht lassen. Und so wird’s nicht gehen […].“
(Seite 131)
Auch dafür werden sie eine Lösung finden müssen.
Lieber Scheidungsfälle als Romantik
Ich hätte gern mehr von den „Job-Geschichten“ gelesen und weniger von den Familien- und Beziehungsangelegenheiten. Das interessiert mich einfach mehr. Okay: Scheidungsgeschichten sind irgendwie auch Beziehungsgeschichten … Nennt mich zynisch, aber ich find’s einfach ungleich spannender, wenn ich sehe, wie man einem bockigen Unterhalts-Drückeberger die Hammelbeine langzieht als wenn eine Frau von ihrem Kerl im Mondschein einen Heiratsantrag kriegt. (Ja, Romantik kann ich! 😉 ) Das liegt sicher mehr an mir als am Buch, aber es ist eben so.
Bitte mehr von Meggy!
Ich bin übrigens ein erklärter Fan der zielstrebigen und durchsetzungsfähigen ReFa Meggy Magellani. Die wird’s noch weit bringen! Über sie würde ich gerne mehr lesen.
Und habe ich in der Danksagung im Anhang richtig gesehen: Die Autorin diktiert ihre Romane? Ich weiß, dass manche Texter-Kolleginnen und Übersetzerinnen auf diese Arbeitsweise und die entsprechende Software schwören. Für mich wär’s nichts, ich würde komplett den Überblick verlieren. Ich bin immer noch völlig fasziniert, wenn jemand so arbeiten kann. (Also doch noch eine Job-Geschichte!)
Die Autorin
Elly Sellers (Pseudonym) ist seit vielen Jahren als Rechtsanwältin und Mediatorin tätig. Sie liebt es, Zeit für ihre Familie und Freunde zu haben. Schreiben bedeutet für sie, die Helden und Heldinnen ihrer Romane immer besser kennenzulernen.
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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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